Dr. René Paasch: Zum Teufel mit dem 12. Mann

Zweiundzwanzig spielen Fußball, Tausende und Zehntausende sehen zu. Sie stehen um das Spielfeld herum, kritisieren, pfeifen, geben ihr sachverständiges Urteil ab, feuern die Spieler an, beklatschen einzelne Leistungen, arbeiten sich am Schiedsrichter ab. Sie spielen innerlich mit. Mehr noch: Der Fan möchte mitbestimmen, ob die Lieblingsmannschaft gewinnt beziehungsweise auf- oder absteigt. Dafür schafft er sich eine eigene Wirklichkeit. Über das Phänomen der Kontrollillusion im Fußball und deren Beeinflussung sportlicher Leistung des Stadionpublikums handelt dieser nun folgende Artikel.

Zum Thema: Kontrollillusion im Auf- und Abstiegskampf

Gibt es diese Kontrollmöglichkeit des Stadionpublikums, welche so gerne von den aktiven Fußballern als „12. Mann“ bezeichnet wird? Inwieweit ist es den Sportzuschauern überhaupt möglich, einen direkten Einfluss auf die Leistung ihrer Lieblingsmannschaft und Spieler auszuüben?

Steigen wir mal ein: Ellen Langer stellte 1975 als Erste das Phänomen der Kontrollillusion fest. Sie untersuchte es systematisch und erforschte, dass Menschen oft so handeln, als hätten sie einen Einfluss auf Vorgänge, auf die sie objektiv keinen Einfluss haben. Dies ist beispielsweise bei Bundesligaspielen auf jeder Tribüne zu beobachten. Sicherlich kann niemand den Ausgang eines Fußballspiels beeinflussen oder den entscheidenden Pass zum Torerfolg leisten. Aufgrund ihrer vermeintlichen “Fachkompetenz” glauben sie jedoch oft, das Ergebnis der Mannschaft vorher sehen und beeinflussen zu können. Sie sind einer Kontrollillusion ausgesetzt, die sie glauben lässt, das Spiel in der Hand zu haben. Die Illusion der Kontrolle ist umso stärker ausgeprägt, je mehr man sich einbildet, in das Handeln eingreifen zu können, weil man zu wissen glaubt, welche Handlung (Aufstellung, Spielereinkäufe) zum Ziel führt. Wir versuchen intuitiv so viele Dinge wie möglich zu steuern, wie bspw. Rituale, Regeln und festgelegte Verhaltensweisen. Diese geben uns Halt und Sicherheit. Paradox: Andererseits verzichten wir häufig in Situationen auf Kontrolle, in denen wir sie eigentlich ausüben könnten. Ein gutes Beispiel ist das Gesundheitsverhalten (Gesunde Ernährung, Bewegung, weniger Stress u.v.m.).

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Sportzuschauer und die Beeinflussung sportlicher Leistung

Doch zurück zu den Fans. Den aktiven Fans, die in den Stadien für die Atmosphäre sorgen und sehr eng mit dem Team und ihrem Verein verbunden sind. Wodurch entsteht ihre unbeschreibliche Motivation als Fan eine solche Leistung abzurufen? Dies liegt aus meiner Sicht in der Verbindung und im Erfolg des Vereins. Sie erwarten positive Gefühle, wie Optimismus und Leistungsfähigkeit, wenn ihre Mannschaft gewinnt. Und sicher gehen viele davon aus, dass sie den Erfolg mitbestimmen können. Demgegenüber gibt es aber Untersuchungen, die zeigen, dass der Einfluss von Zuschauern im Fußball und komplexeren Sportarten nicht gegeben ist. Die Angesprochenen unterliegen der Kontrollillusion. In einer Untersuchung von Strauß (1999) von rund 10.000 Partien der Fußball-Bundesliga zwischen 1963 und 1995 zeigt er erstaunliche Ergebnisse auf. Die einladende Mannschaft siegt häufiger, wenn weniger Fans anwesend waren als im Saisondurchschnitt. Wenn dagegen mehr Fans ins Stadion kommen als im normalen Durchschnitt einer Saison, so hat die Gastmannschaft größere Chancen.

Aber mal langsam: Die Fans ohne Wirkung? Vielleicht sogar mit einer tendenziell negativen? Schauen wir genauer hin: Die bekannteste Methode zur positiven Einwirkung auf die Leistungen der eigenen Mannschaft und Spieler ist das Anfeuern durch Klatschen und Gesänge, wohingegen das Auspfeifen, das Beschimpfen oder das Entmutigen zentrale Verhaltensweisen zur negativen Beeinflussung der Leistung der gegnerischen Mannschaft darstellen (Strauß, 1999). Ob diese Verhaltensweisen ihren gewünschten Effekt erzielen, bleibt weiterhin unklar, da die Wissenschaft zu keinem allgemeingültigen Urteil kommt. So findet Strauß (1999, 132ff) zusammenfassende Nachweise, sowohl für einen leistungssteigenden-, als auch für einen leistungsmindernden- oder überhaupt keinen Zuschauereinfluss.

Fazit

Fan-Sein ist ein ganz wichtiger Faktor im menschlichen Leben. Entsprechende Personen investieren sehr viel Leidenschaft und Energie. Das wird häufig unterschätzt. Es gibt wenig Bereiche, in den Menschen so viel Zeit investieren. Fangesänge können durchaus motivierend sein aber auch zu Fehlern einzelner Spieler führen. Der wichtigste Punkt in dieser Betrachtung ist: Ein guter Profifußballer blendet diese Bedingungen jedoch nahezu aus. Die Spieler sind von ihren Vereinen inzwischen so gut geschult, dass sie äußere Einflüsse ignorieren können sollten. Schauen wir mal, ob uns dies in den letzten Bundesligaspielen der Saison 2017/018 so bestätigt wird oder ob sich noch Nachholbedarf zeigt. Das Gerangel um die europäischen Startplätze und vor allem der Kampf um den Klassenerhalt in der ersten und zweiten Bundesliga bieten wunderbaren Anschauungsunterricht.  

 

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Literatur

  1. Kübert R., Neumann H., Hüther J., Swoboda W. Fußball, Medien und Gewalt. Medienpädagogische Beiträge zur Fußballfan-Forschung (S.45-50). München: KoPäd-Verlag
  2. Langer, E. (1975): The Illusion of control. Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 32, Iss. 2, S. 311–328
  3. Pilz, G.A., Schippert, D. Silberstein, W. (Eds.) (1990): Das Fußballfanprojekt Hannover. Ergebnisse und Perspektiven aus praktischer Arbeit und Wissenschaftlicher Begleitung. Münster (lit).
  4. Pilz G., Behn S., Klose A., Schwenzer V., Steffan W., Wölki F. (2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. Schorndorf: Hofmann-Verlag
  5. Strauß, B. (Hrsg) (1998). Zuschauer. Göttingen: Hofgrefe
  6. Strauß, B. (1999): Wenn Fans ihre Mannschaft zur Niederlage klatschen. Lengerich: Pabst
  7. Strauß, B. (2002a). Über den Heimvorteil. Spectrum der Sportwissenschaft, 14, 70-90.
  8. Strauß, B. & Welberg (2008). Der Heimvorteil bei Kontinentalmeisterschaften im Fußball. Spectrum , 20 (1), 64 – 73.

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