Christian Bader: Die Verliererkompetenz – Warum Veränderung immer Verlierer produziert

Ich bin für den Schweizer Unihockey Verband als Coach Developer tätig. In dieser Rolle begleite ich Trainerinnen und Trainer auf dem Weg zur Berufstrainerin bzw. zum Berufstrainer Leistungssport. Ein exemplarisches Beispiel, welches ich oft in Gesprächen höre, nachdem das Aufgebot für das Spiel kommuniziert wurde: «Ein Athlet redet nicht mehr mit mir. Dabei habe ich doch alles erklärt, ihn einbezogen, transparent kommuniziert.»

Zum Thema: Wie Trainer und Trainerinnen Entscheidungen besser ausführen können

Als Organisationsentwickler arbeite ich mit kleineren und grösseren Organisationen zusammen, die sich in einer Transformation befinden. Als Brückenbauer schaffe ich Verbindungen zwischen dem, was heute ist, und dem, was morgen sein könnte. Aus Beobachtungen und Gesprächen mit Menschen in Führungsrollen habe ich auch hier ein exemplarisches Beispiel: Kick-off-Meeting einer Reorganisation. Die neue Struktur wird vorgestellt. Alle nicken verstehend. Zwei Monate später läuft das Projekt zäh. Einzelne Führungskräfte sabotieren still. «Aber wir haben doch alle mitgenommen», wundert sich das Management.

Hier der blinde Fleck: Wir glauben, durch Partizipation Verlierer zu verhindern. Dabei produzieren wir nur Verlierer, die ihre Enttäuschung nicht zeigen dürfen.

Die unbequeme Wahrheit über Entscheidungen

Jede Entscheidung teilt:

  • Stammformation vs. Bank
  • Neue Rolle vs. alte Rolle
  • Projekt A bekommt Ressourcen vs. Projekt B nicht

Es gibt jene, die gestalten können und Verantwortung tragen. Und jene, die aushalten müssen und der Entscheidung ausgeliefert sind.

Die gefährliche Illusion: «Wenn ich alle einbeziehe, gibt es keine Verlierer mehr.» Das stimmt nicht. Es verschiebt nur das Problem. Aus «Ich bin gegen die Entscheidung» wird «Ich verstehe die Gründe, aber hadere trotzdem.» Der Schmerz bleibt. Nur darf dieser Schmerz jetzt nicht mehr gezeigt werden.

Was braucht es stattdessen?

Nicht bessere Begründungen. Sondern die Fähigkeit des Einzelnen, kompetent zu verlieren.

Das heisst nicht: Den Mund halten und schlucken. Es bedeutet aus meiner Sicht: Mit einer Entscheidung leben können, die gegen die eigene Überzeugung geht.

«I disagree, but I commit.»

Drei Ansätze für die Praxis

1. Für Trainerinnen und Trainer: Benennt die «Verlierer», bevor sie unsichtbar werden

Statt: «Ich habe mich für diese Aufstellung entschieden, weil…» (und dann 20 Minuten Begründung)

Sondern: «Diese Entscheidung bedeutet: Du, du und du seid heute draussen. Das tut weh. Ich sehe das. Und trotzdem bleibt die Entscheidung.»

Die Frage: Was kannst du trotzdem beitragen? (Nicht: Warum verstehst du nicht?)

2. Für Change Manager: Schafft Räume für den Frust

Statt: «Wir haben die neue Struktur erklärt. Alle haben zugestimmt. Thema erledigt.»

Sondern: «Diese Reorganisation bedeutet: Einige verlieren Einfluss, Sichtbarkeit, gewohnte Abläufe. Das ist Realität. Dadurch entsteht Unsicherheit, Angst und Frustration. Wir schaffen bewusst Raum, wo dieser Frust geäussert werden darf.»

Die Frage: Was brauchst du, um trotzdem weiterzumachen? (Nicht: Warum stellst du dich quer?)

3. Für beide: Trennt Sache und Person

Der Athlet auf der Bank ist nicht weniger wert als jener in der Stammformation.
Die Führungskraft in der neuen, kleineren Rolle ist nicht gescheitert.

Die Entscheidung ist nicht gegen dich. Sie ist für etwas anderes.

Diese Unterscheidung muss immer wieder aktiv gemacht werden. Denn unser Gehirn vermischt das gerne.

Die Paradoxie

Organisationen und Teams, die Verliererkompetenz fördern, haben weniger Widerstand. Warum? Weil sie das Verlierer-Sein nicht tabuisieren, sondern als normalen Bestandteil von Entscheidungsprozessen behandeln.

Nicht das Verlieren ist das Problem. Sondern die Unfähigkeit, damit umzugehen.

Die entscheidende Frage

Nicht: «Wie motiviere ich den enttäuschten Athleten / Mitarbeitenden?»

Sondern: «Wie befähige ich jeden, bewusst zu verlieren – damit das Ganze gewinnen kann?»

Denn am Ende gilt: Wer nicht fallen kann, wird nie fliegen lernen. Und wer nicht verlieren kann, wird nie Teil eines gewinnenden Systems sein.

Wie geht ihr mit den «Verlierern» eurer Entscheidungen um?

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