Jürgen Walter: Der spielfähige Zustand des BVB

Die Nachricht kam gestern wohl für jeden einigermaßen Fußball-Interessierten sehr überraschend – eventuell sogar schockierend: Der Mannschaftsbus von Borussia Dortmund wurde auf dem Weg von Hotel zum Stadion durch die Detonation dreier Sprengsätze beschädigt, ein Spieler wurde verletzt und wurde ins Krankenhaus gebracht, die Austragung der Partie steht auf der Kippe. Wenige Stunden später, ca. um 20:30 Uhr, stand dann fest, dass das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Borussia Dortmund und dem AS Monaco nicht wie geplant stattfinden, sondern am heutigen Mittwoch um 18:45 Uhr nachgeholt wird. Die Reaktionen darauf waren geprägt von Verständnis, gegenseitigem Respekt und Solidarität, insbesondere der mitgereisten monegassischen Anhänger.

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Jedoch wurde natürlich auch relativ schnell der Blick zurück aufs Sportliche gelenkt. Dabei wurde relativ klar, welche Intention BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke verfolgte: „Druck von der Mannschaft nehmen“, war wohl die Devise. Diese habe eine „sehr gravierende Erfahrung“ gemacht und sei „extrem geschockt.“ Er sprach von einer „Herkulesaufgabe“, die Mannschaft innerhalb eines Tages wieder in „einen spielfähigen Zustand zu versetzen.“

Für den einen klingt das absolut angemessen und psychologisch durchaus clever, der andere sieht in solchen Aussagen schon im Vorfeld die Entschuldigung für eine mögliche Niederlage. Aber völlig unabhängig davon, wie man solche Aussagen bewertet, ist eines völlig klar: Spätestens, wenn Schiedsrichter Daniele Orsato heute um 18:45 Uhr die Partie anpfeift, müssen die Spieler die gestrigen Geschehnisse ausblenden und sich ausschließlich auf das Sportliche konzentrieren.

Keine Vorbereitung auf Extremereignis

Auf den ersten Blick scheint es kaum möglich zu sein, sich mental auf solch ein plötzliches Extremereignis, wie in diesem Fall ein Sprengstoffanschlag, wirklich vorzubereiten und selbstverständlich stehen die Betroffenen kurz danach unter Schock, sodass die Spielverlegung die einzig richtige Entscheidung war. Jedoch sind bis auf Marc Bartra, der durch Glassplitter an der Hand verletzt und noch in der Nacht operiert wurde, aber ansonsten auch wohlauf ist, alle Spieler körperlich unversehrt geblieben und daher zumindest physisch auch in der Lage am nächsten Tag ihre Leistung abzurufen.

Die vollständige Aufarbeitung des gestrigen Tages erfolgt höchst individuell und mag für den ein oder anderen Spieler auch längere Zeit in Anspruch nehmen, aber Fragen wie „Was, wenn heute nochmal so etwas passiert?“ oder „Was, wenn einem von uns Schlimmeres passiert wäre?“ haben im Laufe des Spiels incl. Vor- und Nachbereitung keinen Platz. Während die Partie läuft, können die Spieler kein anderes Problem der Welt lösen und das Sportliche muss zu 100% im Fokus stehen. Anderweitige Sorgen, Ängste und Probleme, Vertragspoker, Eheprobleme oder ein solcher Anschlag können gedanklich zwar manchmal auftauchen, jedoch sollte ein Spieler gelernt haben und in der Lage sein, seine Gedanken insoweit zu kontrollieren und Negatives auszublenden. In solchen Momenten gilt es, die (Gedanken-)Stopptaste zu drücken vor allem wenn der Spieler bemerkt, dass es über (negative) Vermutungen nachdenkt, die darüber hinaus nicht zielführend sind und das Abrufen der vollen Leistungsfähigkeit behindern.

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Sicherheit als Grundlage

Natürlich kann immer irgendetwas passieren. Die Bewertung dieser Wahrscheinlichkeit obliegt aber nicht den Spielern, sondern (in diesem Fall) der Polizei, sodass sich die Mannschaft darauf verlassen kann, dass bei Austragung des Spiels auch sämtliche Vorkehrungen getroffen sind, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Wenn dieses Vertrauen nicht bestände, dürfte man streng genommen an keiner öffentlichen Veranstaltung mehr teilnehmen und schon gar nicht – als Spieler, Funktionär, Medienvertreter oder Zuschauer – ein Fußballstadion betreten. Ein – kalkuliertes – Restrisiko besteht immer.

Watzke bezeichnete gestern Abend sein „persönliches Sicherheitsgefühl“ als gut – hoffen wir, dass dies auch für die Mannschaft gilt und diese heute am frühen Abend ausschließlich ihre spielerischen Aufgaben mit dem Ziel das Halbfinale der Champions League zu erreichen im Kopf hat. Dann, so Watzke, kann ein Ereignis wie das gestrige „die Familie noch mehr zusammen [schweißen].“ So pathetisch dieser Satz auch klingt, falsch ist er nicht.

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Jürgen Walter
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