Häufig ist die Rede davon, dass man als Sportpsychologe bzw. Sport-Mentaltrainer einen gut gefüllten „Werkzeugkoffer“ besitzt. Eine Ansammlung von Tools für die unterschiedlichsten Zwecke. Oder anders ausgedrückt: Profundes Wissen über zahlreiche Maßnahmen und Methoden, die man sich im Studium, in der Ausbildung, in Seminaren oder durch Fachliteratur angeeignet hat und die darauf warten, bei Klienten zum Einsatz zu kommen und dort Wirkung zu zeigen. Meine Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit Sportlerinnen und Sportlern und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen hat mir gezeigt, dass manchmal viel zu schnell zu allen möglichen Werkzeugen gegriffen wird.
Zum Thema: Vom Werkzeugkoffer bis zur Methodendusche
Schaut man sich Websites verschiedener Expertinnen und Experten an, bekommt man häufig eine imposante Auflistung von akademischen Abschlüssen, Zertifizierungen, Qualifikationen, Lizenzen und Gütesiegeln präsentiert. Daran ist nichts Verwerfliches. Dass man als Sportpsychologe oder Sport-Mentaltrainer einen großen Fundus an Wissen und Methoden mitbringt, ist absolut notwendig. Regelmäßige Weiterbildungen sowieso. Nur mit einem gut ausgestatteten Werkzeugkoffer kann man Sportlerinnen und Sportler aus unterschiedlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Anliegen für sich gewinnen und sie im besten Fall auch effektiv unterstützen. Problematisch wird es aus meiner Sicht allerdings, wenn beispielsweise der Sport-Mentaltrainer sein Kompetenzspektrum zu schnell und breit über den Sportler ausgießt. Ein Fehler, den ich selbst in meinen Anfängen häufig gemacht habe. Ich nenne das „Maßnahmendusche“.
Visualisierung, Affirmation, Selbstgesprächsregulation, progressive Muskelentspannung, Life Kinetik, EMDR, Neuroathletik, Sporthypnose sind nur einige der Klassiker, die viele Experten anbieten. Diese und viele weitere Ansätze und Methoden sind zweifellos alle wissenschaftlich fundiert und praxiserprobt (zumindest nach heutigem Stand). Wenn man seinem Klienten allerdings all diese Bälle auf einmal zuwirft, fängt er womöglich keinen einzigen davon.
Zuhören statt sofort loslegen
In der Regel ist es das Erstgespräch mit dem Klienten, welches in meinem Fall häufig im Beisein der Eltern stattfindet, das mir eine erste Gelegenheit zum Zuhören bietet. Da hier aber die Eltern meistens mehr erzählen als ihre Kinder, bekomme ich im Großen und Ganzen nur eine Sichtweise zu hören (z. B. „Max ist zu ängstlich“; „Anna ist zu unkonzentriert“; „Tom gibt nicht hundert Prozent“; „Carola macht sich zu viele Gedanken“; „Jonas traut sich zu wenig zu“). Zugegeben: Von Visualisierung und Selbstgesprächsregulation über Affirmation bis hin zu progressiver Muskelentspannung oder Life Kinetik wäre jedes der genannten Werkzeuge irgendwie anwendbar. Entsprechend könnte man als Sport-Mentaltrainer jetzt sofort loslegen – Werkzeugkoffer aufmachen und zeigen, was man kann.
Ich selber muss gestehen, dass ich vor Jahren als frischgebackener Sport-Mentaltrainer etwas gebraucht habe, um zu begreifen, dass ich nicht der Mittelpunkt bin, der mit all seinem Können und Wissen sein Gegenüber zum Staunen bringen muss. Der Mittelpunkt ist immer die Sportlerin oder der Sportler. Und die wollen nicht staunen, sondern profitieren – in Form von Talententfaltung und Top Performance. Und dafür muss man genau wissen, was sie wirklich brauchen. Statt meine Klienten sofort unter die Maßnahmendusche zu stellen, nehme ich mir heute (mit ein paar Jahren mehr Erfahrung) viel Zeit zum Zuhören. Die Informationen aus dem Munde der Eltern sind da nur die erste Einflugschneise. Was in den Sportlern wirklich vorgeht, erfährt man nur von ihnen selbst. Statt nach dem Erstgespräch sofort den Werkzeugkoffer zu öffnen und zu sagen, jetzt geht’s ab, höre ich in den ersten Sitzungen erstmal noch weiter zu.
Tipps und Hinweise
Aber auch heute juckt es mir manchmal noch in den Fingern, wenn ich glaube, die Lösungen für alle Probleme gefunden zu haben. Dann sage ich mir: Heute bleibt der Bauchladen geschlossen.
Und als Hinweis an alle diejenigen, die sich für Sportpsychologie interessieren: Achten Sie darauf, wie gut der Experte oder die Expertin zuhört. Seien Sie skeptisch, wenn viele Ideen auf einmal auf den Tisch kommen. Und fühlen Sie sich dort gut aufgehoben, wo nichts garantiert wird.
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