Klaus-Dieter Lübke Naberhaus: Lena Dürr, das Slalom-Rennen und die ganze Bandbreite der Psychologie

Es ist mitten in der Nacht um 04:15 MEZ; 11:15 Ortszeit in Peking. Der Wecker schellte bei mir um kurz nach 3:00, um das Slalom Rennen der Frauen zu schauen. In der eigenen Reflexion muss ich ganz schön sport-verrückt sein in diesen Tagen. Eigentlich wollte ich nur schauen, weil ich ein Fan von Lena Dürr bin und sehen wollte, wie sie sich schlägt. Doch was dann auch mit mir passierte, darauf war ich nicht gefasst. Geschärfte sportpsychologische Sinne vielleicht, durch die sehr bewusste Beschäftigung in den vergangenen Tagen mit diesen olympischen Wettkämpfen aus psychologischer Sicht, mag ein Grund sein.

Zum Thema: Mentale Trainingsansätze im alpinen Skisport

Ein Feuerwerk an sportpsychologischen Inhalten brachte alleine der erste Durchgang dieses olympischen Slaloms, dieser technisch und auch mental so anspruchsvollen Teildisziplin des alpinen Skisports, mit sich. Ice River, so der Name der Piste, hielt, was der Name versprach.

Ich betrachte ein verrücktes Rennen im ersten Durchgang, dass zwischenzeitlich zu Eis erstarrte und einen dramatischen zweiten Durchgang, der dann doch noch die unerwartete erwartete Siegerin mit sich brachte und für Lena Dürr und Sara Hector zu einem kleinen Drama wurde. Wir erleben die ganze Bandbreite der Psychologie von Freude zu Trauer, von Schockstarre zum kontrollierten Angriff.

Doch lassen Sie uns ein wenig Struktur dieses Rennen analysieren.

Von Maskottchen und Aktivierungsritualen

Nachdem Lena Dürr ihren ersten Durchgang absolviert hatte und schon einige Zeit als führende im Zielbereich wartete, bat sie einen Betreuer, ihr, wenn ich das richtig verstanden habe, das „Quitischi“ aus ihrem Rucksack zu bringen. Ich spekuliere mal, es wird ein Maskottchen sein und da sind wir im schönen Feld des Aberglaubens und der Rituale, die so wichtig für die ein oder andere Sportlerin beziehungsweise Sportler sind, um Sicherheit zu geben.

In der Pause zwischen den ersten beiden Startgruppen fing die Kamera dann schöne Aktivierungsübungen und Vorbereitungsrituale auf. Auf dem Rücken liegend wurde vor einer Slalomfahrerin ein roter Ball fallen gelassen, den sie vor Erreichen des Bodens auffangen musste, bei einer anderen Starterin war es der Skistock, der vor ihr stehend von einem der Trainer quer zum Boden fallen gelassen wurde und den sie vor dem Boden auffangen musste. Und dann fing die Kamera die Hände eine anderen Starterin ein, die man beim imaginären Tanz durch die Stangen beobachten konnte. All dies sind Übungen, die dazu dienen, um Konzentration, Aufmerksamkeit und Aktivierungsgrad zu trainieren, eine optimale mentale Vorbereitung zu erzielen. Elemente, die eines regelmäßigen Trainings bedürfen, damit sie verinnerlicht werden.

Verrücktes Rennen und Schockstarre

Doch nun lassen Sie uns den ersten Durchgang anschauen. Was passierte?

Lena Dürr mit der Startnummer 1 ging ins Rennen und der Kommentator sprach von einer „Schleichfahrt“. Für mich sah es nach einem kontrollierten, gefühlvollem Lauf aus. Wach, aufmerksam, ein Gefühl zur Strecke aufnehmend und den Ski laufen zu lassen, und das noch mit scheinbar gutem Ski- und Schuhmaterial. Die weißen Skischuhe werden ja als deutlich besser eingestuft als die schwarzen, und Lena trug weiße Skischuhe. Wenn hier nicht wieder auch der Aberglaube mit eine Rolle spielt?

Direkt als Nummer 2 startete die große Mitfavoritin, die Tschechin Petra Vlhova, die wie auch alle nachfolgenden Fahrerinnen viel aggressiver in das Rennen gingen und allesamt mit doch recht deutlichen Rückstand ins Ziel kamen. Ausgenommen die Schweizerin Michelle Gisin, die auch eine sanfte Fahrt bevorzugte.

Schnelles Ende für Mikaela Shiffrin

Doch dann wurde es noch verrückter. Mikaela Shiffrin, die US-Amerikanerin, eine Ausgeburt an Konstanz und Coolness, also die Eisfrau auf dem Eisfluss, hatte jedoch schon im Riesenslalom gepatzt. Und sie ging mit einer hohen Aggressivität, im Angriffsmodus in dieses Rennen, das schon nach 10 bis 12 Sekunden für sie vorbei sein sollte. Schockstarre legte sich über das Stadion, keine Kommentatorenansage war zu hören, keine Musik in der Zielankunft und Mikaela Shiffrin saß zusammengekauert apathisch neben der Piste.

Doch das Rennen ging weiter, doch diese Schockstarre breitete sich offenbar auf die nächsten Starterinnen aus. Bis Sara Hector aus Schweden, die Olympiasiegerin im Riesenslalom, mit ihrem unendlich zu sein scheinenden Selbstvertrauen das Eis brach und mit 0,12 Sekunden Rückstand auf Lena Dürr auf Rang drei fuhr.

Drama und Spannung im zweiten Durchgang

Für Lena Dürr und Petra Vlohava konnten dann die Ausgangsbedingungen nicht unterschiedlicher sein. Petra Vlohava hatte als Dominatorin des Winters den ersten Durchgang für ihre Verhältnisse eher vergeigt, war nun in ihrem Jagdmodus und brachte diesen Spannungszustand aggressiv in den zweiten Durchgang, was ihr letztendlich olympisches Gold einbrachte. Sie war in ihrem Element. Den ersten Vieren des ersten Durchganges war dann gemeinsam, dass sie ihren ersten Lauf nicht vollends bestätigen konnten. Sara Hector schied mit einer kleinen Unachtsamkeit auf gutem Weg aus und Lena Dürr konnte als Gejagte den gut beginnenden Lauf ab der Mitte des zweiten Durchgangs nicht so zu Ende bringen. Hier brach der Flow, der Rhythmus ab, der ein oder andere kleine Fehler war zu viel und führte letztendlich mit 0,19 Sekunden Rückstand zum bitteren vierten Platz. Ihr Schmerz war im nachfolgenden Interview hautnah zu sehen, zu spüren und rührte zu Tränen. Doch auch diese Niederlage, so Hilde Gerg in der Nachbetrachtung, ist Lernerfahrung und Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Gestärkt wieder kommen heißt die Devise. Und spannend war ihre Äußerung zum Leistungssport. Leistungssport ist eine Lebenshaltung. 

Welch eine Fundgrube für die Sportpsychologie liegt in diesem Rennen?! Es geht also darum, den optimalen Aktivierungszustand herzustellen, mit den vorhergehenden Enttäuschungen und Freuden umzugehen. Diese Erfahrungen entweder für den nächsten Start auszublenden, positiv zu nutzen, ohne jedoch zu überladen und zu überpacen, wie es offensichtlich Sara Hector mindestens im ersten Durchgang und Petra Vlhova im zweiten Durchgang gelungen, Mikaela Shiffrin jedoch mißlungen ist. Und dann der Umgang mit der erneuten Enttäuschung, mit der Schockstarre und der nachfolgenden Trauer. Tief menschliche, tief psychologische Themen, so spannend mitten im Sportleben anzuschauen und mitzufühlen. Und dazwischen die „Schleicherin“ Lena Dürr, die es im ersten Durchgang optimal verstand, dies alles gut reguliert und kontrolliert auf die Piste zu bringen und dann im zweiten Durchgang jedoch dem Druck der Jägerinnen, allen voran Petra Vlohava nicht stand halten konnte. Dass es am Ende nicht reichte, hat jedoch auch etwas mit einem Quäntchen Glück zu tun.

Techniken und Methoden für die Praxis

Und zum Abschluss noch die bittere Erkenntnis, dass Niederlagen trotz guter Leistung als Lernerfahrung und Entwicklungstreiber für die eigene Persönlichkeit dienen können.

Uns so schauen wir auf Vorbereitungsrituale, auf Maskottchen, die Sicherheit bringen, auf Aktivierungs-, Achtsamkeits-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsübungen, auf Imagination der Strecke mit Körper und Geist und dem Erreichen der optimalen individuellen Aktivierung. Dies alles läßt sich wie Technik, Taktik und Athletik trainieren. Gerne begleite ich (zum Profil von Klaus-Dieter Lübke Naberhaus) und meine Kollegen (zur Übersicht) Sie in diesem Training.

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Klaus-Dieter Lübke Naberhaus
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