André Schürrle beendet mit nur 29 Jahren seine Karriere. Die Entscheidung des Weltmeisters von 2014 verdient Respekt. Nicht Häme, wie sie nach dem Bekanntwerden der Vertragsauflösung von Schürrle bei Borussia Dortmund gerade im Netz die Runde machte. Vielmehr lohnt es sich, inspiriert durch dieses prominente Beispiel, mal genauer auf Karriereübergänge zu schauen – denn solche Veränderungen erlebt jeder Sportler. Von Kindesbeinen an. Zumal viele dieser Übergänge ungeplant entstehen. Richtig schwierig wird es oft am Ende, wenn Unterstützer und die nötige Vorbereitung fehlen.
Zum Thema: Über den Umgang mit neuen Herausforderungen und Veränderungen im Verlauf der sportlichen Karriere
“Die Karriere” gibt es nicht. Jeder Sportler hat seine eigenen Etappen, Meilensteine und Erfolge. Dennoch kann eine Sportkarriere vereinfacht in vier Phasen unterteilt werden:
- Karrierebeginn
- Karriereentwicklung
- Meisterschaft
- Nachkarriere
Bei diesem Phasenmodell nach John Salmela (1994) sei jedoch darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Phasen je nach Sportler eine unterschiedliche Dauer haben können und ebenfalls in unterschiedlichen Altersklassen erlebt werden können. Karriereübergange können genau die Übergänge zwischen den einzelnen Karrierephasen sein (siehe oben, z.B. von Karrierebeginn zu Karriereentwicklung). Es können jedoch auch innerhalb dieser einzelnen Phasen Karriereübergänge vorkommen.
Schwieriges Ende
Jeder Sportler ist mit dieser Problematik konfrontiert. Denn schon der Wechsel in eine andere sportliche Altersklasse oder eine andere Wettkampfklasse/Liga stellt einen Übergang dar. Auf Ebene des Profi-Sports werden solche Wechsel in vielerlei Hinsicht komplexer. Von Sportlern wird der Übergang von der Meisterschaftsphase zur Nachkarriere, dem Karriereende, oftmals als am Anspruchsvollsten eingeordnet.
Alle Karriereübergange haben aus sportpsychologischer Sicht eine Sache gemeinsam: Der Sportler wird vor neue Herausforderungen gestellt. Er befindet sich in einer ihm unbekannten und neuen Situation. Hinzu kommt, dass bei vielen Karriereübergangen sich auch das gewohnte sportliche Umfeld, also Team, Trainer und sportliche Ansprechpartner, ändern. Alle Sportler erleben ihre individuellen Karrierübergänge ganz unterschiedlich. Während für den einen neue Chancen warten, empfindet der andere viel Unsicherheit im Neuland. Entscheidend für diese Wahrnehmung scheinen zwei Faktoren: die Unterstützer und die Vorbereitung.
Die Unterstützer
Die wertvollsten Unterstützer eines Karriereübergangs sind vertraute Menschen, die in beiden Abschnitten dem Sportler zur Verfügung stehen. Hier sind sportliche wie private Wegbegleiter gefragt, die für den Sportler in der gewohnten, alten, sowie in der neuen Situation erreichbar sind. Das können gute Freunde, Eltern, Partner und ggf. langfristige sportliche Begleiter wie z.B. Ärzte des Vertrauens oder eben ein Sportpsychologe sein. Da jede neue Karrierephase eines jeden Sportlers individuell wahrgenommen wird, gibt es hier kein einheitliches Unterstützungskonzept.
Die Devise lautet: Nachfragen & genau Hinhören, um die Bedürfnisse des Sportlers zu erkennen. Ebenso sollten die neuen Gegebenheiten bewusst offen angesprochen werden. Die Unterstützer sollten einen Austausch anbieten und Verständnis für Herausforderungen, Vorfreude und Unsicherheiten mitbringen.
Anne Lenz
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Die Vorbereitung
Ein Karriereübergang stellt sich selten langfristig geplant ein, sondern wird meist spontan durch neue Angebote oder sportliche Verletzungen verursacht. Um der Unsicherheit durch das neue Setting, neuen Erwartungen, neuen Umgebungen, neuen Konkurrenten, neuen Ansprechpartnern (…) vorzubeugen, hilft oft die Auseinandersetzung mit den eigenen Fähigkeiten sowie langfristigen Unterstützern. Ressourcen, die trotz der vielen Neuheiten stabil bleiben, sind in diesen Phasen das Fundament. Auch bei unerschrockenen Sportlern, bei denen die Vorfreude auf neue Aufgaben überwiegt, kann die bewusste Auseinandersetzung mit folgenden Aspekten positive Effekte mit sich bringen:
- sportliche Fähigkeiten und Fertigkeiten
- private Fähigkeiten und Fertigkeiten
- sportliche Unterstützer
- private Unterstützer
- bisherige Erfolge
- das aktuelle sportliche Ziel
- Auflistung der Aspekte, die sich tatsächlich ändern vs. Aspekte, die genauso bleiben
Die bewusste Auseinandersetzung mit Dingen, die dem Sportler trotz Unsicherheiten zur Verfügung stehen, können Rückhalt, Entspannung und Zuversicht geben. Die zusätzliche Visualisierung der persönlichen Ressourcen kann den Effekt erhöhen. Auch Sportlern mit weniger Befürchtungen können von dieser Vorgehensweise profitieren und das Selbstbewusstsein für neue Herausforderungen bekräftigen.
Von der Meisterschaft zur Nachkarriere: Das Karriereende
Das Karriereende (ob gewollt oder gezwungen) ist für viele Sportler eine große Herausforderung. Auch wenn vermeintlich der gesamte Leistungsdruck der Karrierejahre von dem Sportler abfällt, so bringt genau dieser Aspekt auch seine Risiken mit sich. Das Selbstwertgefühl eines Leistungssportlers basiert in hohem Maße auf seinen sportlichen Leistungen und auf externen Bewertungen von Trainern, Fans und Medien. Ohne das Gefühl von Wirksamkeit im Alltag – eben ohne sportlich erbrachte Höchstleistungen – kann das Selbstwertgefühl des ehemaligen Sportlers leiden. Hinzu kommt, dass auch das soziale Umfeld eines Leistungssportlers durch den organisierten Sport bestimmt ist: Ärzte, Trainer, Betreuer, Teammitglieder können auf lange Sicht zu Vertrauten werden, die in dem neuen Alltag nicht mehr (in dieser Intensität) vorkommen. Und durch ein straffes zeitliches Trainings- und Wettkampfprogramm zählen nicht selten nur wenige nicht-sportliche Kontakte zu dem engeren Vertrautenkreis eines Leistungssportlers. Darüber hinaus steht vor allem für Profisportler auch der offizielle Rücktritt vor den Medien auf der Agenda. Verbunden mit der Frage: “Wie formuliere ich mein Karriereende?” Zu guter Letzt beginnt eine Leistungssportkarriere oft bereits in Kindesalter, wodurch z.T. Schulabschlüsse oder eine berufliche Ausbildung nicht vollendet wurden. Dadurch können vor allem in Randsportarten auch finanzielle Sorgen durch ein Karriereende hinzukommen. Was kann helfen?
- bewusst neue Lebensziele setzen
- bewusste Auseinandersetzung mit nicht-sportlichen Fähigkeiten & Fertigkeiten
- bewusstes Nutzen privater Unterstützer
- frühzeitige Vorbereitung durch ein zweites berufliches Standbein
- bewusste Entscheidung für Freizeitaktivitäten, die ggf. neue Leidenschaften wecken
Nicht jedes Karriereende wird von Sportlern negativ wahrgenommen. In den Aussagen von André Schürrle ist herauszuhören, dass er sich ganz bewusst aus dem Profifußball verabschiedet. Zudem berichtet er über eine lange Entscheidungsfindung, wodurch eine ausgiebige Vorbereitung auf seine Nachkarriere zu erahnen ist. Zwei Punkte, die in dem Fall Schürrle für eine positive Nachkarriere sprechen, sind die finanzielle Sicherheit sowie die eigenständige Entscheidung gegen den Sportleralltag. Klingt ganz nach einem vorbildlichen Abgang – was wirklich in ihm vorgeht, bleibt offen.
Auf den Punkt gebracht
Die Herausforderungen, die ein Karriereübergang mit sich bringt, können als Chance und ebenso als Bedrohung wahrgenommen werden. Eine bewusste Auseinandersetzung mit möglichen Veränderungen während der Karriere scheint hierbei sinnvoll. Dabei geht es vor allem um persönliche Ressourcen des Sportlers, die eine Konstante in unsicheren Phasen bilden und zudem das Selbstbewusstsein für neue Aufgaben steigern können. Ein Sportpsychologe kann in genau diesen Phasen helfen, dem Sportler einen positiven und zukunftsorientierten Umgang mit neuen Herausforderungen anzunehmen, die bedrohliche Perspektive zu verringern und mit Vorfreude und Selbstbewusstsein neue Aufgaben anzunehmen.
Literaturverzeichnis
Alfermann, D. & Stoll, O. (2007). Sportpsychologie – Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.
Salmela, J. H. (1994). Phases and transitions across sport careers. In D. Hackfort (Ed.). Psycho-social issues and interventions in elite sport (pp. 11-28). Frankfurt: Lang.
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