Vielen, vielen Fußballfans zaubert diese Konstellation ein breites Lächeln ins Gesicht. Island gegen England im Achtelfinale einer Fußball-Europameisterschaft (Montag, 27. Juni, 21 Uhr). Island, der kleinste Fisch, der es je in den EM-Endrundentopf geschafft hat, verdiente sich bislang reichlich Sympathien. Aber haben die besten 23 der nicht einmal 100 isländischen Profis überhaupt eine Chance, gegen die Kicker aus dem Mutterland des Fußballs?
Zum Thema: Wie Außenseiter zu Siegern werden
Um es kurz zu machen: Ja, die Isländer haben eine Chance. Und eine der Grundbedingungen für eine mögliche Überraschung ist in den mentalen Fähigkeiten verschlüsselt. Ganz bewusst klammern wir hier alle taktischen, konditionellen und koordinativen Aspekte aus – denn das beherrschen Freaks wie spielverlagerung.de oder ARD Sportschau-Experte Mehmet Scholl deutlich besser. Hingegen bleibt die Fernseh- und Onlineberichterstattung im Hinblick auf sportpsychologische Aspekte häufig sehr eindimensional, was ich hier einmal als Auftrag verstehe.
Somit zurück zu den mentalen Fähigkeiten: Zu denen gehören neben der grundsätzlichen Leistungsbereitschaft (Wille), ein hohe Leistungsmotivation sowie die Attitüde als „ein geschlossenes Team“ auftreten zu wollen. Aber eben – und nicht zuletzt – die Haltung, die eigene Situation in ein „konstruktives Licht“ rücken zu können. Bislang haben die isländischen Kicker in allen ihren EM-Spielen, allen voran in den Partien gegen die klar favorisierten Portugiesen und die hoch geschätzten Österreicher, diese Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Die Mannschaft von Lars Lagerbäck und Heimir Hallgrimsson scheint also grundsätzlich in der Lage, ungleiche Voraussetzungen als herausfordernd zu bewerten. Solche „Bewertungen“ sind immer eine Sache des Kopfes und ein wichtiger Faktor, um Ende tatsächlich als Sieger dastehen zu können.
Isländische Kognitionsmeister
Unsere Kognitionen (oder vielleicht besser ausgedrückt „Gedanken“ – wissenschaftlich definiert als alle Prozesse der Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -abspeicherung) bilden hierfür die Grundlage. Mit unseren Gedanken steuern wir die subjektive Einschätzung einer Situation. Dabei greifen wir auf schon zurückliegende Erinnerungsinhalte, auf Informationen, die von außen kommen und auf die Einschätzung unserer Fähigkeiten zurück. Kontrollieren wir diese nicht, so überlassen wir es dem Zufall, was passieren wird – im schlimmsten Fall bewerten wir diese Ausgangssituation „bedrohlich“, was zu Stress führt, mit all seinen negativen Konsequenzen für eine sportliche Leistungserbringung. Können wir jedoch unsere Gedanken kontrollieren und steuern, dann kann es uns auch gelingen, aus einem halb leeren Glas ein halb volles Glas zu machen. Wir fokussieren dann mehr auf unsere Stärken, arbeiten mit positiven Bildern (und hier müssen die Isländer nur wenige Tage zurückdenken) und bleiben im „Hier und Jetzt“ anstatt lange herum zu grübeln. Denn im „Hier und Jetzt“ läuft alles im „Fluss“ (Flow), Automatismen können störungsfrei abgerufen werden, dort liegt das zum Beispiel im in Handballkreisen immer wieder gewünschte und sagenumwobene „Momentum“.
Gelingt es Island also, dass Spiel lange relativ offen zu halten, haben sie auf der Grundlage ihrer mentalen Fähigkeiten das Zeug zu einer Überraschung. Die Randeuropäer sind der idealtypische Außenseiter, der so lange die Beine sie tragen, wirklich alles in die Waagschale werfen werden. Ich persönlich warte ja noch auf den Moment des Eidur Gudjohnsen, der bislang nur in den Schlussminuten gegen Ungarn eingewechselt worden ist. Vor ein paar Jahren hat der 37-jährige noch für den FC Barcelona und den FC Chelsea getroffen – nicht auszudenken, was unter den Isländern los wäre, würde er in den Schlussminuten gegen England zum Freistoß antreten… die Gesichter der englischen Fans würden gefrieren.
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Hallo Oliver
Auch ich bin als bekennender “Nicht Fussballfan” fasziniert von Island. Vor allem deshalb, weil sie das tun was sie können. Mit ihren Möglichkeiten guten Fussballspielen und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Für mich entsteht der Eindruck, dass sie etwas besonders gut machen.
Mit Körper und Kopf im Hier und Jetzt zu sein.
Hinsichtlich deiner Aussage der mentalen Fähhigkeiten: “Zu denen gehörten …. , eine hohe Leistungsmotivation, ……” interessiert mich deine Meinung.
Das unbewusste Leistungsmotiv ist zweifelsohne ein wichtiger Faktor im Fussball und in anderen Sportarten. Die Arbeit mit meinen Athleten (bei denen ich die unbewussten Sportmotive kenne) zeigt jedoch, dass alle das Leistungsmotiv in der einen oder anderen Form ausgeprägt haben. Es ist jedoch nicht immer das dominierende Motiv.
Macht und Freiheit und sogar das Beziehunsmotiv (Anschluss, Affiliation) können das Zünglein an der Waage sein. Stichwort: Zu viele Stars, bei denen das Machtmotiv stark ausgeprägt ist und keiner das Gefüge zusammenhält.
Wie siehst du das?
Bei Bayern Münschen macht es beispielsweise den Eindruck, dass der ganze Club durch das Macht- und Leistungsmotiv geprägt wird.
Auch beim FC Basel spielenden Isländer Bjarnason könnte man vermuten, dass bei ihm das Machtmotiv dominierend sein ist.
Wie dem auch sei. Freuen wir uns auf attraktiven Fussball von einem entfesselten Island.
Lieber Gruss
Martin