Philippe Müller: Zwei Länder, zwei Ansichten

Seit dem 12. August wird um Medaillen gelaufen, gesprungen, geworfen und gestossen. Die diesjährige Leichtathletik-Europameisterschaft ist zu Gast in Zürich. Rund 1400 Athletinnen und Athleten aus 50 Ländern nehmen an den Wettkämpfen teil. Darunter befinden sich 92 Deutsche Athletinnen und Athleten sowie 53 “Swiss Starters”.

Zum Thema: Wie viel Sportpsychologie braucht die Leichtathletik?

Sowohl die Deutschen als auch die Schweizer treten mit einem starken Team bei der Leichtathletik-EM an. Es ist nichts Neues, dass verschiedene Länder unterschiedliche Philosophien verfolgen. Denn nicht zuletzt sind auch die Voraussetzungen und Ziele ganz andere. Der Leistungssport-Chef von Swiss Athletics, Peter Haas, formuliert hohe Ziele: “Wir wollen eine Medaille gewinnen und mindestens sechs Top-8-Platzierungen erreichen”. Die Deutschen wollen wiederum ihr Image als “Wegwerfgesellschaft” loswerden. In den kommenden Tagen sollen nicht nur in Wurf- und Stoßdisziplinen groß aufgetrumpft werden. Auch in den Laufdisziplinen werden Podestplätze angestrebt.

In die Vorbereitung wurde beiderseits viel investiert. Mit dem Swiss Starters Programm wurden ausgewählte Athletinnen und Athleten gezielt gefördert. Im großen Kanton, wie Deutschland von den Schweizern genannt wird, wurde in den Laufdisziplinen auf neue Konzepte gesetzt. Die Optimierung der Bewegungstechnik und der Kräfteverhältnisse stand ganz oben im Trainingskalender. Ebenfalls wurde das Periodisierungssystem verändert und der Glaube an sich selbst gefördert.

Ein gutes Selbstvertrauen ist, wie in jeder Sportart, von großer Bedeutung. Doch auch andere psychologische Faktoren spielen in der Leichtathletik eine gewichtige Rolle. Und hier liegt der größte Unterschied zwischen den beiden Nationen. Während die Deutschen mit professionellen Betreuungsangeboten auf die psychischen Anforderungen reagieren, wird in der Schweiz die Bedeutung heruntergespielt.

Auf dem mentalen Auge blind 

Seit 2010 ist Dr. Michael Gutmann leitender Verbandspsychologe im Deutschen Leichtathletikverband (DLV). Er hatte die Deutsche Delegation bereits zu den Olympischen Spielen in London begleitet. Der DLV bekennt sich somit zur Wichtigkeit der Sportpsychologie in der Leichtathletik. Dr. Michal Gutmann formuliert es folgendermassen: “In vielen Sportarten ist es inzwischen zu einer hohen Leistungsdichte gekommen. Wer im Spitzenbereich etwas erreichen will, muss alle Ressourcen ausschöpfen. Dazu gehört auch der mentale Bereich. Das hat sich inzwischen herumgesprochen und keiner, der seinen Sport mit professionellem Anspruch betreibt, kann mehr ernsthaft daran vorbei. Im Gegenzug hat sich auch die Sportpsychologie entwickelt, um diesem Anspruch gerecht zu werden.”

In der Schweiz wird lediglich von einer Minderheit die mentale Komponente berücksichtigt. Eine systematische Förderung durch den Verband gibt es nicht. Peter Haas sieht keinen Bedarf in diesem Bereich. In einem Interview im Schweizer Fernsehen sagte er: “Es gibt auch Trainer, die einen gewissen Teil des Mentaltrainings abdecken und Impulse geben können. […] Es braucht nicht nur Sportpsychologen und sonst welche Leute. Das kann man auch mit einfachen Mitteln machen. Und es sind nicht wenige, die in diesem Bereich ein bisschen was machen”.

Die physischen Fertigkeiten müssen zweifelsohne gegeben sein, um eine Höchstleistung zu erbringen. Die Rolle der Sportpsychologie sollte jedoch nicht unterschätzt werden. In einigen Disziplinen haben die Athletinnen und Athleten nur einen Versuch. Besonders in solchen Momenten zählen dann die mentalen Fertigkeiten umso mehr. Ob es reicht, in solchen Situationen “ein bisschen was” gemacht zu haben, wird sich herausstellen.

Quellen:

Swiss-Athletics.ch: http://www.swiss-athletics.ch/de/leistungssport/ambitioniertes-schweizer-team-will-an-der-heim-em-eine-medaille.html

Zeit-Online: http://www.zeit.de/sport/2014-08/sprinter-leichtathletik-europameisterschaft-zuerich

Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie: http://www.asp-sportpsychologie.org/aktuell_einzeln.php?ID=160

Schweizer Fernsehen: http://www.srf.ch/sport/mehr-sport/leichtathletik/schafft-schweizer-leichtathletik-die-trendwende

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Philippe Müller
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