Kennst du die Redensart von dem „Einäugigen“, der „unter den Blinden König“ ist? In diesem Beispiel sticht der Protagonist aus einer kleinen Gruppe unterlegener Konkurrenten heraus. Lange galt das auch in manchen olympischen Disziplinen, da sich im Vergleich zu vielen Weltmeisterschaften nicht immer die komplette Weltelite am Start tummeln konnte. Seit der Entstehung dieses Bildes hat sich jedoch viel verändert: Die moderne Welt hat sich verändert und ist mehr und mehr zu einer globale Gemeinschaft gewachsen. Und blickt man nun unter sportlichen Gesichtspunkten nach China zu den olympischen Spielen, wird deutlich, dass die Leistungsdichte an der Spitze der “Weltjugend” sehr eng geworden ist. Zu Beginn der finalen Olympia-Wettkampfwoche fand in Peking die Big-Air-Qualifikation der Snowboarderinnen statt. Beim Big-Air handelt es sich um eine Wertungssportart. Ich liebe diese Art von Contest. Die SportlerInnen müssen zwei gültige Sprünge stehen, einen jeweils frontside bzw. backside gedreht, haben jedoch dafür nur drei Versuche. Mit dabei war Annika Morgan, die einzige deutsche Starterin. Dass psychologisch Knifflige an dieser Sportart: Die SportlerInnen werden direkt mit den Leistungen der anderen AthletInnen konfrontiert und so findet man schnell jemanden, der besser ist als man selbst. Dieser Vergleich kann unter Umständen Auswirkungen auf die eigene Leistungsfähigkeit Einfluss haben.
Zum Thema: Was wir von der Big Air-Snowboarderin Annika Morgan
Im ersten Sprung, der eigentlich der Sicherheit und einem ersten guten Ergebnis dienen sollte, war Morgan bei der Landung gestürzt. Für die verbleibenden beiden Durchgänge setzte sie sich damit selbst gehörig unter Druck. Oder etwa nicht? Nun ja: Selbstkritik ist wichtig, denn ohne sie hätten wir keine Motivation und würden uns auch nicht weiterentwickeln (siehe: Blog Gesundes Scheitern). Wir hätten keinen Antrieb, in irgendeiner Form an uns zu arbeiten. Und das führt früher oder später dazu, dass uns alles irgendwie egal ist und wir unsere Ziele/Wünsche aus den Augen verlieren. An dieser Stelle kommt uns eine andere menschliche Neigung zu gute: Wir tendieren dazu, die Gegenwart als unvollkommen zu sehen und unsere Hoffnungen auf die Zukunft zu projizieren. Das spornt uns an, weiterzumachen und voranzukommen (vgl. Peterson, 2018). Bei manchen Menschen führt diese Bereitschaft u.a. dazu, dass sie ihre wunderbaren Fähigkeiten ausbauen und perfektionieren, welche sie zu den Spielen gebracht haben, um sich mit anderen zu messen und ihr Können einem großen Publikum zeigen. Wie bereits angemerkt, sind alle vorab Meister ihres Fachs und dennoch sehen wir zum Beispiel in in Peking nicht nur Freuden- sondern auch Trauertränen.
Der Vergleich mit anderen
Aber wenn es nur noch um den Vergleich mit den anderen geht, wird Selbstkritik hässlich – und zerstörerisch (vgl. Koch, 2019). Dann verlieren wir auch den Blick für den eigenen Fortschritt. Warum? Erstens denken wir dann nur noch schwarz-weiß: Entweder man gewinnt oder man scheitert. Das lässt vergessen, dass wichtige Fortschritte oft klein und schwer messbar sind.
Zweitens versperrt der enge Fokus den Blick auf das große Ganze: Wer sich nur noch vergleicht, versteift sich zu stark auf einzelne Aspekt des Lebens. Und das verleiht diesen Dingen zu viel Gewicht.
„Ich hatte gar keinen Druck. Es wäre kein Weltuntergang gewesen, es heute nicht in Finale zu schaffen.“
Annika Morgan
Was lernen wir aus solch einem Satz: Vergleiche dich mit dem, der du gestern warst, statt mit anderen.
Höchstleistungen passieren
Stell dir vor, du blickst auf deinen letzten Sprung zurück und stellst fest, dass du weniger Punkte von der Jury erhalten hast, als deine Mitstreiter. Wenn du nur in Vergleichen denkst, wirst du dich wie ein Versager fühlen. Dabei könntest du auch herauszoomen und andere Teilbereiche deines Sports betrachten. So könntest du erkennen, dass du anderswo Wichtiges bereits erreicht hast. Das nimmt dir den Druck, lässt dich aufhorchen und locker werden. Denn Höchstleistung kann man nicht erzwingen, sie passieren.
Darum ist es so wichtig, dass du dich nicht mit anderen, sondern mit dir selbst vergleichst. Wirklicher Fortschritt entsteht dann, wenn du ihn an deinen Ergebnissen aus der Vergangenheit fest machst. Und dies ist Morgan scheinbar gut gelungen. Trotz ihres Patzers im ersten Sprung konnte sie sich davon frei machen und landete mit 132,25 Punkten auf dem achten Platz, welcher gleichbedeutend mit der Qualifikation für das Finale am Dienstag steht. Im Finale konnte Morgan dann nur zwei ihrer drei Versuche stehen. Am Ende bedeutete dies Platz zehn. Aber ganz egal: Dabei sein ist alles. Und wie schön, dass uns dies SportlerInnen der jungen olympischen Disziplinen in Erinnerung rufen.
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