Wir von Die Sportpsychologen werden regelmäßig für interessante Interviews angefragt: Kürzlich war ich live bei Radio 3 vom RBB zu Gast (Link siehe unten). Thema des Gesprächs: Eine brandaktuelle Untersuchung der University College London (UCL), die derzeit in der Sportpsychologie und Gesundheitspsychologie diskutiert wird. In der Studie von Ronco et al. (2025) gingen die Forschenden der spannenden Frage nach, ob unsere Persönlichkeit vorhersagen kann, welche Trainingsintensitäten uns am meisten Freude bereiten – und wie stark wir nach einem Trainingsprogramm tatsächlich Stress abbauen? Die Ergebnisse könnten nicht nur für Sportler*innen, sondern auch für Trainer*innen und Therapeut*innen wegweisend sein.
Zum Thema: Integration von Persönlichkeitsmerkmalen in die Sportpsychologie: Optimierung von Trainingsprogrammen und psychischer Gesundheit
Persönlichkeit – was ist das ?
Die „Big Five“ sind ein weit verbreitetes Konzept in der Psychologie, das fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit beschreibt. Diese Dimensionen helfen, die grundlegenden Unterschiede zwischen Individuen zu erklären und ihre Einflüsse auf Verhalten, Emotionen und Interaktionen zu verstehen. Diese fünf kulturübergreifenden Dimensionen umfassen:
- Neurotizismus: Dieses Merkmal beschreibt die Tendenz zu emotionaler Instabilität und Anfälligkeit für negative Emotionen wie Angst, Wut oder Depression. Personen mit hohem Neurotizismus haben häufiger Schwierigkeiten im Umgang mit Stress und neigen eher zu pessimistischem Denken und emotionaler Reaktivität.
- Extraversion: Extraversion steht für die Neigung zur Geselligkeit, Aktivität und emotionalen Ausdrucksfähigkeit. Extravertierte Menschen suchen aktiv soziale Kontakte und sind oftmals lebensfroh und durchsetzungsstark, während Menschen mit niedrigerem Extraversion-Wert oft eher zurückhaltend und introvertiert sind.
- Offenheit für Erfahrungen: Diese Dimension beschreibt das Interesse und die Offenheit gegenüber neuen Ideen, Erfahrungen, kreativen Prozessen und der Vielfalt des Lebens. Personen mit hoher Offenheit sind oft neugierig, künstlerisch interessiert und unkonventionell in ihrem Denken.
- Verträglichkeit: Verträglichkeit bezieht sich auf die Neigung zur Kooperation, zum Mitgefühl und zur sozialen Harmonie. Personen, die in diesem Merkmal hoch bewertet werden, sind oft freundlich, mitfühlend und altruistisch veranlagt, während niedrige Werte für Misstrauen und Wettbewerb orientiertes Verhalten stehen können.
- Gewissenhaftigkeit: Diese Kategorie beschreibt das Maß an Organisation, Disziplin und Zielstrebigkeit einer Person. Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit sind oft zuverlässig, fleißig und detailorientiert, während Menschen mit geringer Gewissenhaftigkeit oft spontaner und unstrukturierter sind.
Beeinflussen Persönlichkeit und Sport sich gegenseitig? – Zur Beziehung zwischen Sportpräferenzen, Persönlichkeit und Motivation
Es ist allgemein bekannt, dass Menschen Tätigkeiten bevorzugen, die ihnen Freude bereiten. Die Studie von Ronco (2025) an der UCL verdeutlicht, dass Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluss darauf haben, welche Intensität des Sports als angenehm empfunden wird und in welchem Maße das Training zur Stressreduktion beiträgt. Aus den Persönlichkeitsmerkmalen lassen sich Präferenzen für bestimmte Sportarten ableiten. Extrovertierte Personen neigen dazu, hochintensive Workouts zu bevorzugen, während gewissenhafte Individuen strukturierte Programme wie Krafttraining bevorzugen. Personen mit einem hohen Maß an Neurotizismus ziehen kürzere Einzelsportarten vor, während solche mit hoher Verträglichkeit Freude an ausgedehnten Ausdauereinheiten finden. Gewissenhafte Menschen meiden hochintensive Einheiten. Diese Ergebnisse liefern der sportpsychologischen Praxis wertvolle Anhaltspunkte für eine gezieltere Gestaltung von Angeboten im Breitensport und tragen zur Reduzierung von Einstiegshürden bei. Eine gezielte Ansprache kann helfen, diese Hürden abzubauen, indem Trainingseinheiten individuell angepasst werden und der Sport somit Spaß und Freude bereitet.
Kurz gesagt: Die Studie zeigt, dass Sport nicht für alle gleich „wirkt“ – welche Trainingsart uns Spaß macht und wie sehr sie uns entspannt, hängt auch von unserer Persönlichkeit ab.
Verändert Sport die Persönlichkeit?
Das Ausüben einer neuen Sportart und der regelmäßige Besuch von Fitnesstudios führt zwangsläufig nicht zu einer Veränderung der Persönlichkeit. Vielmehr steigt die Motivation, kontinuierlich körperlich-sportlich aktiv zu bleiben (z.B. regelmäßige Trainingsbesuche), wenn Sportart und Persönlichkeit gut passen und Spaß bereiten. Positive Erlebnisse, möglicherweise durch biologisches Feedback (z.B. Dopaminausschüttung, Muskelaufbau, Stressreduktion), können im Laufe der Zeit zu einer Verhaltensänderung führen. Diese automatisierten Verhaltensweisen können sich dann zu Gewohnheiten und schließlich zu einem neuen, gesünderen und sportlicheren „Lifestyle“ entwickeln. Aufgrund dieser neuen (gesundheitsfördernden) Gewohnheiten kann sich dann die (kognitive und emotionale) Einstellung zum Sport im Laufe der Zeit wandeln, während Persönlichkeitsmerkmale relativ stabil bleiben – jedoch kann sich daraufhin die PersönlichkeitsWEITE verändern (z.B. dass eine Person, die introvertiert ist, sich eher in Teamsportarten einzubringen, als diese zu meiden) – eine Persönlichkeit lässt sich nicht „komplett verändern“, aber entwickeln.
Ähnliche Ansätze sind auch in der Wirtschaft bekannt, indem durch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen (z.B. Führungskräfteentwicklung auf Basis eines systemischen Coachings) führungsrelevante Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. Dominanz oder Einfühlungsvermögen entwickelt werden.
Wie kann der Sportpsychologe bei der Persönlichkeitsentwicklung im Gesundheits- und Leistungssport helfen?
Sportpsychologen spielen eine bedeutende Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung sowohl im Gesundheits- als auch im Leistungssport. Ihre Unterstützung reicht von der Verbesserung der mentalen Stärke und Selbsterkenntnis bis hin zur Förderung eines gesunden Umgangs mit Stress und Leistungsdruck.
Im Leistungssport sind mentale Stärke, Konzentration, Selbstvertrauen und Motivation entscheidend für den Erfolg. Sportpsychologen helfen nicht nur dabei, diese mentalen Fähigkeiten zu entwickeln, sondern bieten auch Werkzeuge zur Bewältigung von Ängsten und zur Steigerung der Leistungseffizienz.
Systemische Beratungsansätze können eine wichtige Rolle bei der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung im Sport spielen, indem sie einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der die physischen, psychologischen und zwischenmenschlichen Aspekte des Lebens eines Sportlers in Einklang bringt. Dieser Ansatz konzentriert sich darauf, den Sportler in seinem weiteren sozialen Kontext zu verstehen, einschließlich seiner Beziehungen zu Trainern, Teamkollegen und seiner Familie. Die Forschung betont, wie wichtig es ist, diese zwischenmenschlichen Beziehungen bei der Entwicklung von Sportlern zu berücksichtigen, da sie sowohl zum psychischen Wohlbefinden als auch zur sportlichen Leistung einen wesentlichen Beitrag leisten.
Wie kann die Sportpsychologie beim Aufbau von gesundheitsfördernden Routinen von regelmäßiger sportlicher Aktivität und Fitness unterstützen?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen, wöchentlich mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive aerobe körperliche Aktivität zu betreiben. Diese Aktivität sollte über die Woche verteilt werden – im Alltag werden diese Empfehlungen oft nicht erreicht.
Die Sportpsychologie ist entscheidend für die Etablierung gesundheitsfördernder Gewohnheiten durch regelmäßige sportliche Betätigung. Sie trägt zur Verbesserung der psychischen und physischen Gesundheit bei, indem sie Strategien zur Verhaltensänderung und zur Steigerung der Motivation einsetzt. Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert die psychische Gesundheit durch Stressabbau und die Förderung positiver Stimmungen. Dies geschieht durch die Regulation des hormonellen Stresssystems und verbessert die neuronale Plastizität im Gehirn, was die Stimmung und das kognitive Leistungsniveau steigern kann.
Sportpsychologen, die zusätzlich eine systemische Ausbildung vorweisen, wie etwa eine Approbation in Systemischer Psychotherapie abgeschlossen haben, können in der sportpsychologischen Betreuung den Schwerpunkt auf die Interaktionen und Beziehungen zwischen Individuen und ihren sozialen Systemen setzen. Diese Herangehensweise kann beim Etablieren von Routinen für körperliche Aktivität von Vorteil sein. Diese Beratungsform betrachtet den Einzelnen nicht isoliert, sondern als Teil eines Beziehungsnetzwerks, das das Verhalten beeinflusst. Durch diese Perspektive kann der systemische Ansatz helfen, Routinen für körperliche Aktivitäten zu schaffen, indem sie Faktoren wie Unterstützung durch Familie und Freunde, persönliche Ziele und Motivationen sowie organisatorische und zeitliche Strukturen einbezieht. Sportpsychologen mit systemischen Schwerpunkt können mit Athleten*innen und Laiensportler*innen zusammenarbeiten, um Hindernisse zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, die soziale Unterstützung und Motivation zur regelmäßigen Fitness-Ausübung maximieren. Ein weiterer Aspekt des systemischen Beratungsansatzes ist die Betonung individueller Stärken und Ressourcen, die aktiviert werden können, um Veränderungen zu fördern und zu stabilisieren. Durch das Erkennen und Nutzen dieser Ressourcen kann der Einzelne effektivere Strategien finden, um körperliche Aktivität in den Alltag zu integrieren, aufrechtzuerhalten und langfristig die Gesundheit zu fördern.
Link zum RBB-Beitrag:
Quellen:
Ronca, F., Tari, B., Xu, C., & Burgess, P. W. (2025). Personality traits can predict which exercise intensities we enjoy most, and the magnitude of stress reduction experienced following a training program. Frontiers in psychology, 16, 1587472. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2025.1587472
Silverman, M. N., & Deuster, P. A. (2014). Biological mechanisms underlying the role of physical fitness in health and resilience. Interface Focus, 4(5), 20140040. https://doi.org/10.1098/rsfs.2014.0040 Walton, C. C., Tamminen, K. A., Rice, S., Frost, J., Gwyther, K., Kerr, G., Purcell, R., Kim, J., Henderson, J. L., & Pilkington, V. (2024). Mental Health Among Elite Youth Athletes: A Narrative Overview to Advance Research and Practice. Sports Health: A Multidisciplinary Approach, 16(2), 166–176. https://doi.org/10.1177/19417381231219230
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