Florian Reus über die Angst vor dem Glücksgefühl

Florian Reus ist zwar mit 30 Jahren noch relativ jung für die ganz langen Ultraläufe. Dennoch hat der Sport- und Soziologiestudent schon jetzt die meisten Einzelmedaillen für den Deutschen Leichtathletik-Verband bei internationalen Meisterschaften in den Ultramarathon-Disziplinen sammeln können. Motiviert durch die Faszination für große Ziele und dem damit verbundenen Vorbereitungsaufwand hat er sich insbesondere auf den 24-h-Lauf beziehungsweise auf Distanzen mit einer ähnlichen Zeitspanne spezialisiert. Dementsprechend wird der für die LG Würzburg startende Wahlhesse auch bei der 32. Auflage des Spartathlons, welcher Ende September über 246 Kilometer von Athen nach Sparta führt, an der Startlinie stehen.

Für die-sportpsychologen.de berichtet:

Florian Reus

Florian Reus ist seit 2010 Mitglied der Ultramarathon-Nationalmannschaft des Deutschen Leichtathletik-Verbands (aktuell A-Kader) und war Sportler des Jahres der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung 2013, 2012 und 2007.

Seine größten Erfolge: Vize-Weltmeister und Europameister im 24-Stunden-Lauf 2012 in Katowice (Polen) über 261,7km, Europameister und 3. Platz der Weltmeisterschaft im 24-Stunden-Lauf 2013 in Steenbergen (Niederlande) über 259,9km, 2. Platz beim Spartathlon 2013 – 246 Kilometer von Athen nach Sparta; 4 x Deutscher Meister im 24-Stunden-Lauf (Rekordmeister): 2012 in Stadtoldendorf über 255,4km , 2011 in Reichenbach/Vogtland über 246,3km, 2007 in Scharnebeck über 233,1km, 2006 in Reichenbach/Vogtland über 205,3km

 

Florian Reus, welche Rolle spielt die Psyche bei einem Wettkampf wie dem Spartathlon?

Dadurch, dass es bei solch einer langen Wettkampfdistanz praktisch unmöglich ist, ohne das Auftreten von Problemen und Krisen durchzulaufen, kommt der Psyche eine enorme Bedeutung zu. Genauso wie bei meiner Hauptdisziplin, dem 24-h-Lauf, habe ich natürlich auch beim Spartathlon den Anspruch an mich, eine der ersten Platzierungen zu belegen. Um dies zu realisieren, darf man sich aber praktisch keine Schwächeperioden, die mit größeren Zeitverlusten einhergehen, leisten. Dementsprechend ist es bei solchen Wettkämpfen immer mein Ziel, komplett ohne Sitzpausen oder Ähnlichem durchzulaufen. Dies stellt mental natürlich eine riesige Herausforderung dar, da in Schwächeperioden das Bedürfnis, das Laufen zu unterbrechen, fast grenzenlos ist. Vor allem in den einsamen Nachtstunden, in denen das vordere Läuferfeld beim Spartathlon weit auseinander gezogen ist und auch selbst in Griechenland die Temperaturen recht unangenehm werden können, ist mentale Stärke Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Ergebnis.

Wie bereitest Du dich mental auf diesen Wettkampf vor?

Das wichtigste in meiner mentalen Vorbereitung ist die Tatsache, dass ich mich gedanklich sehr stark mit dem jeweiligen Wettkampf auseinandersetze. Dabei versuche ich mich immer ein Stück weit in den Lauf hineinzuversetzen. Das sind zum einen Vorstellungen über ein erfolgreiches Abschneiden und den damit verbundenen Emotionen. Dies geschieht oft auch ganz unbewusst während einer lockeren Trainingseinheit, manchmal auch mit solch einem intensiven Nachspüren, dass die Herzfrequenzanzeige auf meiner Trainingsuhr förmlich in die Höhe schießt. Meist kann man in der letzten Woche vor einem wichtigen Wettkampf mit mir nicht mehr wirklich viel anfangen, da meine Gedanken ständig bei der bevorstehenden Aufgabe sind. In dieser Phase versuche ich mich dann aber auch ganz bewusst in die zu erwartenden Problemsituationen hineinzuversetzen. Meist ist es ja so, dass man mit etwas zeitlichem Abstand nach einem harten Wettkampf vergisst, welche Strapazen mit dem erfolgreichen Abschneiden verbunden waren. Stattdessen bleiben meist vor allem die schönen Erinnerungen erhalten. Dementsprechend versuche ich mich möglichst intensiv all die mit Sicherheit auftretenden Strapazen und auch Schmerzen vorzustellen. Nur durch die intensive Auseinandersetzung mit all diesen Begleiterscheinungen gelingt es mir, gerade in der Schlussphase eines langen Wettkampfes an die Schmerzgrenze zu gehen. An dieser Stelle muss ich auch dazu sagen, dass ich es in den Tagen vor dem Wettkampf vermeiden möchte, ausschließlich positive Stimmungen hinsichtlich des Wettkampfes aufkommen zu lassen. Dies mag vielleicht auf den ersten Blick etwas absurd klingen, jedoch habe ich meine besten Leistungen immer dann erbracht, wenn ich vor dem Wettkampf und den damit verbundenen Strapazen eine ganz gehörige Portion „Angst“ hatte. Das ging manchmal sogar soweit, dass ich nachts vor wichtigen Läufen nur sehr wenige Stunden geschlafen habe. Die Vorfreude ergibt sich stattdessen meist durch die große Spannung auf das zu erwartende Ergebnis von selbst.

Wenn es unterwegs beginnt schwer zu werden und weh zu tun – Wie gehst Du damit um?

Mein Ziel ist es, alle auftretenden Ereignisse im Wettkampf mit möglichst stoischer Ruhe hinzunehmen. Dies bezieht sich während des Wettkampfes im Übrigen auch auf die Vermeidung von übermäßigen Glücksgefühlen, da ich es auch schon erlebt habe, nach einem Hochgefühl wenige Stunden später in ein umso größeres Loch zu fallen. Ich glaube, dass mir heute in schwierigen Phasen meine Erfahrungen, die ich in mittlerweile etwa 15 Läufen mit einer Größenordnung von 24 oder mehr Stunden gesammelt habe, zu Gute kommen. Manchmal hat man schon nach der Hälfte des Rennens eine schwere Krise zu bewältigen. In solchen Momenten fällt es unwahrscheinlich schwer, den Glauben an ein gutes Endergebnis aufrechtzuerhalten. Stattdessen fällt man leicht in eine Stimmung der Resignation, bei der man sich den weiteren Rennverlauf als ständige Abwärtsspirale vorstellt, nach dem Motto: „Wenn ich jetzt schon keine vernünftige Geschwindigkeit mehr laufen kann, wird das mit noch mehr Kilometern in den Beinen nur noch schlimmer sein“. In solchen Situationen können mir auch Aufmunterungen von Betreuern, Mitläufern oder Zuschauern kaum helfen. Dementsprechend habe ich in der Anfangszeit meiner Ultramarathonkarriere auch mal den einen oder anderen Lauf vorzeitig abgebrochen, da ich es mir einfach nicht mehr vorstellen konnte, noch ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen und deshalb keinen Sinn mehr in der Quälerei sah. Heute hab ich auf Grund meiner selbst gemachten Erfahrungen das Wissen, dass man durchaus auch nach frühzeitigen Problemen wieder in das Rennen zurück finden kann. So versuche ich, in solchen Situation Ruhe zu bewahren und mich gedanklich genau auf diese erlebten Erfahrungen zu berufen. Außerdem stelle ich mir selbst in diesen Situationen gedanklich die Frage, was denn rein objektiv das beste Handeln für den Erfolg sei, wodurch mir nichts anderes „übrig bleibt“ als Ruhe zu bewahren und weiter zu laufen.

Was mir in Phasen der Schwäche außerdem sehr gut hilft ist die Tatsache, dass ich mir selbst vergegenwärtige, den leistungssportlichen Ultralauf nur als zeitlich begrenzte Lebensepisode auszuüben. Mit dem Wissen, dass ich solche Wettkämpfe mit der Motivation, ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen, nur einige Jahre betreiben möchte, fällt es mir leichter, an die totale Grenze zu gehen. So kam es durchaus schon vor, dass ich in der Endphase von 24-h-Läufen ein baldiges Ende der leistungsambitionierten Karriere beschlossen habe. Manchmal ist es also durchaus sinnvoll, sich selbst auszutricksen.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de

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