Pipo Schödler: Jüngere Springer haben bei der Tournee mehr Mühe im mentalen als im körperlichen Bereich

Für die-sportpsychologen.ch berichtet:

Pipo Schödler

Pipo Schödler, der Bruder des Disziplinenchefs Berni Schödler, wurde für die laufende Saison 2015/2016 zum Nationaltrainer der Schweizer Skispringer berufen. Seine Aufgabe ist, das junge Schweizer Skisprungteam um Teamleader Simon Ammann in Richtung Olympische Spiele in Pyeongchang 2018 voranzubringen.

Mehr Infos: http://www.swiss-ski.ch/leistungssport/skispringen/athleten-betreuer.html

Pipo Schödler, du sagst, dass mentales Training ins alltägliche Training des Skispringers gehört und sich daraus seine mentale Stärke entwickelt, die letztlich im Wettkampf zählt. Wie meinst du das?

Bei uns ist das mentale Training ein wichtiger Bestandteil in jeder Trainingseinheit. Das Trainingsmass lässt sich nicht gleichermassen objektivieren wie z.B. die Beanspruchung durch Hürdensprünge über eine bestimmte Sprunghöhe oder Kniebeugen mit entsprechender Wiederholungszahl – trotzdem trainiert der Kopf immer mit. Auf der Schanze sprechen wir in den Trainings oft von der Checkliste jedes Athleten, welche die Kernelemente beschreibt, die zur Ausführung eines erfolgreichen Skisprung notwendig sind. Darin sind Punkte enthalten, wie z.B. ein bewusstes Ritual vor dem Sprung, wie sich eine erfolgsversprechende Anfahrposition anfühlt, welchem Rhythmus Absprung und Übergang in die Flugphase folgt, welche positiven Emotionen der Springer in der Luft wahrnimmt und wie er sich die Telemark-Landung verinnerlicht. Daraus entsteht die sehr individuelle aber ebenso notwendige Fähigkeit eines Skispringers, seinen Sprung zu reflektieren. Kann er diese Checkliste im Training und Wettkampf abrufen und umsetzen ist schon ein grosser Schritt zu einem gelungenen Wettkampfsprung gemacht.

Ein mental starker Athlet präsentiert sich mir am Wettkampftag, indem er eine gesunde Mischung zwischen Fokussierung und Aktivierung findet, sowie bereit ist loszulassen. Gerade wenn wir Wettkämpfe am Abend haben ist es suboptimal, wenn der Athlet den ganzen Vormittag schon an den Wettkampf denkt, sich vorbereiten will und dadurch seine psychische Energie bereits vor Wettkampfbeginn „verpulvert“. Deshalb zählt für mich ein gutes Zeitmanagement am Wettkampftag auch zur „Mentale Stärke“. Im unmittelbaren Wettkampfablauf ist es für mich weiter zentral, dass sich der Athlet auf seine technischen Abläufe fokussieren kann, die Handlungen auf und neben der Schanze eben so funktionieren, wie sie im Training geübt und automatisiert wurden. Der Athlet hat seine Checkliste aktualisiert und kann diese im Wettkampf optimal abrufen – auch wenn ein paar Punkte zu viel auf der Liste stehen mögen! Diese Flexibilät im Denken, eben ein technisches Manko auch einmal beiseite zu legen und weiterhin an das eigene Sprungvermögen zu glauben, macht einen grossen Unterschied. Als Trainer erkenne ich den mental starken Athleten an seinem Verhalten: er strahlt Überzeugung aus, auf und neben der Schanze und weiss genau was zu tun ist.

Was ist deine ganz persönliche Meinung zum Thema sportpsychologische Betreuunng im Skispringen? In welcher Form findet diese Betreuung auch unter deiner Leitung statt?

Ich finde eine sportpsychologische Betreuung ein spannendes Thema, weil es um den Menschen geht und nicht um Meter, Zehntel oder Material. Ich bin überzeugt, dass eine derartige Unterstützung einen Athleten in seiner Entwicklung vorantreiben kann – vorausgesetzt er zeigt sich gewillt, sich auf auf Neues einzulassen. Wir haben in den letzten Jahren Teammassnahmen gerade in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung im sportpsychologischen Bereich in die Trainings und auch den Wettkampf integriert und es den Athleten offeriert, eine persönliche sportpsychologische Betreuung wahrzunehmen.

Persönlich am nächsten dabei war ich bei unserem Projekt „Wettkampfvorbereitung“ und habe durchwegs positive Erfahrungen damit gemacht. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist, dass wir Menschen tendenziell dazu neigen, schnell zu vergessen und dass bei fehlender Eigeninitiative nicht viel hängen bleibt. Insofern wären zusätzliche Massnahmen sicher hilfreich, was jedoch nicht immer umsetzbar ist. Die Gründe dafür sind unterschiedlich; einmal scheitert es an einer sinnvollen Terminfindung, dann gehen spontane Ideen wieder verloren und hier und da fehlt es im Schweizer Sport halt auch an den Finanzen. So sind wir Trainer etwas mehr gefordert und stehen in der Verantwortung. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wir eine ordentliche Basis in der Trainerausbildung erhalten. Ansonsten weiss ich, wo fachspezifisches Wissen zu finden ist und an wen ich mich wenden kann!

Und was muss der Sportpsychologe an Qualitäten mitbringen?

Er muss primär die Spezies „Homo athleticus“ gerne haben. Klar würden wir nicht mit einem Sportpsychologen zusammenarbeiten wollen, der so eine Schnellbleiche absolviert hat und sich nachher Sportpsychologe nennt. Er soll seinen Beruf erlernt bzw. studiert haben und passende Referenzen mitbringen. Nicht zwingend notwendig sind aus meiner Sicht vertiefte Kenntnisse in unserer Sportart. Er muss sich ja nicht um technischen Details kümmern, sondern mit dem Menschen und mit ihm zusammen an seiner Rolle als Athlet und Wettkämpfer arbeiten. Ob eine Zusammenarbeit passt oder nicht, ist eine Frage des Vertrauens aller Beteiligter sowie abhängig von der Qualität des Angebots. Nur wenn beides stimmt, wird die Zusammenarbeit fruchtbar und erfolgreich sein.

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SRF Beitrag zu Pipo Schödler – Zum Beitrag: Klick auf das Bild (Quelle: SRF)

Die Vierschanzentournee ist dieses Jahr neben der Skiflug-WM das grosse Highlight. Was muss der potentielle Sieger an mentalen Qualitäten mitbringen und wie beurteilst du in diesem Zusammenhang Simon Ammanns Erfolgsaussichten, seine neue Landtechnik bald im Griff zu haben?

Die Tournee ist ein Mythos mit eigenen Regeln! Die Veranstaltung als Gesamtsieger zu verlassen ist bisher nicht einmal unserem 4-fachen Olympiasieger Simon Ammann gelungen. Gerade Simon ist meiner Meinung nach ein Meister der Konzentration und der Visualisierung eines Wettkampfes. Die Psyche, denke ich, ist in seinem Fall nicht der Knackpunkt, sondern eher die körperliche Regeneration über die vier Wettkampftage verbunden mit einer grossen Beanspruchung durch das „Drumherum“. Bei jüngeren Athleten ist es vermutlich umgekehrt. Sie dürften vom körperlichen Stress gar nicht soviel mitbekommen, sondern wohl deutlich mehr Mühe in der mentalen Verarbeitung bekunden. Da es für mich persönlich die erste Vierschanzentournee als Cheftrainer ist, werde ich einmal unvoreingenommen an die Aufgaben herangehen. Speziell interessiert mich zu sehen, was wir schon gut können und wo wir im mentalen Bereich an der Tournee noch zulegen müssen.

Die Frage bezüglich Simons Landetechnik könnte der Athlet sicher präziser beantworten, da er seinen Sprung ja selber steuern und erleben kann. Von Aussen versuchen wir Trainer, Simon zweckmässige und zielgerichtete technische Anleitungen zu geben, welche für den Athleten aber mitunter schwer umsetzbar sind. Sicherlich hat der Sturz vor einem Jahr bei Simon Spuren hinterlassen und diesen Rucksack muss er mit sich tragen. Die mentale Knacknuss dürfte primär sein, dass Simon weiter an sich und die Möglichkeit einer technisch einwandfreien Umstellung glaubt, auch wenn es zeitlich länger dauert, als er sich das erhofft hat. Ich sehe gute Ansätze zum positiven Gelingen, aber die Konstanz fehlt und seine Geduld ist ganz besonders gefragt.

Wenn du einen Wünsch für 2016 und die Verbesserung der mentalen Stärke deiner Springer offen hättest – was wäre dieser?

Ich würde mir etwas mehr Offenheit verbunden mit einer Portion Neugier und der Idee, sich auch auf ein neuen Weg konsequent einlassen zu wollen, wünschen. Toll fände ich, wenn gerade unsere jüngeren Athleten einen solchen Ansatz von uns Trainer – egal ob hinsichtlich Sprungechnik oder ihrer Lebensphilosophie – annehmen könnten, ohne die Umsetzbarkeit gleich schon zum vornherein in Frage zu stellen.

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