Dr. René Paasch: Mentalitätstrainer im Fußball – ein Job mit großer Zukunft

Woche für Woche klingt es in unseren Ohren. „Die Mannschaft braucht Mentalität” oder “Mentalität schlägt Qualität“. Sportexperten und Trainer benutzen diesen Begriff, um einen Sieg zu erklären oder eine Niederlage zu rechtfertigen. Auch Matthias Sammer, TV-Experte und Berater von Borussia Dortmund, sprach vor kurzem auf dem Sportbusiness-Kongress SpoBis in Düsseldorf über die Mentalität im deutschen Fußball: „Der deutsche Fußball war immer geprägt von einer Siegermentalität: nie aufgeben.” Doch wo sind die genannten Experten in den Vereinen für das Thema Mentalität? Im Profifussball sind reichlich Fachkräfte unterwegs (Physiotherapeuten, Mediziner, Athletiktrainer, Trainer, Co-Trainer 1 und 2, Teammanager u.v.m. – nur eher selten Sportpsychologen), aber einen Mentalitätstrainer habe ich noch nicht gesehen. Dabei wäre es – nicht zuletzt für uns Sportpsychologen – einfach. Denn Mentalität lässt sich entwickeln.

Zum Thema: Der Mentalitätstrainer im Fußball

Mentalität (hergeleitet vom lateinischen mens – den Geist betreffend) bezeichnet eine psychische Anlage im Sinne eines Denk- und Verhaltensmusters einer Person oder sozialen Gruppe. Bezogen auf den Sport ist die Mentalität eine bestimmte Art, wie wir denken, fühlen und handeln. Sie ist Bestandteil jeder eigenen Persönlichkeit und aller Teams und äußert sich in Handlungen oder im „Nicht“ tun.

Wie aus den Medien bekannt, zählen im Fußball nur die eingefahrenen Siege und Titel. Man kommt schnell zur Erkenntnis, was zum Erreichen dieses Zieles nie fehlen darf: Die individuelle und kollektive Mentalität! Selbst unter Kollegen gibt es keine allumfassende Erklärung. Aus diesem Grund möchte ich mich diesem Thema nähern.

Mehr Infos zu Dr. René Paasch: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Ziel Weiterentwicklung

Ein erster Überlegungsansatz liegt in der Annahme, dass Sportler und Mannschaften mit Mentalität sich stetig weiterentwickeln und immer gewinnen wollen. Hierzu ein Beispiel aus meiner Arbeit: Max Müller (Name wurde verändert) ist einer der kommenden deutschen Nachwuchskicker im Fußball, den ich seit Jahren betreue und der bereits im Jugendfussball sehr auffällig war. Max zeichnet aus, dass er nie verlieren kann. Nicht im Training und auch nicht in einem Pflichtspiel. Ähnliches gilt für die Verbesserungen seiner individuellen Fähigkeiten. Dieses macht aus meiner Sicht deutlich, dass sich der Drang zum Sieg und die damit verbundenen Eigenschaften (Einstellung, Leidenschaft, Wille, harte Arbeit, Selbstvertrauen) als Wegbegleiter und Erfolgsgarant sehr wichtig sind.

Ein weiterer Punkt, der mir immer wieder auffällt, ist die Zielplanung und – umsetzung. Die meisten erfolgreichen Spieler und Mannschaften gaben im Vorfeld den größtmöglichen Erfolg als Ziel an. Diese Zielsetzung wird von der Eigenschaft begleitet, den sportlichen Weg sehr akribisch und täglich zu verfolgen. Damit gehen eine konzentrierte Haltung und eine Leidenschaft im täglichen Tun einher. Die meisten Leistungskicker richten ihr gesamtes Leben auf das gesetzte Ziel aus. Sie leben rund um die Uhr für den Traum. Auch wenn das oft bedeutet, andere Lebensbereiche zu vernachlässigen. Wenn man seinen Sport nicht leidenschaftlich und voller Überzeugung ausführt, wird man höchstwahrscheinlich nie erfolgreich sein oder kontinuierlich wachsen. Wer nicht bereit ist, Zeit und Geduld aufzubringen, hat wenige Chancen im Leistungsfussball zu bestehen. Ein weiterer Faktor liegt in der Ausrichtung der individuellen Fähigkeiten, auch in schwierigen Zeiten. Es gibt nur wenige Lebensläufe von großen Spielern und Mannschaften, die nicht auch Rückschläge zu verkraften hatten und dann mit Willensstärke bewiesen, noch besser werden zu wollen.

Mentalitätsmannschaft

Die erste wichtige Voraussetzung ist eine klare Idee bezüglich der Führung und Teamentwicklung. Der Verein muss eine für alle annehmbare Vision, Identität und Personalpolitik verfolgen, wie z.B.: Welcher Trainer- und Spielertyp ist gewünscht und welche Entwicklungsschritte sollen vollzogen werden? In diesem Bereich haben vor allem die leistungsorientierten Vereine aufgrund regelmäßiger personeller Fluktuationen zu kämpfen. Die Mentalität einer Mannschaft hängt außerdem oft von einer klaren Aufgaben- und Rollenverteilung ab, wie beispielsweise die Alters- und Charakterstruktur einer Mannschaft. Beides beflügelt und ergänzt sich. Denn die Anzahl an Erfahrungswerten verbunden mit jugendlicher Frische ist in diesem Zusammenhang leistungsfördernd. Dabei unterscheidet man zwischen der Erfahrung als Träger für Kontinuität und Stabilität oder das Bewusstsein für den jugendlichen Ehrgeiz.

Selbst der regelmäßige Erfolg lässt sich nicht potenzieren, ohne dass der Einzelne und die Mannschaft Zeit und Geduld aufbringen. Doch diese Zeit ist oft nicht gegeben. Des Weiteren ist die Kommunikation auf und neben dem Platz als gesteigerte Mentalitätsform eine unerlässliche Eigenschaft. Dabei spielt das menschliche Verständnis eine zentrale Rolle. Des Weiteren muss immer eine Balance zwischen den individuellen Bedürfnissen und den Teambedürfnissen vorherrschen. Dies führt im Idealfall dazu, dass die Mannschaft dominant auftritt und von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugt ist.

Selbstwirksamkeit ist die Mentalität Nummer 1

Selbstwirksamkeit bedeutet, dass jemand die Überzeugung besitzt, dass seine eigenen Fähigkeiten ausreichen, um eine Handlung zielgerichtet und erfolgreich durchführen zu können. Denn dies ist für die sportliche Leistungsfähigkeit auf Wettkampfniveau gut nachgewiesen worden (Barling & Abel, 1983; Eberspächer, 2007, 2008;).

Erst eine über Jahre hinweg aufgebaute Selbstwirksamkeit, lassen den Einzelnen und den Mannschaftsverbund Souveränität und Vertrauen ausstrahlen. Die kann sich in bestimmten Situationen oder Umständen zeigen. Profifußballer erwecken für gewöhnlich den Eindruck, dass sie ein großes Selbstvertrauen besitzen. Wenn ihr Team aber bei einer wichtigen Meisterschaft ins Elfmeterschießen oder in der K.O.-Phase auf großen Turnieren spielen muss, kann ihr situatives Selbstvertrauen jedoch plötzlich sinken. Hier einige praxiserprobte Anregungen:   

  • Gedanken hinterfragen und Wahrnehmung ausrichten

Leistungsdruck erleben Sportler und Mannschaften immer dann, wenn die eigenen Ansprüche immens hoch sind oder von außen Anforderungen an sie gestellt werden. Sie haben dann das Gefühl, dass eine bestimmte Leistung um jeden Preis erbracht werden muss, sonst drohen Konsequenzen. Beim selbst initiierten Leistungsdruck sind die Ansprüche selbst verursacht und gehen zurück auf Persönlichkeitseigenschaften. (Streben nach Perfektion oder Angst vor Misserfolg)

Mehr Texte zum Thema von Dr. René Paasch:

  1. https://www.die-sportpsychologen.de/2017/10/05/dr-rene-paasch-die-entschluesselung-des-siegergens/
  2. https://www.die-sportpsychologen.de/2016/08/01/dr-rene-paasch-per-woop-zum-saisonziel/
  3. https://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/19/dr-rene-paasch-fuehrung-und-teamentwicklung-im-fussball/
  4. https://www.die-sportpsychologen.de/2016/07/12/dr-rene-paasch-mentaltrainer-oder-sportpsychologe/
  5. https://www.die-sportpsychologen.de/2015/08/25/dr-rene-paasch-selbstwirksamkeit-im-fussball/

Hier einige Strategien zur Bewältigung von belastenden Situationen: Gedankenstopp, Entspannungsmethoden, Bewertungen hinterfragen, Ziele setzen und regelmäßig überprüfen, Grundbedürfnisse wie Autonomie, Akzeptanz und soziale Eingebundenheit ermöglichen.

  • Erfahrungen

Die eigene Erfahrung ist maßgeblich für die Entwicklung der Selbstwirksamkeit. Erlebte Erfolge – auch im Training und Alltag – steigern die Selbstwirksamkeit. Die stellvertretende Erfahrung hingegen wird auch dann erworben, wenn die Handlung nicht direkt selbst ausgeführt wird. Sie ist zwar eine weniger verlässliche Quelle, dennoch hat sich herausgestellt, dass Beobachtungen eine positive Überzeugung und neuronale Reize bedingen können.

  • Selbstgespräche

Selbstgespräche sollten aus zweierlei Perspektiven gesehen werden. Die externen Einflüsse, vorrangig der Trainer oder Fans und der innere Monolog. Diese Form des Trainings ist aus meiner Erfahrung die am häufigsten genutzte Strategie im Fußball. Das Selbstgespräch kann gedanklich stattfinden (internal) oder aber auch laut durchgeführt werden (external). Diese regulatorische Form der positiven Beeinflussung ist mächtig. Wie mächtig ist vielen Sportlern gar nicht bewusst.  

Alles Denkbare ist auch machbar!

Albert Einstein

Fazit

Die Entstehung einer bestimmten Mentalität im Sport erfolgt über den Erfahrungs-, Erziehungs- und Sozialisationsprozess. Bereits die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verein oder Mannschaft sowie Prägungen einzelner Akteure im Leistungssport, kann allein durch die damit verbunden Verhältnisse und deren Erleben und Kommunikation eine bestimmte Mentalität entwickeln. Bei Fußballern und bei Mannschaften ist die Entwicklung erfolgreicher Mentalitäten somit von klaren Eigenschaften und äußeren Faktoren abhängig. Dieses gilt es frühzeitig zu fördern. Die Selbstwirksamkeit ist für die sportliche Leistungsfähigkeit und somit für die Siegermentalität einer der zentralen Säulen. Denn erst eine über Jahre hinweg aufgebaute Selbstwirksamkeit, lassen den Einzelnen und Teams vielfältig wachsen und Vertrauen ausstrahlen. Trotz des allgegenwärtigen Leistungsdruck ist auch eine fürsorgliche Sichtweise zu fördern: „Loszulassen“ und das „Hier und Jetzt“ genießen, denn die Karriere ist schneller vorbei als sie begonnen hat!

Literatur

Barling, J., & Abel, M. (1983): Self-efficacy beliefs and tennis performance. Cognitive Therapy and Research, 7, 265-272.

Eberspächer, H. (2007): Mentales Training. Das Handbuch für Trainer und Sportler. 7. durchgesehene Neuauflage. München: Copress.

Eberspächer, H. (2008): Gut sein, wenn´s drauf ankommt. Erfolg durch Mentales Training. 2. überarbeitete Auflage. München: Carl Hanser.

Moritz D. E., Feltz D. L., Fahrbach K. R., Mack D. E. (2000). The relation of self-efficacy measures to sport performance: A meta-analytic review. Research Quarterly for Exercise and Sport 71, 280-294.

https://www.waz.de/sport/fussball/matthias-sammer-sorgt-sich-um-den-deutschen-fussball-id216336687.html

Mehr zum Thema:

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/03/19/dr-rita-regoes-das-deutsche-mentalitaetsproblem/

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/06/19/feature-nur-als-turniermannschaft-zum-titel/

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/03/22/dr-hanspeter-gubelmann-the-winning-mindset/

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Prof. Dr. René Paasch
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