Prof. Dr. Oliver Stoll: BVB-Schock beeinflusst Leistung

Auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund, der sich auf dem Weg zum Champions League-Viertelfinalspiel gegen den AS Monaco befand, wurde am Dienstag ein Anschlag verübt. Es entstand schwerer Sachschaden, zudem erlitt BVB-Verteidiger Marc Bartra schwerwiegende Verletzungen, die zu einer Operation führten. Die UEFA-Offiziellen entschieden, die Partie für den Dienstag abzusagen, aber gleich am Mittwoch neu anzusetzen. Aus sportpsychologischer Perspektive eine problematische Entscheidung.

Zum Thema: Der Umgang mit einem Anschlag auf Leib und Leben

Man könnte ja meinen, dass man heutzutage einfach mit der Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland leben muss. Was aber gestern Abend passierte, eröffnet aus meiner Sicht „eine neue Dimension“ der Gefährdungswahrnehmung im bundesdeutschen Profisport-Geschäft. Klar, erinnern wir uns noch an den Bombenanschlag in Paris, als die deutsche Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel gegen Frankreich absolvierte und den daran anschließenden, blutigen Terroranschlag in Bataclan-Club, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Aber zum o.g. Spiel kamen zunächst keine Zuschauer und keine Athleten zu Schaden. Das ist seit Dienstagabend nicht mehr so. Der Bombenanschlag auf den Bus des BVB auf dem Weg ins Stadion hat offensichtlich zu einer schweren Verletzung an der Hand des Innenverteidigers Marc Bartra geführt. Über die möglicherweise psychischen Auswirkungen bei Spielern und Betreuern können wir ja eigentlich nur spekulieren. Nun soll das Spiel am Mittwochabend nachgeholt werden. Wie sinnvoll ist das?

Ganz sicher ist dies ein Zeichen in Richtung der Täter. „Man will sich nicht unterkriegen lassen“. Also aus Funktionärs- und Verbandssicht zunächst nachvollziehbar. Aus psychologischer Sicht habe ich da so meine Bedenken. Schauen wir uns an, was passiert, wenn eine Person psychisch traumatisiert wird (ohne zu wissen, ob die Spieler des BVB das sind – aber es wäre ja möglich). In der akuten Bedrohungssituation schaltet unser Zentrales Nervensystem auf „Kampf oder Flucht“. Es geht ja immerhin um Leben und Tod. Das ist zunächst reiner Selbstschutz. Was gestern aktuell im Bus nach dem Anschlag passiert ist, wissen wir bislang noch nicht. Wenn die akute Situation vorbei ist, dann kann es entweder dazu kommen, dass tiefe Wut  oder Trauer einsetzt, oder aber die Opfer sich ganz ins ich selbst zurückziehen, quasi so etwas wie einen „katatonen Stupor“ entwickeln. Manche Opfer möchten sofort aufarbeiten und darüber reden. Anderen Opfern geht es besser, wenn sie das Erlebte zunächst verdrängen. So oder so – die Opfer sind einen Tag nach einem solchen Erlebnis, emotional und kognitiv nachhaltig durch das Ereignis beeinflusst. Helfen können hier eigentlich am besten ausgebildete Krisen-Interventions-Helfer oder eben Psychologinnen und Psychologen. Dabei rede ich hier zunächst erst einmal nur über die Ereignisverarbeitung.

Jürgen Walter: Der spielfähige Zustand des BVB

In der Regel leistungsbeeinträchtigende Wirkung

Nun sollen die Spieler tagsdarauf ein Champions-League-Spiel absolvieren. Auch wenn wir wissen, dass Leistungssportler viel Erfahrung mit erlebten Niederlagen oder auch sonstigen Krisen haben, was eventuell dazu führt, dass der eine oder andere gelernt hat, mit schwierigen Situationen umzugehen und in der Lage ist, dieses Ereignis auszublenden, so ist es doch eher wahrscheinlicher, dass diese Besorgniskognitionen und Emotionen die Überhand gewinnen können. Und dies wirkt in der Regel leistungsbeeinträchtigend. Wenn eine Mannschaft dann auch noch sozial sehr eng zusammensteht, dann sind die emotionalen Reaktionen ganz sicher noch intensiver, als wenn man eine Fußballmannschaft nur aus „Kollegen, die einen Job zusammen machen“ betrachtet. Hier wäre ja schon zumindest eine gewisse emotionale Distanz vorhanden, was eine Rationalisierung des Erlebten erleichtern würde.

Wir wissen nicht, wie es in den Köpfen der Spieler gerade aussieht. Vielleicht entwickeln sie gemeinsam so eine Einstellung, wie „Jetzt erst Recht!“ Oder aber, sie haben irgendwie überhaupt keine Lust auf Fußballspielen – werden es dann aber müssen. Ich wünsche den Spielern und dem Unterstützerteam auf alle Fälle viel Kraft und Mut für   die schwere Aufgabe. Und spätestens dann im Anschluss die Möglichkeit, das Erlebte professionell aufarbeiten zu können.           

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Prof. Dr. Oliver Stoll
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