Thorsten Loch: Schreckgespenst Formtief

Martin Kaymer, der beste deutsche Golfer seit Bernhard Langer, erlebte einen kometenhaften Aufstieg. Im Jahr 2011 setzte er sich erstmals auf Platz eins der Weltrangliste. Nach Langer ist Kaymer erst der zweite Deutsche, dem dies Kunststück gelang. Viele Experten sahen in ihm bereits den kommenden Sieger der nächsten Turniere. Doch in den beiden folgenden Jahren blieb Kaymer deutlich hinter seinen Möglichkeiten und rutschte in der Weltrangliste sogar aus den Top 50. Erstmals seit 2007 blieb Kaymer in dieser Saison 2013 ohne einen Turniererfolg. Anfänglich sprachen die Außenstehenden von Pech, doch mit weiterhin ausbleibendem Erfolg und weniger guten Spielleistungen, wurden die kritischen Stimmen lauter und die Presse nahm erstmals das Wort Formtief in den Mund. Doch was genau ist ein Formtief? 

Zum Thema: Worin liegen die Gründe, wenn der Athlet längere Zeit seiner „normalen“ Form hinterher läuft?  Und was kann man tun, um aus einem Formtief wieder herauszukommen oder besser noch im vorhinein einzudämmen bzw. zu verhindern?

In der Welt des Leistungssport ist diese Situation keine Seltenheit. Spitzensportler unterliegen natürlichen Leistungsschwankungen. Nach dem eher schlechteren Abschneiden, im Vergleich zu den Erfolgsjahren zuvor, ist der Ausnahmegolfer offenkundig wieder auf dem Weg nach oben. Kaymer ist es gelungen, diese Phase der Karriere durchzustehen und womöglich sogar stärker herauszukommen als vorher. Doch was ist passiert? Die Antworten dazu sind komplex, genau wie das Phänomen „Formtief“ als solches. Die meisten Trainer und die Athleten selbst scheinen der Entwicklung dieses Phänomens hilflos gegenüberzustehen, ohne etwas dagegen zu tun oder tun zu können. Aussagen wie „Es lief doch so gut und dann der plötzliche Einbruch“ vernimmt man immer wieder, wenn Athleten und Trainer nahezu hilfesuchend/verzweifelt versuchen, eine Erklärung zu finden. Alles ist gut und plötzlich ist es da, das Schreckgespenst der Sportler.

Formtiefs und deren Ursachen

Gerade im leistungsorientierten Sport sind Formtiefs häufig als Reaktion auf chronischen Stress zu beobachten. Die unterschiedlichsten Belastungsbereiche können von den Stressoren betroffen sein. Ein Zuviel an Training in Kombination mit zu wenig Regenerationszeit, sportliche Misserfolge, Unstimmigkeiten mit dem sportlichen Umfeld, Verletzung und außersportliche Belastungen sowie private Probleme sind nur einige Beispiele, welche in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Leider lässt sich häufig beobachten, dass Sportler konzeptlos, mit unsystematischen Überreaktionen und einer ausgeprägten Hilflosigkeit auf ein Formtief antworten. Dieses unsystematische Verhalten hat zur Konsequenz, dass die Leistungskurve weiter abfällt. Es entsteht eine Art ¨Teufelskreis¨, weil versucht wird, den weiteren Abfall wieder mit einem Mehr an Training usw. zu kompensieren. Daraus wird deutlich, dass den Trainern in diesem Prozess eine tragende Rolle zukommt, indem sie in ihre Trainings- und Saisongestaltung den Athleten genügend Regenerationszeiten zwischen den Trainings- und Wettkampfeinheiten  einräumen sollten. Denn nachwievor gilt, dass zu geringe Erholungszeiten als vorherrschender Auslöser für einen erhöhten Stresszustand zu sehen ist (Kleinert, 2003). Ein zusätzlicher Faktor, welcher das Stresslevel ebenfalls negativ beeinträchtigen kann, ist die Länge der Wettkampfsaison. Dies wird in den Aussagen Kaymers in einem Zeitungsinterview deutlich. In diesem schildert er, dass er im kommenden Jahr seinen Wettkampfkalender ändern und nicht vier Monate am Stück in den USA bleiben möchte. In diesem Zusammenhang beschreibt Kaymer, dass er in diesem Punkt sogar die Nationalspieler wie Schweinsteiger und Co. beneiden würde. Diese sind nicht ständig aus dem privaten Umfeld gerissen und kehren nach Spielen schnell nach Hause zurück. Dies zeigt, dass chronischer Stress nicht ausschließlich die sportliche Leistungsfähigkeit betrifft. Davon betroffen sein können ebenfalls das Wohlbefinden und Verhalten auf anderen Ebenen des Sportlers. Im ungünstigsten Fall führt eine lang andauernde Belastung zu einem so genannten ¨Burn-out-Syndrom¨ des Athleten. Doch bevor ein Sportler ein Burn-out-Syndrom mit seinen katastrophalen Folgen erfährt, befindet dieser sich in einem erhöhten Stresszustand, dessen Symptome der Ausgebranntheit sich bereits abgeschwächt auf der mentalen, emotionalen und physischen Ebene widerspiegeln.

Vorboten von Formtiefs

Wie bereits eingangs beschrieben, kommt ein Formtief nie plötzlich und unerwartet, sondern kündigt sich an. Hier heißt es also, wer die Zeichen frühzeitig erkennt, hat schon halb gewonnen. Die häufigen Warnsysteme dieses erhöhten Stresszustandes teilen sich in psychologische und physiologische Symptome. Nach Henschen (1998) sind Beispiele für psychologische Symptome u.a. Schlafstörungen, der Verlust des Selbstvertrauens sowie emotionale und motivationale Schwankungen. Ein erhöhter Ruheplus, Gewichtsverlust und Darmprobleme können den physiologischen Symptomen zugeordnet werden. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Stresssymptome demnach vielfältiger Natur sind und ihre leistungsmindernde Wirkung sowohl auf der Verhaltensebene als auch über emotionalen und körperlichen Reaktionen zeigen. Während solche Signale noch auf Verhaltensebene dem aufmerksamen Trainer auffallen, wird es auf der physiologischen und emotional-kognitiven Ebene schwierig. Dazu bedarf es einer genauen Diagnostik, bei der Instrumente wie Fragebögen, Einzel- sowie Gruppengespräche sowie Trainings- und Wettkampfbeobachtung zum Einsatz kommen. An dieser Stelle ist es durchaus sinnvoll, einen qualifizierten Sportpsychologen zu Rate zu ziehen, weil dieser sich mit den Instrumenten auskennt. Die Diagnostik kommt somit eine entscheidende Rolle zu. Wird aufgrund einer fehlerhaften Diagnose falsche Interventionen abgeleitet, sind die Ursachen des Formtiefs nicht zu beheben.

Maßnahmenplan

Erfolgversprechende Maßnahmen orientieren sich deshalb an einer systematischen Diagnose des Formtiefs. Je nach Situation ist zu prüfen, ob Maßnahmen im Bereich der Trainingsgestaltung ratsam sind oder am Verhalten des Sportlers ansetzen sollten. Durch einen individuell zugeschnittenen mental orientierten Maßnahmenplan wird in der Praxis versucht, einem Leistungstief und dem damit verbundenen erhöhten Stresszustand entgegenzuwirken. Als praktikabel haben sich Techniken wie kurzfristige Zielsetzungen, Entspannungstechniken und positive Selbstgespräche erfolgreich etabliert.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass Formschwankungen zu jeder wettkampforientierten sportlichen Betätigung dazugehören und nicht dramatisiert werden sollten. Vorausgesetzt, dass das Selbstvertrauen des Athleten nicht darunter leidet. Eine Veränderung der Trainingsgestaltung kann hierbei schon helfen, dass sich aus einer normalen Leistungsschwankung kein Formtief entwickelt. Oder wie Kaymer erklärt, dass er „einfach mal normale Sachen“ machen möchte, wie Erdbeerenpflücken.

Literatur:

Kleinert, J. (2003). Erfolgreich aus der sportlichen Krise. Mentales Bewältigen von Formtiefs, Erfolgsdruck, Teamkonflikten und Verletzungen. BLV Verlagsgesellschaft mbH. München.

Henschen, K.P. (1998). Atletic staleness and burnout: diagnosis, prevention and treatment. In: Williams, J.M. (Hrsg). Applied sport psychology. Mountain View, CA., Mayfield.

http://www.rp-online.de/sport/andere/martin-kaymer-sucht-ausweg-aus-der-krise-aid-1.3476500

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Thorsten Loch
Thorsten Lochhttp://www.die-sportpsychologen.de/thorsten-loch/

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