Christian Reinhardt: Mesut Özils Körpersprache

Es ist keine einfache Zeit für Mesut Özil. Spätestens seit dem vergebenen Elfmeter im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League im Trikot von Arsenal London gegen Bayern München wird er deutlich, allen voran von Seiten der englischen Medien, kritisiert. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft steht er nach durchwachsenen Auftritten, so auch im Achtelfinale gegen Algerien, von Fans und Journalisten quasi noch „unter Beobachtung“. Die Kritik an Özil fokussiert sich dabei vor allem auf seine Körpersprache. Häufig lässt er die Schultern hängen, senkt den Kopf und Blickt auf den Boden. Im Ergebnis wirkt er unsicher, lust- und teilnahmslos.  

In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung kündigte Özil an, dass er seine Körpersprache verändern will. Im Gespräch führt er aus, dass er Perfektionist sei und sich eben über jedes schief gegangene Detail ärgere – und dies trotz des Wissens, dass ihm ein solches Verhalten eigene Stärke nimmt. Hilfe von außen lehnt er ab. Er rede darüber nur mit den Trainern, sagte Özil, und sehe auf Bildern ja selbst, wie er wirke.

Zum Thema: Wieso ist die Körpersprache im Fußball so entscheidend? 

Unsere Körpersprache berichtet der Außenwelt konstant und zuverlässig von unserem Innenleben. Ohne diese nonverbale Kommunikation wären unsere täglichen sozialen Beziehungen nicht möglich. Grundsätzlich ist die Körpersprache also eine wichtig menschliche Verständigungsmöglichkeit. In einer Wettbewerbssituation ist es allerdings nicht immer vorteilhaft, sein psychisches Erleben offen nach außen zu kehren. Zwischen dem psychischen Erleben von Personen besteht immer eine Wechselwirkung. Zeige ich durch meine Körpersprache, dass ich ängstlich bin, wird mein Gegner sehr wahrscheinlich sicherer und umgekehrt. Diese Wirkung beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Konkurrenten. Auch die Mitspieler werden die körperlichen Signale Özils wahrnehmen. Ähnlich ergeht es den Fans, die ihren einstigen Liebling daher nach den Testspielen gegen Chile und Kamerun auspfiffen.

Wie eine aktuelle Studie aus dem Fußball (Furley, Dicks & Memmert, 2012) zeigt, verursacht ein sicheres, dominantes Auftreten ein unsicheres, unterwürfiges Erleben beim Gegenüber. Die Forscher  konnten zeigen, dass die Erfolgserwartung bei Torhütern deutlich sank, wenn sie einem dominant auftretenden Elfmeterschützen gegenüberstanden, da sie dessen Qualität höher als bei einem unterwürfigen Schützen einschätzten. Die Dominanz bewirkt eine Einschüchterung, so dass der Torwart seine Leistung nicht voll abrufen kann und ihre niedrigere Erfolgserwartung zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde. Dominanz wurde übrigens durch eine herausgestreckte Brust, einen breitbeinigen Stand und einen erhobenen Kopf dargestellt, während unterwürfige Spieler durch  einen gesenkten Kopf und hängende Schultern simuliert wurden. Eben jene Körpersprache, die Mesut Özil in letzter Zeit vorgeworfen wurde. Dieser Effekt in der Elfmetersituation ist auf jede beliebige Spielsituation übertragbar.

Amerikanisches Sprichwort: „Fake it till you make it“

Es ist daher für einen Leistungssportler eine wichtige Fähigkeit, seine Körpersprache zu beherrschen. Aber: Niemand kann immer sicher und selbstbewusst sein. Man kann jedoch immer so wirken, was letztlich oft den gleichen Effekt hat. Im amerikanischen Raum gibt es in diesem Zusammenhang das Sprichwort „Fake it till you make it“. Das körperlich vorgetäuschte Selbstbewusstsein hat neben der angesprochenen Wirkung auf andere nämlich noch einen weiteren Effekt: wie bereits erwähnt bildet die Körpersprache das psychische Erleben ab. Wenn man nun die Körpersprache verändert, beeinflusst das umgekehrt auch das Innenleben.

Das ist allerdings sehr viel einfacher gesagt als getan. Unsere Körpersprache ist uns meist nicht bewusst. Jeder kennt den Moment, in dem man sich unerwartet im Spiegel oder z.B. einem Schaufenster sieht. Nach einer kurzen Schrecksekunde richten wir uns auf, heben den Blick und schieben die Brust raus, um unmittelbar nach dem Abwenden von unserem Konterfei wieder in die Ausgangshaltung zu verfallen. Um die Körpersprache zu steuern, müssen wir sie uns bewusst machen, also Aufmerksamkeitskapazitäten frei räumen. Das ist wiederum sehr problematisch in Sportarten, die die mentalen Kapazitäten voll in Anspruch nehmen. Der Schlüssel besteht daher darin, die positive Körpersprache zu trainieren (im Training, im Alltag, in Spielsituationen etc.). Es empfiehlt sich, ein Bild für das eigene selbstbewusste Auftreten zu entwickeln und es mit einem Codewort zu versehen („Maschine“, „Power“…). Dieses Bild kann auch in der Mannschaft besprochen werden, so dass sich die Spieler gegenseitig coachen können. Das permanente Training führt dazu, dass sich stabile Handlungsroutinen bilden, die im Spiel automatisch abgerufen werden können.

Zur Unterstützung der non-verbalen Kommunikation ist die verbale Kommunikation sinnvoll. Eine weitere Möglichkeit für Özil besteht daher darin, auf dem Platz mehr zu dirigieren. Wenn man in einem vollen WM-Stadion einem Mitspieler eine Anweisung zurufen will, nimmt man automatisch eine aufrechtere Haltung ein (tief Luft holen, Platz für das Zwerchfell). Gleichzeitig ist man voll auf das Spielgeschehen fokussiert und so von störenden Gedanken (z.B. Selbstzweifeln) abgelenkt, die ggf. die Körpersprache negativ beeinflussen.

Langwierige Aufgabe für Özil

Helfen könnte Özil natürlich, dass er gegen Algerien den letztlich entscheidenden Treffer erzielte. Dennoch verfiel er auch im Achtelfinale immer wieder in das kritisierte Muster, so beispielsweise direkt vor André Schürrles wegweisendem 1:0. Özil ging weit in der algerischen Hälfte sichtlich halbherzig in einen Defensiv-Zweikampf und wurde, nachdem der Ball wenige Meter hinter ihm gewonnen wurde, von mehreren Mitspielern im Angriffswirbel übersprintet.

Özil steht also, wenn er seine Defizite an der Körpersprache tatsächlich beheben will, vor einer Aufgabe, die über diese Weltmeisterschaft hinausgeht. Die Zielstellung lautet dann Selbstbewusstsein: Denn wer tatsächlich selbstbewusst ist, muss seine Körpersprache (fast) nicht steuern.

 

Literatur:

Furley, P., Dicks, M. & Memmert, D. (2012). Nonverbal Behavior in Soccer: The influence of Dominant and Submissive Body Language on the Impression Formation and Expectancy of Success of Soccer Players. Journal of Sport & Exercise Psychology, 34, 61-82.

 

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Dr. Christian Reinhardt
Dr. Christian Reinhardthttp://www.die-sportpsychologen.de/christian-reinhardt/

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3 Kommentare

  1. Wieder ein sehr interessanter Artikel, hoffentlich kriegt Özil morgen die Kurve, etwas mehr vom Balotelli Gen täte ihm sicher gut.

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