Prof. Dr. Oliver Stoll: Laufen im Mai – Von Hitze, viel Grübeln und mit allen Sinnen genießen (Streakrunning-Serie, Teil 6)

Kaum, dass man es sich versieht, ist auch schon der „Wonnemonat“ Mai vorbei. Dabei hat der Mai 31 Tage; ist also ein eher „langer Monat“. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit verflog. Schon Friedrich Hebbel wusste zu sagen:  „Ein Maitag ist ein kategorischer Imperativ der Freude“. Das bringt es wohl auf den Punkt! Schon in den Wintermonaten habe ich mit den „Mai-Bildern“ vor meinem inneren Auge gespielt. Es ist ja auch wirklich eine wahre Pracht, wenn man sich viel in der Natur aufhält. Und da ich als Streakrunner ja täglich laufe, habe ich davon natürlich viel.

Zum Thema: Streakrunning-Serie, Teil 6

Aber schauen wir erst einmal auf die Fakten im Mai. Insgesamt waren es 288,8 km an 31 Tagen. Insgesamt bin ich nun also seit 153 Tagen Täglichläufer und dieses Jahr schon 1.316,5 Kilometer gelaufen. Im Vergleich zum Mai 2017 war ich 100 Kilometer länger unterwegs. Das hängt aber damit zusammen, dass ich im Mai 2017 zwei sehr kraftraubende Wettkämpfe dabei hatte und somit auch reichlich Ruhetage dabei waren. Nicht so dieses Jahr!

Abbildung: Auflistung der einzelnen Laufeinheiten im Mai 2018 (nun als Kunde bei „runalyze“)

Euch fällt natürlich auf, dass sich die Darstellung meiner monatlichen Laufkilometer verändert hat. Das hängt damit zusammen, dass die Betreiber der Lauf-Dokumentations-Plattform meines Vertrauens (jogmap) diese Seite (aus wirtschaftlichen Gründen sowie der Einführung der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung) abgeschaltet haben. Sechs Jahre war ich dabei. Die Plattform hat ca. elf Jahre existiert – das ist wahrscheinlich die Halbwertszeit einer „digitalen Laufrevolution“, die Jogmap damals war. Na klar, dieser Markt entwickelt sich rasant und „Kunden“ sind heutzutage sehr technik- und netzaffin. Da wechselt man auch mal schnell zu einem potentiellen Konkurrenten. Ich persönlich habe mich bei Jogmap immer sehr wohlgefühlt. Auch wenn die Seite etwas „Old School“ gestrickt war. Sie hatte alles, was ich brauchte. Sie war ein treuer und zuverlässiger Begleiter, den ich in den sechs Jahren fast jeden Tag besucht habe. Jogmap wusste sportlich quasi alles von mir. Das war wie ein Tagebuch! Ich konnte mir meine Eintragungen auch immer wieder anschauen und mit grafischen Darstellungen herumspielen. Jogmap kannte meine schönen Tage und auch meine schlechten – 17.910 aufgezeichnete Kilometer von mir, die ich in 1449 Läufen runtergespult habe. Es war eben ein Tagebuch des Laufens. Und Psychologen wissen natürlich wie wichtig solche Tagebücher für die Psychohygiene sein können. Und ich kannte dort viele „Gleichgesinnte“, mit denen ich mich austauschen konnte. Frauke und ich haben zu Beginn unserer Kennenlernphase viel über Jogmap kommuniziert. Das alles fiel quasi von heute auf morgen flach! Ein halbes Läuferleben – einfach gelöscht! Das hat mich emotional doch mehr runtergezogen als ich vermutet hatte, es hat und mich natürlich auch beim täglichen Laufen beschäftigt.

Die Welt dreht sich schneller

Die Halbwertszeiten von digitalen Produkten. Ich habe wirklich das Gefühl, dass sich die Welt immer schneller dreht. Ich versuche mit meinen 55 Jahren immer noch mitzukommen, aber bei all diesen neuen technischen Neuerungen rund um unser Leben spüre ich, wie ich zunehmend Probleme bekomme, mitzukommen. Das tägliche Laufen ist dabei eine sehr wichtige und angenehme Konstante in meinem Leben geworden. Das Laufen entschleunigt … es wirft mich auf mich selbst zurück und es ermöglicht es mir, mich ganz intensiv wahrzunehmen. Und das in einem Tempo, dass ich selbst bestimmen kann.

Und da sind wir auch schon beim nächsten Thema: Struktur und Systematik! Ja, ich habe im Mai meiner Lauferei Struktur und Systematik gegeben. Das ist eben auch nötig (und das weiss ich ganz rational und nicht zuletzt aus Erfahrung), wenn man einen Ultra mit Startnummer laufen möchte.

Abbildung: Jogmap – „Abschiedsbildschirm“ von Oliver Stoll

Wettkampflaufen versus Streakrunning

Wenn ihr in meine Laufdokumentation schaut, dann seht ihr neben den Dauerlaufeinheiten, eben auch Regenerationsläufe und die notwendigen langen Laufeinheiten (in der Regel immer sonntags). Dieses Vorgehen kollidierte natürlich brutal mit meinem „Bauchgefühl“. Ich hatte mich so sehr an das „druckfreie“ Laufen, einfach aus einem Impuls heraus gewöhnt, dass mich Struktur und Systematik gnadenlos angekotzt hat. Ich habe in den letzten fünf Monaten das Laufen als pure Freiheit erlebt und nicht als Zwang und Struktur. Und das ist es doch eigentlich: Bewegung ist Freude und Freiheit, kein Zwang. Na ja, das Thema hatten wir ja schon letzten Monat (Link zur April-Folge).

Prof. Dr. Oliver Stoll: April – der Monat, in dem sich alles verändert… (Streakrunning-Serie, Teil 5)

Wettkampflaufen und Streakrunning – das verträgt sich einfach nicht. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass es sich hier um verschiedene Sportarten handelt. Nicht aus Sicht der Bewegungswissenschaft, aber auf alle Fälle im Sinne einer psychologischen Grundhaltung. Mit diesem Thema bin ich noch nicht durch – das habe ich noch nicht zu Ende gedacht. Aber ich habe dafür ja noch ein paar Monate Zeit.

Erfolgloser Influencer

Schließlich fiel mir im Mai auf, dass zumindest zwei Menschen, die Anfang des Jahres und in den vergangenen zwei Monaten mit dem Streaken angefangen haben, ausgerechnet im Wonnemonat Mai wieder damit aufgehört haben. Auch das hat mich nachdenklich gemacht. Besonders nah ging mir das bei einem Sportsfreund aus Leipzig, der exakt am selben Tag wie ich damit begonnen hat, und dessen Posts auf Facebook immer verfolgt habe. Gerade zu Beginn war er für mich eine große Quelle der Motivation und Inspiration. Interessanterweise sind wir nie zusammen gelaufen, obwohl wir in der gleichen Stadt leben. Das war mehr ein „mentales Band“, was uns miteinander verbunden hat. Bei ihm war es schlussendlich eine Verletzung, und das auch noch zwei Wochen vor dem Rennsteiglauf, bei dem er dann trotzdem noch angetreten ist, die ihn dazu veranlasste, mit dem täglichen Laufen aufzuhören. Absolut vernünftig und nachvollziehbar – aber … schade ist es trotzdem – so denke zumindest ich. Auch meine „Influencer-Fähigkeiten“ sind wohl eher beschränkt. Anne hat auch wieder aufgehört, aber wir haben das diskutiert und ihre Gründe sind durchaus plausibel und nachvollziehbar. Wenn Du das täglich Laufen schließlich als „Druck“ und „Zwang“ erlebst, dann ist es eben nicht mehr das, was mal war.

Abbildung: Oliver und Frauke beim Start zum Sachsentrail 2017

Nun gut – in einer Woche, am 8.6.2018, ist es soweit! Die Nacht der Nächte wartet auf mich. Keine 100 Kilometer, sondern nur die 56 Kilometer und dennoch weiß ich schon jetzt, dass ich es sehr genießen werde. Die Rückkehr zu dem Ort, der schlussendlich meiner Leidenschaft eine richtige Richtung gegeben hat – und meine Liebe ist auch wieder dabei.

Prof. Dr. Oliver Stoll: Einmal war ich in Biel (Buch-Bestellung)

 

Die komplette Serie:

Prof. Dr. Oliver Stoll: Streakrunning ist „Mentales Training“ (Streakrunning-Serie, Teil 1)

Prof. Dr. Oliver Stoll: Grenzenlose Gelassenheit (Streakrunning-Serie, Teil 2)

Prof. Dr. Oliver Stoll: Die Sinne schärfen sich (Streakrunning-Serie, Teil 3)

Prof. Dr. Oliver Stoll: Gefangen zwischen Leistungsorientierung und Bauchgefühl (Streakrunning-Serie, Teil 4)

Prof. Dr. Oliver Stoll: April – der Monat, in dem sich alles verändert… (Streakrunning-Serie, Teil 5)

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