„Wir verlieren die Basis. Die Kinder müssen abspielen, sie dürfen sich nicht mehr im Dribbeln ausprobieren. Sie bekommen auch nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass oder ein Dribbling nicht gelingt. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen.“ Diese Worte von Mehmet Scholl haben 2017 für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Wir erinnern uns: Nach seiner aktiven Karriere arbeitete der fußballerische Ausnahmekönner als TV-Experte für die ARD Sportschau, aber auch als Trainer in den Jugend-/und Reserveteams des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München. In diesem Zuge durchlief er die Trainerausbildung des DFB und attestierte dieser keine gute Note. Harsch kritisierte Scholl die Trainerausbildung in Deutschland und bezeichnete sie in seiner damaligen Radiosendung Mehmets Schollplatten sogar als „elfmonatige Gehirnwäsche“. Mit dem Abstand von sechs Jahren inklusive einiger Turnierpleiten und knapp ein Jahr vor der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland: Hat er schon damals den Nagel auf den Kopf getroffen?
Zum Thema: Mögliche Folgen der Schwerpunktsetzung in der Trainerausbildung
Scholls Generalkritik gipfelte 2017 in folgender Aussage: „Oben ankommen wird eine weichgespülte Masse, die erfolgreich sein, aber niemals das Große gewinnen wird.“ Analysiert man das Abschneiden der A-Nationalmannschaft in den vergangenen Endrundenturnieren, so gewinnt man den Eindruck, dass bis auf wenige Ausnahmen, das deutsche Spiel wenig kreativ und flexibel ist. Nehmen wir exemplarisch Jamal Musiala. Seine Auftritte sind immer wieder erfrischend. Kreativität, Spielwitz und dieser Tick Überraschendes zeichnen seine Spielweise aus. Ist es denn ein Zufall, dass ausgerechnet er so auf dem Platz auftritt, der nicht in Deutschland ausgebildet wurde?
Es mag Zufall sein, aber eine gewisse Schlüssigkeit liegt doch in den Aussagen von Scholl. Im modernen Fußball liegt ein immer stärkerer Fokus auf der taktischen Ausbildung von Fußballspielern. Während taktisches Wissen und strategische Fähigkeiten zweifellos wichtig sind, besteht die Gefahr, dass dabei andere wichtige Aspekte vernachlässigt werden.
Die Tedescos, die Wolfs, sie sprießen aus dem Boden, und der deutsche Fussball wird sein blaues Wunder erleben.
Mehmet Scholl
Ein Trend und mögliche Folgen
Widmen wir uns der Problematik dieser kritisierten einseitigen Schwerpunktsetzung und nehmen genau unter die Lupe, welche Rolle die Trainer dabei spielen. Sicherlich fehlen noch einige Aspekte und darüber hinaus habe ich die Entwicklung der Gesellschaft mit u.a. Ganztagsschule usw. ausgeklammert, aber dennoch lässt sich ein gewisser Trend in die oben beschriebene Richtung beobachten.
1. Einschränkung der spielerischen Freiheit:
Eine übermäßige Betonung der taktischen Ausbildung kann dazu führen, dass Spielern die spielerische Freiheit und Kreativität genommen wird. Spieler, die nur auf die strikte Umsetzung von taktischen Vorgaben trainiert werden, könnten Schwierigkeiten haben, ihre individuellen Stärken und Fähigkeiten voll zu entfalten.
2. Mangelnde Entwicklung von Spielintelligenz:
Einseitige Fokussierung auf taktische Schulungen kann zu einer Vernachlässigung der Entwicklung von Spielintelligenz führen. Spieler sollten lernen, das Spiel zu lesen, taktische Entscheidungen zu treffen und sich situationsgerecht anzupassen. Durch zu stark taktisch orientiertes Training könnten Spieler möglicherweise weniger flexibel und weniger fähig sein, situativ angemessene Entscheidungen zu treffen.
3. Kreativitäts- und Technikdefizite:
Taktische Schulung allein kann Spieler daran hindern, ihre Technik und Kreativität zu entwickeln. Fähigkeiten wie Dribbeln, Tricks und individuelle Spielzüge sind oft schwer in ein streng taktisches System zu integrieren. Durch den Mangel an Raum und Zeit für improvisierte Spielsituationen könnten Spieler ihre technischen Fähigkeiten nicht optimal entwickeln.
4. Trainer als Schlüsselakteure:
Trainer spielen eine zentrale Rolle in der Ausbildung von Fußballspielern und können damit auch die Problematik der einseitigen taktischen Ausbildung beeinflussen. Sie sollten sich bewusst sein, dass ein ausgewogenes Training wichtig ist, das sowohl taktische als auch technische, kreative und kognitive Fähigkeiten fördert. Dazu würde ich ergänzen, dass das System es dem Trainer erschwert, langfristig auf die Entwicklung der Spieler zu achten. Denn die allgegenwärtige Ergebnisfokussierung „zwingt“ indirekt die Trainer dazu, nicht immer die talentierten oder unfertigen Spieler auflaufen zu lassen, sondern jene, die vermeintlich erfolgreich und damit jobsichernd sind.
Welche (möglichen) Lösungsansätze mit Blick auf die Trainer gibt es:
– Trainer sollten eine ausgewogene Schwerpunktsetzung auf taktische, technische und kreative Aspekte des Spiels verfolgen.
– Trainer können Freiräume im Training schaffen, um Spielern die Möglichkeit zu geben, ihre individuellen Fähigkeiten und Kreativität zu entfalten.
– Spieler sollten ermutigt werden, kreative Lösungen zu suchen und ihre technischen Fertigkeiten kontinuierlich zu verbessern.
– Trainer können auch alternative Trainingsmethoden wie den Straßenfußball, kleine Spielformen oder spielerische Übungen in das Training integrieren, um die spielerische Freiheit und die individuelle Entwicklung zu fördern.
Ein neuer Weg
Wir von Die Sportpsychologen haben einen neuen Weg entwickelt, wie Profi-Vereine und Verbände die Sportpsychologie in ihrem System integrieren können. Interessenten bekommen nach kurzer Anmeldung einen Link zu einer nicht-öffentlichen Seite, wo alle Informationen aufbereitet sind.
Fazit
Die Betonung der taktischen Ausbildung im Fußball kann zu einer Vernachlässigung anderer wichtiger Aspekte führen. Aber: Trainer spielen eine entscheidende Rolle dabei, ein ausgewogenes Training zu gestalten, das taktische Fähigkeiten mit technischer, kreativer und kognitiver Entwicklung verbindet. Dadurch können Spieler ihre individuellen Stärken voll entfalten und eine vielseitige Spielweise entwickeln. Unterstützend kann mithilfe von Experten eine wertschätzende Fehlerkultur entwickelt und etabliert werden, die den Spielern, Trainern und ganz Fussballdeutschland zu Gute kommt.
Literatur:
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