Thorsten Loch: Bin ich ein Hochstapler?! Und wie kann ich das ändern?

In unserer heutigen Gesellschaft gilt es als erstrebenswert, bescheiden und bodenständig zu sein. Wer große Töne spuckt, heraus posaunt, was er oder sie alles schon erreicht hat und was man alles gut kann, erarbeitet sich schnell den Ruf eines Angebers. Deswegen wird es gern gesehen, sich den konventionellen Normen zu beugen und danach zu handeln. Sei kritisch mit dir selbst und optimiere dich fortwährend. Aber schauen wir auf die andere Seite der Medaille: Ein zu viel an Kritik an seiner eigenen Person schadet sich selbst. Viele Menschen fühlen sich inkompetent und glauben, ihren Erfolg nicht verdient zu haben. Schlimmer noch: Sie fühlen sich als Betrüger, die früher oder später zum Auffliegen verdammt sind. Vielleicht kann nun der eine oder andere sich damit identifizieren. Möglicherweise hattest du auch schon oft solche oder ähnliche Gedanken und kennst das Gefühl, nicht ansatzweise so gut zu sein, wie alle anderen glauben. Die Wissenschaftler Bednar et al. (2019) veröffentlichten eine Studie zu dieser Thematik, in welcher sie 213 Studierende dazu befragten. Das Ergebnis ist erstaunlich. Knapp 20% der Befragten schienen unter diesem Phänomenen zu leiden. Extremer fielen die Ergebnisse in dem Fachgebiet der Medizin aus, wie Rosenthal et al. (2021) zeigen konnten. Aber was genau steckt hinter diesem Phänomen? Und was bedeutet es für den Sport?

Zum Thema: Den eigenen Hochstapler in den Schatten stellen

Betroffene der Problematik, die auch als Impostor-Phänomen bekannt ist, zeichnen sich durch ein tief sitzendes, verzerrtes Selbstbild aus. Egal was sie tun und wie viel Anerkennung ihnen entgegengebracht wird, sie haben stets das Gefühl, vollkommen inkompetent zu sein. Erfolge erzielen sie in ihren Augen nur durch Glück oder enorm viel Vorbereitung und Fleiß, nicht durch ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Weil alle anderen scheinbar noch nicht erkannt haben, dass sie so wenig leisten, fühlen sie sich als Hochstapler. Auf Englisch: impostor. 

Im Gegensatz zu dieser Annahme beschäftigte sich Krahé (1984) in ihren Arbeiten mit dem Begriff des self-serving bias. Die self-serving bias-Hypothese postuliert systematische Verzerrungen von Kausalattributionen im Dienste der Verteidigung und Steigerung des Selbstwertgefühls und nimmt an, dass Individuen Erfolg auf interne Verursachungsbedingungen (z.B. Fähigkeit oder Anstrengung), Misserfolg dagegen auf externe Ursachen (z.B. Schwierigkeit der Aufgabe oder Pech) zurückzuführen, um damit eine möglichst positive Selbsteinschätzung aufrecht zu erhalten oder zu verteidigen. 

Merke: Wir können also festhalten, dass Menschen mit Impostor-Syndrom stark an ihren Fähigkeiten zweifeln und sich als Hochstapler fühlen, die irgendwann auffliegen werden.

Bei diesem Phänomen geht es jedoch keineswegs nur um ein geringes Selbstbewusstsein. Es handelt sich vielmehr um ein vielschichtiges Problem. Jene Menschen können ihre eigenen Leistungen nicht richtig einordnen. Stattdessen schauen sie in einen Spiegel, der ihnen ein verzerrtes negatives Bild wiedergibt. Dieser Spiegel besteht aus vier Schichten/Ebenen, die sich gegenseitig verstärken (Muthig, 2021). Die oberste Schicht des Spiegels fängt die äußeren Eindrücke auf. Dabei handelt es sich um unsere Sinneswahrnehmung. Doch nicht alle Menschen nehmen ihre Umgebung gleich wahr. Stattdessen filtert jeder andere Eindrücke heraus – bei Menschen mit Hochstapler-Phänomen sind das vor allem negative Aspekte. Ein verunsicherter Spieler würde beispielsweise das kleinste Stirnrunzeln beim Trainer sofort registrieren. Die zweite Schicht des Spiegels wirft das aufgefangene Licht zurück. Dabei handelt es sich um die Verarbeitung der Sinneseindrücke in unserem Gehirn. Betroffene sind besonders anfällig für dichotomes Denken, sprich das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien. Ein Spieler würde seinen Blick also nur auf die wenigen Fehlpässe richten und sein Spiel als ungenügend ansehen, auch wenn es sich nur auf wenige fehlgeschlagene Aktionen beschränkt. 

Wir wissen, dass die Silberschicht im Inneren eines Spiegels anfällig für Korrosion ist und durch eine Rückwand luftdicht versiegelt werden muss. Betroffene des Impostor-Syndroms haben ebenfalls zwei Mechanismen, die ihr negatives Selbstbild aufrechterhalten: Emotionen und Handlungen. Was bedeutet das in der Praxis? Zunächst wird das verschobene Selbstbild durch starke Emotionen bestätigt. Wenn unser Sportler vom Trainer gesagt bekommt, er würde hervorragend trainieren, wird diese Information überlagert von dem flauen Gefühl in seinem Bauch, das ihm signalisiert: „Vielleicht ist es jetzt zufällig mal gut gelaufen. Beim nächsten Mal wird es sicher anders!“ Zu guter Letzt können bestimmte Handlungsmuster das Impostor-Syndrom verstärken. Betroffene sind anfällig dafür, auf Herausforderungen mit Prokrastination oder übermäßiger Vorbereitung zu reagieren. Beides führt dazu, dass sie das Gefühl haben, die Aufgabe nicht mühelos wie andere erledigen zu können, was ihnen als Beweis für ihre mangelnden Fähigkeiten dient. 

Halten wir fest: Das Impostor-Syndrom besteht aus vier Komponenten: 

  • verzerrte Wahrnehmung
  • negative Interpretation
  • starke Gefühle
  • verfestigende Handlungen 

Hier stellt sich die Frage, ob man diesem Phänomen hilflos ausgesetzt ist? Die gute Nachricht lautet: Nein! Es benötigt aber einige Schritte, seinen eigenen inneren Hochstapler zum Schweigen zu bringen. Gehen wir das doch gleich einmal an:

Ändere den Fokus 

Nimm dir einen Moment Zeit und schließe die Augen. Und jetzt versuchst du einmal, nicht daran zu denken, was morgen auf der To-do-Liste steht. Ich rate mal: Du bist kläglich an dieser Aufgabe gescheitert? Je bewusster du dich anstrengst, deine Gedanken von einer Sache abzulenken, desto mehr rückt sie ins Zentrum deiner Aufmerksamkeit. Wenn man krampfhaft versucht, seine Schwächen zu ignorieren, ist man wahrscheinlich nicht sonderlich erfolgreich. Daher ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung behutsam auf positive Dinge zu lenken: auf deine Stärken und Erfolge. Alles, was du dafür brauchst, sind ein bisschen Geduld und ein großes Blatt Papier. 

Schreibe eine Woche lang jeden Abend drei Dinge auf, die während deines Tages/Trainings gut gelaufen sind. Es ist nicht weiter schlimm, wenn einem zu Beginn nicht sonderlich viel einfällt. Beginne auch mit ganz banalen Sachen. Nach kurzer Zeit wirst du feststellen können, dass du bereits tagsüber Erfolge wahrnimmst, die später notiert werden wollen. Und genau das ist der Kern dieses Journaling. Es geht darum, den Blick für die eigenen Erfolge zu schärfen. Nur so kann es einem langfristig gelingen, seinen inneren Hochstapler zu entkräften und ihm positive Beispiele für das eigene Können entgegenzubringen. 

Eine bewusste Wahrnehmung ist der erste Schritt auf dem Weg, deinen inneren Hochstapler loszuwerden. Doch was sind die nächsten Schritte? Gerne begleiten meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Thorsten Loch) dich dabei, deinen inneren Hochstapler zu zügeln. Hast du eine Frage, dann scheu dich nicht davor, uns zu kontaktieren. 

Mehr zum Thema:

Literatur:

Muthig, M.: Und morgen fliege ich auf: Vom Gefühl, den Erfolg nicht verdient zu haben – Das Impostor-Syndrom erkennen und überwinden. 2021. dtv Verlagsgesellschaft. 

Rosenthal S, Schlussel Y, Yaden MB, et al. Persistent Impostor Phenomenon Is Associated With Distress in Medical Students. Fam Med. 2021;53(2):118-122. 

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0001879119301095?via=ihub#preview-section-cited-by

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Thorsten Loch
Thorsten Lochhttp://www.die-sportpsychologen.de/thorsten-loch/

Sportarten: Fußball, Badminton, Leichtathletik, Sportschießen, Karate, Skateboarding

Hennef, Deutschland

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