Prof. Dr. Oliver Stoll: Frühlingszeit, Fehlerzeit

Die Saisonplanung machen die meisten Hobby-Läufer in der Weihnachtszeit. Zwischen diesem Zeitpunkt der Zielsetzung und der nun beginnenden Wettkampfsaison liegen harte Wochen und Monate – kurze Tage, wenig Helligkeit und oftmals Kälte. Ist diese schwierige Phase mehr oder weniger gut überstanden, sind Freizeitsportler stark gefährdet, einen großen Fehler zu machen: Wenn sie nämlich sklavisch an den Zielen aus der Weihnachtszeit festhalten. Noch im Winter haben die gut gemachten Motivationsvideos oftmals zu ambitionierten Zielen geführt – allerdings steht das seither absolvierte Trainingspensum dazu nicht immer in einem gesunden Verhältnis. Es ist also gerade jetzt gefragt, eine realistische Selbsteinschätzung an den Tag zu legen, um ein massives Mißerfolgserlebnis zu vermeiden.

Zum Thema: Weshalb Freizeitsportler ihre Saisonplanung stetig überdenken sollten

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Jetzt ist genau der Moment, in dem Sie ganz klar und objektiv über Ihr zentrales Ziel für die Saison 2016 nachdenken sollten, welches Sie sich vor einigen Monaten vorgenommen hatten. Allen voran, wenn die Anforderungen, die dieses Ziel an Sie stellt, Sie plötzlich zu erschlagen scheinen. Dies passiert, wenn die Liste der aufzubringenden Opfer und der vielen Hindernisse, die sich in den Weg stellen, immer länger werden und sich wie ein riesiger Berg auftürmen. Der Weg zu Ihrem Ziel erscheint wie eine sich endlos windende Straße, übersät mit vielen Schlaglöchern und Hindernissen. In einem solchen Moment hilft eine alte Weisheit, die wohl ursprünglich von Konfuzius stammte, jedoch von einigen pfiffigen Langstreckenläufern umformuliert wurde: „Auch 42,195 km beginnen mit einem ersten Schritt“. Machen Sie sich bewusst, dass es fast unmöglich ist, das Ziel und seine komplexen Wirkungsmechanismen bis zu seiner Erreichung überschauen zu können. Es ist verlorene Zeit, sich seinen Kopf über all die vielen Dinge, die bis dahin erledigt werden müssen, zu zerbrechen. Sie können immer nur eine Sache zu einer bestimmten Zeit erreichen. Lernen Sie also Ihre Bemühungen und Ihre Konzentration auf Zwischenziele und auf die Überwindung einzelner Hindernisse zu richten. Versuchen Sie folgende Ratschläge zu berücksichtigen:

Entscheiden Sie nun noch einmal genau, was Sie erreichen wollen! Geht es darum, ein neue Bestzeit über 10 km laufen zu wollen? Oder steht etwa ein Marathon am Ende Ihrer Straße?

Erkennen Sie die Hindernisse, die Sie an Ihrer Weiterentwicklung hindern. Das können organisatorische Hindernisse (z.B. Der nächste Lauftreff ist 10 km entfernt und Sie schaffen es nicht rechtzeitig, von der Arbeit wegzukommen) und/oder Klippen im sozialen Umfeld sein (Hält Sie Ihr Lebenspartner vielleicht für verrückt, weil Sie bei jedem Wetter eine Stunde im Wald verschwinden?). Sehr oft sind es kleinere oder größere Verletzungen, die einen am Training und somit an der Zielerreichung hindern können.

Entscheiden Sie ganz bewusst, was nötig ist, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Das können klärende Gespräche mit Freunden oder Bekannten sein oder etwa eine Trainingspause, die oftmals mehr schmerzt als die Hinderung daran, dass man sich nicht frei entfalten kann.

Errichten Sie spezifische Ziele, die Ihnen dabei helfen, ein Hindernis nach dem anderen anzugehen. Das bedeutet, dass für Sie jedes Zwischenziel und sein Erreichen eine genauso hohe Bedeutung hat wie das eigentliche Endziel.

Ein Wegplaner zum Ziel

Hilfreich für die Umsetzung dieser Ratschläge ist das Erstellen eines Wegplaners, wie er in Abbildung 8 dargestellt ist.

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Abbildung 8: Wegplaner zum ersten Marathon (aus Stoll & Ziemainz, 2016)

Sie streben beispielsweise an, Ihren ersten Marathon in ca. sechs Monaten zu absolvieren. Schreiben Sie dieses Ziel ganz oben an das Ende der gewundenen Straße. Überlegen Sie sich jetzt gut, was Ihnen beispielsweise auf dem Weg zu Ihrem Ziel dazwischenkommen kann. Formulieren Sie nun mit Ihren eigenen Worten diese Hindernisse und notieren Sie dies in die Kästchen „Hindernis 1, Hindernis 2 etc.“. Versuchen Sie dabei so präzise wie möglich zu sein – überlegen Sie aber nicht zu lange! Damit trainieren Sie gleichzeitig die Fähigkeit, schnell und konsequent Entscheidungen zu treffen und sind so in der Lage, Ihren Wegplan ständig zu aktualisieren und zu verbessern.

Prinzipien der Zielsetzung

Lassen Sie uns noch einmal die Prinzipien der Zielsetzung zusammenfassen:

Seien Sie bei der Formulierung Ihrer Saisonziele so prägnant wie möglich. Vage Angaben über Ziele reichen zumeist nicht aus, um eine Motivation stark genug zu machen, damit sie Hindernissen und Störgrößen entgegenwirken kann. Überlegen Sie sich sehr genau, wie Sie das anvisierte Ziel erreichen wollen, wieviel Zeit Sie benötigen werden und wie Sie eine mögliche Leistungssteigerung messen können.  

Ihr anvisiertes Ziel sollte immer im Bereich des Möglichen sein. Bleiben Sie mit Ihren Wünschen auf dem Boden der Realität. Aus der Sportpsychologie wissen wir, dass präzise, herausfordernde Ziele eine bessere Leistung hervorbringen als leichte oder überhaupt keine Ziele. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kontrollierbarkeit der Zwischenziele bzw. des Endziels. Versuchen Sie Ihre Leistungen und Ihre Zielerreichung ständig unter persönlicher Kontrolle zu halten.

Bleiben Sie bei allem, was auch immer Sie beeinflusst, auf dem Boden der Tatsachen. Bürden Sie sich keine undurchführbaren Ziele auf. Alle Ziele sollten Ihrem momentanen Leistungsstand entsprechen. Sie sollten jedoch danach streben, sich Schritt für Schritt zu verbessern. Haben Sie keine Angst davor, Ziele, wenn sie z.B. durch eine Verletzung nicht mehr durchführbar sind, umzubewerten.

Alle Ihre Ziele sind persönliche Ziele. Sie bestehen einzig und allein in Beziehung zu Ihnen und Ihrer Leistungsfähigkeit. Entscheiden Sie ganz alleine, was Sie erreichen wollen. Orientieren Sie sich nicht an den Zielen anderer Läufer.

Motivation lässt sich am besten durch Erfolg steigern und stabilisieren. Trainieren Sie so, dass Ihr Erfolg von Zeit zu Zeit sichtbar ist, oder anders ausgedrückt, machen Sie Ihren Erfolg durch irgendein objektives Kriterium mess- und sichtbar. Denken Sie ebenfalls daran, dass die Vielfältigkeit von Zielen die Wahrscheinlichkeit von Erfolg erhöht.

 

Literatur:

Stoll, O. & Ziemainz H. (2016). Mentales Training im Langstreckenlauf (5. überarbeitete Auflage). Hamburg: Czwalina.

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