Haben Sie am Donnerstagabend das EM-Vorrundenspiel England gegen Wales gesehen? Es machte phasenweise den Eindruck als wäre auf den Zuschauerrängen des Stade Bollaert in Lens mehr Feuereifer und unbedingte Leistungsbereitschaft anzutreffen als auf dem Rasen. Und überhaupt: Gerade die Fans der Außenseiter, sei es eben Wales, Albanien, Nordirland oder auch Island (zum ersten Gruppenspiel gegen Portugal war ein Zehntel der Landesbevölkerung im Stadion) scheinen ihre Rolle als zwölfter Mann sehr, sehr ernst zu nehmen.
Zum Thema: Welchen Einfluss haben Zuschauer auf sportliche Leistungen?
Überdurchschnittlich viele Zuschauer glauben, dass sie am Erfolg ihres Teams mitbeteiligt seien. Sie haben oft große Aufwendungen in Kauf genommen, wie lange Anreisen und teure Tickets und haben letztlich die Spieler nach Kräften angefeuert. Diese Einstellung bezieht sich aber nicht allein auf Fans im Stadion. Manche bemalen sich sogar in den Nationalfarben, wenn sie allein im Wohnzimmer sitzen und das Spiel schauen. Weil sie glauben, dass das der Mannschaft hilft. Es ist offenkundig, dass die Zuschauer sich darüber im Klaren sind, dass ihr Anfeuern sich im Allgemeinen positiv auf das von ihnen favorisierte Team auswirkt. Gelegentlich entwickelt sich allerdings eine besonders euphorische Unterstützung von Mannschaften zu einer Art Boomerang. Für Teams entsteht ein verstärkter Erfolgsdruck, dem sie gelegentlich nicht gewachsen sind. (Stollenwerk 1996). Aus dieser Äußerung von Herrn Stollenwerk ist zu erlesen, dass die Wirkung von Zuschauern positiv wie auch negativ sein kann. Doch welche Wirkung hatten die Zuschauer bei dem Spiel England vs. Wales? In diesem Zusammenhang soll hier das Modell von Zajonc näher betrachtet werden. Es gilt als eines der Wichtigsten unter diesen vielen Modellen. Es besagt, dass die bloße Anwesenheit anderer als Bedingung für deren Einfluss ausreicht:
Zajonc (1965) konstatierte also einen Zusammenhang zwischen Energie bzw. Erregung des Organismus und der Leistung, welcher sich in Form einer Glockenkurve beschreiben lässt. Verantwortlich dafür ist das aufsteigende, redikuläre Aktivationssystem (ARAS). Das System wird unspezifisch aktiviert und gibt den Impuls an das Vegetative Nervensystem weiter (Steuerung des Blutdrucks, Puls, etc.). Zwar sind alle Zuschauer gleichzeitig auch Beobachter, aber nicht alle Beobachter sind auch Zuschauer. Es gibt drei Merkmale, die zutreffen müssen, damit wir von Zuschauern sprechen. Sie sind inaktiv, im Wesentlichen aus personalen Gründen anwesend und müssen meistens Kosten dafür aufwenden. Sportjournalisten sind demnach keine Zuschauer sondern Beobachter. Beiden Gruppen wird aber unmittelbarer Einfluss auf den Akteur zugeschrieben. So unterschied Dashiell 1930 folgende Arten: Anwesenheit von leisen Personen; Anwesenheit von anderen Personen mit „unverhohlenen lautstarken Eigenschaften“, die unterstützende oder ablehnende Kommentare abgeben; Koakteure, die nicht mit dem Akteur im Wettbewerb stehen; andere mit expliziter Rivalität zum Akteur; Bewerter (Kampfrichter, Journalisten); Personen, die mit dem Akteur zusammen arbeiten (Trainer, Betreuer)
Einfluss der Zuschauer
Eine weitere Art, Einflussnahme von Zuschauern zu unterschieden, ist die Trennung in nicht unmittelbar evident und unmittelbar evident. Wenn bspw. ein Zuschauer dem englischen Torwart einen Gegenstand an den Kopf wirft, ist eine Leistungsminderung unmittelbar ersichtlich (evident). Anders verhält es sich da, wenn nur ein paar Bananen hinter sein Tor fliegen. Eine unmittelbare, evidente Einflussnahme seitens der Zuschauer ist selten.
Grundsätzlich ist aber der Zuschauereinfluss geringer, als generell angenommen wird. Ob eine Mannschaft oder ein Sportler einen Vorteil oder einen Nachteil wahrnimmt, hängt ohnehin stark von den kognitiven Fähigkeiten des Einzelnen und die kollektive Selbstwirksamkeit einer Mannschaft ab. So haben auch alle hoch emotionalen Ausbrüche der walisischen Fans im Gruppenspiel gegen England nicht dazu geführt, den großen Bruder in die Knie zwingen zu können. Aber: Auch im letzten Gruppenspiel werden die Waliser diese Methode anwenden. Nicht der Methode wegen, sondern weil dies ein ganzes Stück weit zur schönen Seite der Fußballkultur gehört. Und wer kann schon so genau sagen, ob die tiefen und furchterregenden Laute aus der isländischen Kurve im Gruppenspiel gegen Portugal Cristiano Ronaldo und Co. zumindest ein bisschen aus dem Konzept gebracht und auf isländischer Seite noch ein paar Tropfen aus dem Reservetank freigesetzt haben?
Literatur
Beckmann, J. (1991). Zuschauereinflüsse auf sportliche Leistungen. Sportpsychologie, 5, 16 – 20.
Beckmann, J. & Rolstad, K. (1997). Aktivierung, Selbstregulation und Leistung: Gibt es so etwas wie Übermotivation?. Sportwissenschaft, 27, 23 – 37.
Bierhoff-Alfermann, D. (1986). Sportpsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.
Strauss, B. (1999). Wenn Fans ihrer Mannschaft zur Niederlage klatschen. Lengerisch: Pabst.
Robert Zajonc (1965). Social facilitation. Science, 149, 269-274
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