Spitzensport treibt zuweilen skurrile Blüten. Im Falle der jüngst propagierten «enhanced Games» sollen Sportler:innen mit unbeschränktem Zugang zu Dopingmitteln zu Weltrekorden gepusht werden. Wissenschaftlich unterstützt und vermeintlich «gesund und sicher» treten im Mai 2026 eine Handvoll Athlet:innen in Las Vegas zum Showdown an. Geködert mit einer Millionengage und im Windschatten einer Heerschar medizinischer Spezialisten und fragwürdiger Geldgeber sowie umstrittener World Leader soll die olympische Show neu inszeniert werden. Mit der geplanten Disruption des Sportsystems und dem visionären «Deal» muss sich auch die Sportpsychologie befassen: argumentativ und mit einer klaren Haltung!
Zum Thema: Umgang mit den enhanced Games
Um sich einen Einblick in die Welt der «enhanced games» und ihre Denke zu verschaffen lohnt ein Blick auf ihre Homepage www.enhanced.com. Mit hypem Slogan «get enhanced» gehen die Macher auf Kund:innenfang und glorifizieren ihren Business Claim «we’re reinventing sports with science» mit dem Ziel «to push the boundaries of human performance». Übersetzt und mit (Rück-)Blick in die 1980er Jahre der Leichtathletik heisst das konkret: Wir suchen einen zweiten Ben Johnson, der sich bereit erklärt, sich auf bestmögliche Art und mit der Unterstützung von Medizinern, Pharmakologen, Neurowissenschaftlern, Performance Spezialisten, Endokrinologen, Immunologen u.a.m. derart zu «laden», dass Usain Bolts 100m-Weltrekord von 09.59sec im Mai 2026 fallen wird. Und tatsächlich – mit dem US-Sprinter Fred Kerley hat sich ein valabler Anwärter unter die enhanced-Flagge gestellt und gilt nun als einer von bisher zehn Athleten-Botschaftern, «who embody the spirit of enhanced: Pushing Limits, Breaking Records».Leichtathletik-Expert:innen dürften Kerley gute Chancen einräumen, da der talentierte Amerikaner 2022 mit seiner Zeit von 09.76sec noch etwas schneller lief als der anabol-steroid gepushte Kanadier an den Spielen 1988 in Seoul. Johnsons 9.79sec dürften folgerichtig als aktueller Rekord im «enhanced Sprint» über 100m angesehen werden.
Frankenstein’s Lab, reloaded – aber wer betreut die «enhanced» Athlet:innen in Training und Wettkampf?
Fakt bleibt: Ben Johnson dürfte 1988 mit einer geringen Anzahl involvierter Personen einen maximalen Erfolg an Leistungsentwicklung erreicht haben. Unterstützt wurde er von Charlie Fancis, einem der damals renomiertesten aber auch umstrittensten Experten im Sprintbereich, der im grössten Dopingskandal der Leichtathletik-Geschichte unmittelbar beteiligt war. Relevant für Las Vegas-Starter:innen dürfte hingegen sein, wer sie in trainings- und wettkampftechnischer Sicht unterstützen wird. Oder anders gefragt: Welche Coaches, Trainer:innen, Physiotherapeut:innen, Sportpsycholog:innen, Vereine, Verbände, Sponsoren usw. werden sich bereit erklären, sich der Idee der «enhanced Games» zu verpflichten und damit gegen olympische Statuten, ethischen Richtlinien oder Berufsordnungen zu verstossen? Nach geltender Rechtslage werden Betreuer:innen, die gegen Dopingstatuten verstossen, juristisch belangt und entsprechend sanktioniert. Dazu kommen sportethische und moralische Aspekte, deren gesellschaftliche Wahrnehmung und Einordnung über Erfolg oder Misserfolg zukünftiger »enhanced Games» mitenscheiden dürften. Welche Anerkennung und welchen öffentlichen Zuspruch könnte einem Sprinter zufallen, der an den von Trump, der saudischen Königsfamilie und ausgewählten Unternehmen gesponserten Spielen Usain Bolts Weltrekord bricht?
Sprint-Weltrekorde und eine Vision, die auf Disruption basiert
Welche Ziele verfolgen die enhanced Games und ihr Gründer Aron d’Souza? Tagesanzeiger-Redaktor Simon Graf resümiert in seinem Interview mit dem Unternehmer: «Der 40-Jährige bricht mit allen Regeln des Sports. Er setzt auf gedopte Athleten, technische Aufrüstung – und eine radikale Vision vom Menschen der Zukunft.» D’Souza bezeichnet den aktuellen Sport und das IOC als heuchlerisch, antiwissenschaftlich, technologie- und fortschrittsfeindlich. Sie dagegen setzen auf Disruption, wollen Spiele für optimierte Athlet:innen, mit anderen Regeln und Rekorden. «Wir wollen Bedingungen schaffen, unter denen wir Weltrekorde brechen, mehr Medikamente verkaufen, mehr Forschung und Entwicklung betreiben, bessere Medikamente entwickeln – und wieder neue Rekorde brechen. Das ist ein positiver Rückkopplungseffekt, der zu optimierten Sportereignissen, mehr Medikamentenverkäufen und mehr Forschung führt».
Die Betreuungsformel in ihrem entsprechend optimierten Sportsystem klingt in den Worten D’Souzas geradezu verführerisch einfach: «Alle Athleten, die bei den enhanced Games antreten, sind wie Premier-League-Spieler. Wir zahlen ihre Gesundheitsversorgung, wir übernehmen ihre Reisen, wir kümmern uns um alles. Sie gehören zum Team und bekommen ein vollständiges Betreuungsangebot. Da besteht also kein Risiko.»
(Selbst-)Kritische Haltung auch seitens der Sportpsychologie gefordert
So skurril es klingen mag: von den Machern von «enhanced Games» können und müssen wir lernen. Das zitierte Interview im Tagesanzeiger spricht eine Vielzahl von Herausforderungen im aktuellen Spitzensport an, die bei mir – ehrlich gesagt – auch mulmige Gefühle auslösen. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Dopingproblematik, die wesentlich schwerwiegender ausfällt, als uns die verantwortliche Kommission WADA Glauben schenken will. Im Zentrum des Diskurses steht eine breit angelegte Studie (Ulrich et al. 2018), die bei 2167 anonym befragten Eliteathleten auf eine mögliche Prävalenz eines Dopingmissbrauchs von bis zu 44% kommt. Die kritische Analyse der renommierten Autoren wirft tonnenschwer Wasser auf die Mühlen d’Souzas’ & Kollegen: «Doping scheint unter Spitzensportlern bemerkenswert weit verbreitet zu sein und bleibt trotz der derzeitigen biologischen Tests weitgehend unkontrolliert. Die hier vorgestellte Erhebungsmethode wird es zukünftigen Forschern ermöglichen, kontinuierliche Referenzschätzungen zur Prävalenz von Doping zu erstellen.» Leider wurde es im Anschluss daran versäumt, diesen Forschungsansatz weiterzuführen, was durchaus kritikwürdig ist.
Je stärker ich mich mit dem Thema befasse, umso klarer die Einsicht: Die Sportpsychologie und ihre Vertreter:innen werden nicht umhin können, sich verständlich, kompetent und sichtbar in die Auseinandersetzung einzubringen. Meine konkreten Anliegen gehen in folgende drei Richtungen:
Unsere Position: Die Sportpsychologie und ihre Berufsverbände sind aufgerufen, ihre Haltung zum Thema «enhanced Games» zu entwickeln und diese auch aktiv und in der (Sport-)Öffentlichkeit zu vertreten. Dazu gehört ein Argumentarium/Position Statement, welches z.B. im Hinblick auf die geplanten Spiele im Mai 2026 in Las Vegas publiziert wird.
Meine eigene Haltung: Ich fühle mich persönlich verpflichtet, meine eigene Haltung als praktizierender Sportpsychologe hinsichtlich der Thematik zu klären. Für mich im Zentrum steht hier der moralisch-ethische Anspruch an meine Dienstleistung als Sportpsychologe – oder konkret: Soll und darf ich alles unterstützen, was ich inhaltlich/praktisch in der Zusammenarbeit mit Athlet:innen (z.B. im Jugendalter) auch tun/anwenden könnte?
Notwendige Konsequenzen: Eine eigene Haltung impliziert situativ-angemessenes Handeln, sobald ich mit dem Thema konfrontiert werde. Konkret werde ich mich Ende Oktober im Rahmen der ETH-Podiumsdiskussion «Leistung um jeden Preis? Doping und Supplemente im Hobby- und Spitzensport» in die kritische Diskussion einbringen.
Quellen:
https://www.tagesanzeiger.ch/wettkampf-enhanced-games-aron-dsouza-setzt-auf-doping-232580414555
Ulrich, R., Pope, H.G., Cléret, L. et al. Doping in Two Elite Athletics Competitions Assessed by Randomized-Response Surveys. Sports Med 48, 211–219 (2018). https://doi.org/10.1007/s40279-017-0765-4
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