Dr. René Paasch: Umgang mit einem Trauerfall

2003 ereilte den Ex-Bayern-Star Sammy Kuffour ein schweres Schicksal: Seine einjährige Tochter ertrank beim Baden. Wie die Verantwortlichen des FC Bayern damals mit der schlimmen Situation umgingen, zeugt von wahrer menschlicher Größe. Kuffour selbst erinnert sich: “Sofort kamen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zu mir nach Hause, um mich zu trösten. Sie organisierten innerhalb von zwei Stunden einen Privatjet, damit ich nach Ghana fliegen konnte. Dieser blieb solange in Ghana, bis ich alles erledigt hatte.” Großartig! Was können wir daraus lernen und wie sollten wir uns verhalten?

Zum Thema: Umgang mit einem Trauerfall und wie können Mitspieler und Verantwortliche helfen?

Im Alter von 16 Jahren wechselte Samuel Kuffour vom FC Turin zum FC Bayern. Mit Ausnahme einer halbjährigen Leihe zum 1. FC Nürnberg spielte der Ghanaer insgesamt elf Jahre für den Rekordmeister. 2003 musste Kuffour einen schrecklichen Schicksalsschlag hinnehmen, als seine Tochter Godiva beim Baden in Ghana ertrank. In der 90-minütigen Dokumentation “Das mia-san-mia-Phänomen”, die von der “Deutschen Welle” produziert wurde, lassen Kuffour und Präsident Uli Hoeneß den fürchterlichen Vorfall noch einmal Revue passieren.

Jahr für Jahr sterben mehr als 850.000 Menschen in Deutschland. Es ist der Augenblick, der das Leben für viele in ein “davor” und ein “danach” teilt. In dem plötzlich nichts mehr so ist, wie es war. Der Alltag gerät dabei manchmal aus den Fugen, der Glaube an eine Zukunft schwindet. Früher hat die Gesellschaft den Einzelnen in solchen Momenten gestützt, heute ist das Trauern eine individuelle Angelegenheit geworden. Bei einer TNS-Emnid-Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Bestatter im Jahr 2011 beklagten 67 Prozent der Befragten, dass die Öffentlichkeit das Thema Tod verdränge. Erschreckend!

“Wir können es besser machen, indem wir verstehen und unsere Hilfe anbieten”. 

Der Trauerweg

Im ersten Moment bewirkt der Tod des geliebten Menschen oft eine Art Schockzustand, der tagelang anhalten kann. Der Trauernde kann nicht fassen, was geschehen ist und fühlt sich wie erstarrt. In dieser Phase braucht er jemanden, der ihm zur Seite steht und beim Erledigen alltäglicher Aufgaben hilft. Anschließend brechen meist die Emotionen auf. Der Hinterbliebene wird überwältigt von Gefühlen wie Angst, tiefer Trauer, Wut und sucht verzweifelt nach einer Erklärung für den Verlust. In diesem Gefühlschaos braucht er vor allem jemanden, der einfach nur zuhört.

Irgendwann beruhigen sich die Gefühle, doch in vielen kleinen Situationen des Alltags fühlt sich der Trauernde an den Verstorbenen erinnert. Er muss sich immer wieder bewusst machen, dass es den schmerzlich vermissten Menschen nicht mehr gibt. Diese Phase, des Suchens, kann Wochen, aber auch Jahre dauern. Sie erfordert vom Umfeld Geduld und Verständnis. Erst wenn sich das Suchen abschwächt, öffnet sich der Blick für die Zukunft.

Die individuelle Trauer

Nicht jeder Mensch erlebt den Verlust eines lieben Menschen in gleicher Weise und schon gar nicht nach dem gleichen Zeitplan. Und auch die Voraussetzungen, den Verlust endgültig zu verkraften, sind unterschiedlich. Traumaforscher George A. Bonanno (2012) stellte fest, dass es rund zehn Prozent der Hinterbliebenen langfristig schwerfällt, mit dem Tod eines engen Angehörigen fertig zu werden. Sie quälen sich jahrelang und sehnen sich dauerhaft nach dem Verstorbenen. Weitere zwanzig Prozent leiden ebenfalls stark. Sie funktionieren irgendwie, obwohl sie innerlich immer noch sehr verletzt sind. Sie alle können Hilfe brauchen. Hören Sie zu!

Tatsächlich geht es bei der Trauer nicht darum, etwas hinter sich zu lassen oder abzulegen wie einst die schwarze Kleidung nach dem Trauerjahr. Als Prozess dient sie dazu, den Schmerz zu verarbeiten. Das kann schneller gehen oder mag auch langsamer gelingen. Die Zeit sollte kein Kriterium sein, da jeder anders trauert. Wichtig ist allein, dass der Hinterbliebene den Blick dabei nach innen richtet, den Verlust akzeptiert, die Beziehung zum Verstorbenen verändert und dadurch wieder nach vorne schauen kann. Besonders gut gelingt das Menschen, die über genügend Resilienz verfügen. So bezeichnet man die seelische Widerstandskraft, die selbst in schwierigen Situationen Halt gibt. Resiliente Menschen können sich neuen Umständen gut anpassen. Sie erstarren nicht dauerhaft in ihrer Trauer, sondern stellen nach einer Weile die emotionale Balance wieder her. Näheres dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/07/07/dr-rene-paasch-resilienz-im-fussball/.

Dr. René Paasch: Resilienz im Fußball

Es braucht viel seelische Stärke, um zu akzeptieren, was wir nicht ändern können, ganz besonders wenn das eigene Kind stirbt. Die Resilienzforscher zeigen auf, dass sich die seelische Widerstandskraft, mit der wir Krisen überwinden, sogar noch im Erwachsenenalter gezielt fördern lässt: indem wir in uns hineinhorchen und unsere Bedürfnisse ergründen, uns mit Menschen umgeben, die uns guttun und Aufgaben suchen, die befriedigen.

Wie helfen, was sagen und tun im Leistungssport?

Zuhören: Anstatt nach den richtigen Worten zu suchen, ist es für Trauernde hilfreich, wenn der Trainer, Mannschaftskollege aufmerksam und einfühlend zuhört. Sie können Trauernden ihre Trauer nicht abnehmen sondern sollten sie ermutigen, sich auf den Schmerz einzulassen. Dabei ist es ein großes Geschenk, wenn Sie einfach da sind, den Schmerz aushalten, zusammen weinen oder zusammen schweigen.

Mitgefühl und Geduld haben: Trauernde sollten ihre Gefühle zum Ausdruck bringen können, ohne Angst zu haben, deshalb kritisiert zu werden. Begegnen Sie ihnen vorurteilsfrei und verzichten sie auf Verhaltensratschläge. Als Mannschaftskollege begleiten Sie den Trauernden auf seinem Weg und jeder Trauerweg ist anders und einzigartig und braucht seine eigene Zeit. Erspüren oder fragen Sie, welche Bedürfnisse der Trauernde hat.

Fazit

Wichtig ist es, die Realität des Todes anzuerkennen. Egal ob plötzlich oder vorhersehbar, es kann lange dauern, bis der Verlust wirklich anerkannt wird. Es ist normal, dass Trauernde immer wieder die Realität des Todes verdrängen, bis sie sie ganz erfassen können. Stück für Stück, durch Erzählen und Begreifen wird der Verlust mehr zur Wirklichkeit. Durch Zuhören und ermutigen, sich dem Schmerz zu stellen, können Sie den Trauernden bei dem wichtigen Schritt unterstützen. Der Weg durch die Trauer muss jedoch gegangen werden, auch wenn es leichter scheint zu verdrängen oder zu verleugnen. Versuchen Sie also nicht, dem Trauernden den Schmerz auszureden und ihn davon wegzuführen, sorgen Sie eher für eine wohltuende, geschützte Umgebung, in der der Trauernde sein darf wie er sich innerlich fühlt. So wie es der Rekordmeister vorbildich getan hat. Im Bedarfsfall sollten Sie psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen.

Zur absolut sehenswerten DW-Dokumentation (Klick auf das Bild, oder hier entlang: http://www.dw.com/de/fc-bayern-münchen-dokumentation/a-40525205):

Literatur

George A. Bonanno (2012): Die andere Seite der Trauer: Verlustschmerz und Trauma aus eigener Kraft überwinden, Verlag: Aisthesis; Auflage: 1

Internet:

https://www.bestatter.de/fileadmin/user_upload/bdb/global/illu/Emnid/EMNID_Umfrage_2011_kurz.pdf. Zugriff am 25.10.2017.

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Prof. Dr. René Paasch
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