Dr. René Paasch: Die Angst im Kinderkopf besiegen

Lachende Kinder, die sich wie losgelassen in den Wettkampf stürzen. Solche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir an Nachwuchssport denken. Allerdings gibt es nicht wenige Jungen und Mädchen, die Schwierigkeiten haben, sich der Wettkampfsituation zu stellen. Sie kämpfen zum Teil mit intensiven Ängsten. In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, was Angst überhaupt ist und welche Erscheinungsformen sie hat. Anschließend möchte ich Ihnen Techniken an die Hand geben, mit denen Kinder und Jugendliche ihre Angst in den Griff bekommen.

Zum Thema: Die Angst im Kopf besiegen?

Ängste sind unter Kindern und Jugendlichen sehr verbreitet und gehören zu den häufigsten Symptomen ab dem Vorschulalter (Reinhard, 1992). Esser und Schmidt (1987) fanden heraus, dass jedes dritte Schulkind unter Ängsten leidet, wobei im Vorschulalter noch mehr Kinder betroffen sind. Nach Miller, Boyer und Rodoletz (1990) liegt die Anzahl der von Ängsten betroffenen Grundschulkindern im Durchschnitt bei 12 spezifischen Ängsten. Unter ausgeprägten Angstsymptomen leiden 10-15% aller Grundschüler und 5-10% aller Jugendlichen, wobei sie bei Jungen und Mädchen gleich häufig auftreten (Reinhard, 1992). Insgesamt kann man diese in drei verschiedene Gruppen unterscheiden: die physiologischen, die altersspezifischen und die generalisierten Angstsyndrome mit Phobien (Schmidt & Blanz, 1989).

Die physiologischen Ängste sind reifungsabhängige Phänomene, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Entwicklungsstufe auftreten. Sie kommen sehr häufig vor. Voraussetzung für das Auftreten dieser physiologischen Ängste, ist die Fähigkeit bestimmte Stimuli wahrzunehmen. Die Angstreaktion entsteht dann entweder durch eine fehlerhafte Einschätzung der Realität oder einer Unterschätzung der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten (Schmidt & Blanz, 1989). So korrespondiert z.B. die Wettkampfängstlichkeit mit der Fähigkeit des Kindes, die Situation des Spiels in Verhältnis zur positiven Gegenwelt zu unterscheiden. Altersspezifische Angstsyndrome sind Störungen, bei denen physiologische Ängste wie z. B. Angst vor schlechter Leistung als vorherrschendes Merkmal auftreten, deren Schwere aber über die Schwelle des Altersüblichen hinaus geht (Schmidt & Blanz, 1989). Die dritte Gruppe bildet sich aus Störungen, wie z.B. die generalisierte Angststörung oder verschiedene Phobien, die sowohl in der Kindheit als auch bei Erwachsenen vorkommen.

Zum Profil von Dr. René Paasch: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Aufregung, Unsicherheit, innere Unruhe

Ganz allgemein sind Ängste bei Kindern und Jugendlichen im Sport gekennzeichnet durch ein Gefühl der Aufregung, der Unsicherheit oder einer inneren Unruhe, wie auch in der negativen Erwartung der Leistung. Nach dieser Betrachtungsweise zeigt sich die Angst auf ganz unterschiedlichen Erfahrungsebenen. Auf physiologischer Ebene reagieren Kinder und Jugendliche mit einer erhöhten körperlichen Erregung, auf kognitiver Ebene herrscht die Angst vor negativer Bewertung und eine negative Selbsteinschätzung. Somit ist die Angst vor Bewertung und der Leistungsdruck angstauslösend. Relevante Situationen im Fußball sind in der Regel die Erfolgserwartung und die Wettkampfangst. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen von einem jungen Leistungskicker im Fußball berichten, der aufgrund von Fehlern und Reaktionen anderer ängstlich und verhalten auf dem Platz wirkte:

Ein 16-jähriger Leistungskicker berichtete, er traue sich seit Saisonstart nicht mehr zu, sich selbstbewusst und zielstrebig im Training und am Spiel zu beteiligen. In den Trainings- und Freundschaftsspielen spielte er einige Fehlpässe, woraufhin vor allem der Trainer und einige Mannschaftskollegen laut gemeckert hätten. Seitdem ist sein Verhalten auf dem Platz sehr zurückhaltend. Er spielte den Ball nur noch sehr ängstlich und werde jedes Mal nervös, da er in den Augen anderer wieder etwas falsch machen könnte.

Anregungen für die Praxis

Hier einige Anregungen, wie Sie mit dem oben genannten Beispiel umgehen könnten:  

Im ersten Schritt beginnt das kognitive Training, bei dem der Spieler lernt, seine angstfördernden Gedanken zu erkennen, zu überprüfen und zu verändern. Dazu werden gezielte offene Fragen formuliert, z.B. Was tatsächlich passiert, wenn er schlecht spielt? Der Kicker wird so angeleitet, den Realitätsgehalt seiner Angst zu überprüfen. Gemeinsam können dann Alternativen und hilfreiche Gedanken erarbeitet werden, die dazu beitragen, die gefürchtete Situation in Zukunft besser bewältigen zu können. Diesbezüglich besteht die Möglichkeit, nun hilfreiche Sätze auf kleine Karteikärtchen zu notieren, diese bei sich zu tragen und in Angst auslösenden Situationen hervorzuholen („Ich schaffe das!“ oder „Es kann nichts passieren!“). Auch Bildmaterial mit Mut machenden Figuren wie beispielsweise ein „Maskottchen“ können eingesetzt werden.

Weitere Hilfestellungen: 

Selbstwirksamkeitsgefühl stärken: In einer interessanten Studie zur Auswirkung des Motivationsklimas auf die Angst junger Sportler (Journal of Sport Exercise and Psychology, 2007) zeigte sich, dass Trainer, die das Selbstwirksamkeitsgefühl ihrer Spieler begünstigten, die Angst reduzieren konnten. Ähnliches kann ich mir auch gut vorstellen, für Eltern und alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.

Schaffen Sie also ein Umfeld, dass die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten fördert. Weniger Dominanz und mehr individuelle Förderung. Hier eine kleine Hilfestellung für einen besseren Zugang: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2016/10/12/dr-rene-paasch-empathiefaehigkeit-fuer-trainer/

https://www.die-sportpsychologen.de/2016/10/12/dr-rene-paasch-empathiefaehigkeit-fuer-trainer/

Ziele und Motivation: Überprüfen Sie in regelmäßigen Abständen die inneren und äußeren Einflüsse (Selbstkonkordanz) ihrer Schützlinge. Mit diesem Begriff sind die Merkmale gemeint, die sich mit der formulierten Absicht verbinden. So lassen sich also Absichten hinsichtlich ihrer Selbstkonkordanz unterscheiden und die Höhe gibt Auskunft darüber wie sehr eine gefasste Absicht den eigenen Interessen und Wertvorstellungen entspricht, was für die Reduzierung der Ängstlichkeit sehr wichtig ist. Näheres dazu:

https://www.die-sportpsychologen.de/2017/03/20/dr-rene-paasch-ziele-und-motivation/.

https://www.die-sportpsychologen.de/2017/03/20/dr-rene-paasch-ziele-und-motivation/

Mit Erfolg und Misserfolg umgehen lernen: Das Leben hat in der Regel gute und schlechte Erfahrungen. Für die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen ist der optimale Umgang mit der Situation eine wichtige Voraussetzung. Wichtig sind in diesem Zusammenhang, dass negative Emotionen wie Ärger, Wut oder Enttäuschung durchaus auf eine positive Art verarbeitet werden können. Das heißt, die Beschäftigung mit der negativen Emotion trägt zu einem konstruktiven Umgang mit der Situation bei. Näheres dazu:

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/17/dr-rene-paasch-mit-erfolg-und-misserfolg-umgehen/

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/05/17/dr-rene-paasch-mit-erfolg-und-misserfolg-umgehen/

Verhaltensänderung: Erfahrungen und Gespräche mit Kollegen bzw. Kolleginnen sprechen dafür, dass es bei Ängsten im Sport während des Kindes- und Jugendalters gewisse Selbstheilungsraten gibt, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass viele Kinder und Jugendliche ihre Ängste bis ins hohe Alter mitnehmen. Verhaltensmaßnahmen können dabei unterstützen. Diese wären:  

Für Kinder und Jugendliche

  • Umdenken bei der Bewertung von Angstauslösern und Angstsymptomen – Sichtweise verändern
  • Aufbau selbstsicheren Verhaltens – Stärkung des Selbstvertrauens
  • Konfrontationsübungen– sich der angstauslösenden Situation stellen
  • Operante Belohnungen – Verhalten belohnen
  • Kompetenztraining – soziales Kontakte ausbauen und stärken
  • Entspannungstechniken lernen – Fantasiereisen, Atemübungen,
  • Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung 

Für Eltern:

Auch Eltern müssen gegebenenfalls lernen, ihre unbegründeten Ängste um das Wohl ihres Kindes auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen und ihren Erziehungsstil entsprechend zu korrigieren.

  • Elternverhalten, das zur Aufrechterhaltung der Angst entscheidend beiträgt (stark überbehütender Erziehungsstil, Unterstützung des Vermeidungsverhaltens, Druck durch elterliche Erwartungen).
  • Abbau von überbehütendem Verhalten der Eltern bzw. Förderung der kindlichen Autonomie, gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Fazit

Angst ist ein Affektzustand, der durch die Wahrnehmung von Gefahr in der Umwelt oder im Individuum ausgelöst wird. Sie ist eine allgemeine Erfahrung und damit Teil der menschlichen Existenz. Angst dient als biologisches Warnsystem, welches bei Gefahr aktiviert wird. Als Reaktion auf eine Bedrohung richtet sie sich auf zukünftige Ereignisse. Da ein gewisses Maß von Furcht und Angst durchaus eine adaptive Emotion darstellt, ist es nicht überraschend, dass Emotionen, die ein Gefühl von Kontrolle erhöhen, während der Kindheit und Jugend häufig auftreten. Nur wenn sie übermäßig stark sind oder in einem entwicklungsunangemessenen Kontext stehen, geben sie Anlass zu Besorgnis. In diesem Fall empfehle ich ihnen mit professioneller Hilfe von Fachkräften Rücksprache zu halten.

Mehr zum Thema:

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/08/28/dr-rene-paasch-angst-im-nachwuchssport/

Literatur

Reinhard, H.G. (1992): Angst im Kindes- und Jugendalter. In Müller, U. (Hrsg.), Angst und Angsterkrankungen (S. 91-103). Regensburg: Roderer.

Miller, S.M., Boyer, B.A. & Rodoletz, M. (1990): Anxiety in children – nature and development. In Lewis, M. & Miller, S.M. (Eds.), Handbook of Developmental Psychopathology (pp. 191-207). New York: Plenum Press.

Schmidt, M.H. & Blanz, B. (1989): Angstsyndrome im Kindes- und Jugendalter. Acta Paedopsychiatrica, 52, 36-43.

Internet

https://journals.humankinetics.com/doi/pdf/10.1123/jsep.29.6.706

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Prof. Dr. René Paasch
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