Fünf Tage die Woche, acht Stunden täglich, wenig Freizeit, fremdbestimmter Terminkalender und dazu noch ehrgeizige Eltern: Kinder und Jugendliche stehen heute unter enormem Leistungsdruck und werden oft mit hohen Erwartungen in die Welt geschickt. Wo bleibt da die Zeit für Eigenbestimmung und Kreativität? Wenn diese wichtigen Eigenschaften nicht (vor)gelebt werden, dann ist die Angst für unseren Nachwuchs immens hoch. Ich möchte dieser Frage nachgehen und Hilfestellung leisten. Los geht’s …
Zum Thema: Der richtige Umgang mit Angst im Nachwuchssport
Kinder und Jugendliche haben heute häufig schon im Kindergartenalter einen vollen fremdbestimmten Terminkalender. Dieser vollzieht sich dann bis im späten Jugendlichen Alter. Die Kinder machen in der Kita interessante Dinge, lernen viel und sind selbstbestimmt tätig, doch das verliert sich mit dem Älterwerden und dem Leistungsdruck. Erst wenn von oben, mit Druck geführt wird, wird es anstrengend für unsere Kinder und Jugendliche und besonders für deren Entwicklung. Lernen sollte Spaß und mit positiven Emotionen verbunden sein. Angst lähmt und versetzt unseren Nachwuchs in eine Art Flucht- bzw. Kampfmodus. Denn das Lernen und die damit verbundene Entwicklung geschieht durch Anknüpfen an persönliche Interessen. Das heißt: Je neugieriger ein Kind und Jugendlicher auf etwas ist und je mehr Verbindungen man mit vorhandenem Wissen schafft, desto mehr bleibt nachhaltig vorhanden. Wenn man von etwas begeistert ist, vergeht die Zeit wie im Fluge. Und man kann sich später viel besser daran erinnern. Zum Beispiel durch spielerische Vermittlung des Fußballspielens oder das Lernen von Fremdsprachen: Kreativität statt Konstruieren. Zuhören statt Pauken. Vorgaben einschränken (Aufmerksamkeitsregulation) und Freiräume schaffen.
Selbst wenn unsere Kinder und Jugendlichen einen vollen Terminkalender haben, dann sollten sie wenigstens ihre Aktivitäten freiwillig vollziehen dürfen. Es ist toll, wenn sie sich verausgaben statt den Medienersatz zu nutzen. Sie sollen in ihren Fähigkeiten gefördert werden und zwar so früh und umfassend wie möglich. Doch braucht Entwicklung auch Zeit, Ruhe und Vertrauen. Denn aus meiner Sicht sind Heranwachsende nur gestresst, weil die Fremdbestimmung und -steuerung zu groß ist.
Durchhaltevermögen
Durchhaltevermögen lernt man nicht über Geschrei oder den erhobenen klassischen deutschen Zeigefinger. Das lehrt unsere Kinder und Jugendlichen nur, ängstlich zu reagieren. Ein fürsorgliches Ziel ist daher die Selbststeuerung zu entwickeln. Aufforderungen wie “Jetzt mach endlich, was man von dir verlangt, ansonsten wird das Konsequenzen haben!” oder “Du brauchst das für deine Zukunft als Fußballer und jetzt bleib mal bei der Sache, ansonsten wird aus dir kein Profi!”, bewirken als „Negativer Verstärker“ genau das Gegenteil.
Am besten ist es, wenn eure Heranwachsenden es schaffen, selbst eine Belohnung zu erarbeiten. Also etwa dadurch, dass die mit den eingeübten Fußball-Techniken oder dem geforderten Wissen in der Schule am Ende gut klappt. Die Fähigkeit, nicht nur zu reagieren, sondern zielgerichtet zu agieren, fördert und bestärkt unsere Kinder und Jugendlichen. Denn die Selbstkontrolle braucht vor allen Dingen viele Erfahrungswerte „Trial end Error“ und das über viele Jahre hinweg. Viele Erfolgserlebnisse verschaffen, ohne dabei mit Druck und Angst den Lebensweg zu prägen, dass muss unser aller Anspruch sein.
Selbstkontrolle und – steuerrung
Der Mensch musste als Jäger und Sammler planvoll vorgehen, sorgfältig die Feuerstelle pflegen – sonst wäre er erfroren und verhungert. Heute fahren wir ins Einkaufszentrum, um unseren Hunger zu stillen und wenn es kalt wird, dann drehen wir die Heizung auf. Nicht umsonst haben funktionierende Kulturen Sport, Wettspiele und Musik erfunden und kultiviert. Ob Schule, Freizeitaktivitäten oder Sport: Hier muss man einen Plan haben, sich abstimmen, auch mal durch schwierige Zeiten durch. Und es macht Spaß, wie unser Nachwuchs sich förmlich danach sehnt. Genau deshalb braucht man ja auch keinen erhobenen Zeigefinger oder angsteinflößende verbale Ausbrüche (Neubauer, Gawrilow, Hasselhorn, 2014).
Wie wichtig das Training von Selbstkontrolle und – steuerrung für den späteren Erfolg im Leben ist, zeigt eine wegweisende Studie von Wissenschaftlern (Mischel, Shoda, Peake, 1988). Sie untersuchten die Selbstkontrolle von Kindern regelmäßig – bis hinein ins Erwachsenenalter. Dabei zeigte sich, dass Gesundheit, Wohlstand und die sozialen Lebensumstände vom Ausmaß der Selbstkontrolle- und steuerrung in der Kindheit abhängen. Wer als Kind Selbstkontrolle trainiert hatte, neigte später deutlich weniger zu Verarmung, Kriminalität und Suchterkrankungen. Die Studie zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass Kinder Gelegenheiten haben, sich an Aufgaben, die ihnen Freude machen, zu bewähren.
Hot- versus Cool-System
In weiteren Untersuchungen zur Entwicklung der Selbstkontrollfähigkeiten wird häufig nach dem Bezug auf heiße versus kalte Fähigkeiten unterschieden. Metcalfe und Mischel (1999) nehmen an, dass diese beiden miteinander verbundenen psychischen Systeme für die Entstehung von Selbstkontrolle verantwortlich sind. Das sogenannte Hot-System besteht bereits in den ersten Lebensjahren und ist die Grundlage für emotionale klassische Konditionierung. Es reagiert schnell und reflexartig auf zunächst angeborene Stimuli. Das Cool-System entwickelt sich dagegen langsam, ist kognitiv, emotional neutral und strategisch. Es ist die Quelle der Selbstkontrolle und wird im Laufe der Entwicklung dominanter als das Hot-System.
Beispielsweise zeigen Kinder und Jugendliche, deren Eltern in der Erziehung klare Grenzen setzen und somit das Cool-System ansprechen, eine höhere Selbstkontrolle. Es lohnt sich daher genauer auf die Entwicklung unserer Sprösslinge zu schauen.
Fördern statt instruieren
Die Anforderungen des Sports und der Schule hat sich während der letzten 50 Jahre enorm gewandelt. Der damit verbundene Fokus des öffentlichen Interesses ist riesig. Betrachtet man die Wirkung, die manche Sportarten wie Fußball oder die Formel 1 heute in den Medien einnehmen, so wird schnell klar, dass sich auch für unseren Nachwuchs während dieser Entwicklung viel verändert hat. Der Weg bis in die Leistungsspitze oder der allgegenwärtige Alltagsdruck (Schule, Freizeit, Nachhilfe, Verein) ist unter anderem durch einen enormen Zeitaufwand, ein hohes Maß an Selbstdisziplin und damit mit einer Vielzahl von menschlichen Entbehrungen, verbunden. Aufgrund der momentanen Entwicklung scheint es kaum verwunderlich, dass selbst Kinder und Jugendliche, die im Verein spielen, mit diesem Druck konfrontiert werden. Erschwerend hinzukommt, dass sie darüber hinaus noch einer Vielzahl weiterer Ansprüche aus dem ökonomischen, gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Bereich gegenüber ausgesetzt sind (Fessler und Schorer, 2001). Vor allem die Koordination der einzelnen Lebensbereiche mit dem Sport erfordert ein hohes Maß an Disziplin von unseren Kindern aber auch der Trainer und Eltern.
In allen Phasen der (leistungs-)sportlichen Karriere (z.B. Würth, 2001; Weber, 2003) nimmt die Unterstützung durch die Eltern und durch Gleichaltrige eine überaus wichtige Funktion ein. In Bezug auf die Eltern ist es von großer Bedeutung, dass sie voll und ganz hinter ihrem Kind stehen. Rückhalt, Verständnis und Interesse aus dem Elternhaus sind für den Heranwachsenden unverzichtbar, um die Doppelbelastung Schule und (Leistungs-)Sport zu meistern. Oftmals sind die Jungen und Mädchen schon wegen der Wegstrecke zum Training oder zum Wettkampf auf die Eltern angewiesen. Im Allgemeinen ist also eine gute Beziehung zu den Eltern und Trainern, die emotional und orientierend unterstützen, für die Verarbeitung der vielfachen Belastungen von großer Bedeutung. Somit kann die Entstehung von Angst frühzeitig unterbunden werden. Denn eines muss uns klar werden: Die Welt können wir nicht so schnell verändern aber unsere Kinder und Jugendlichen mit stabilen Eigenschaften versorgen.
Fazit:
Liebe Eltern, Trainer und alle die sich mit der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beschäftigen: Angst und Stress entstehen nicht außerhalb unserer Gedanken und somit können wir jederzeit die Situation verbessern. Geht ungewöhnliche Wege mit eurem Nachwuchs und fördert sie auf allen Ebenen, wie bspw. durch Musik, verschiedene Sportarten, kreatives Gestalten, Werken, Spielen und dabei bestärkt ihr noch die sozialen Kompetenzen. Die Grundlage unserer Kultur und unseres Wohlstands liegt in den Köpfen unserer Heranwachsenden. Diese brauchen Gelegenheiten des Erlebens von Kompetenz und des Lernens. Das ist langfristig nachhaltig und zugleich wichtiger als ein fremdbestimmtes und geformtes Kind.
https://www.die-sportpsychologen.de/2017/07/06/lena-tessmer-die-ressource-eltern/
https://www.die-sportpsychologen.de/2015/10/13/thorsten-loch-mein-kind-im-sport-und-ich/
Literatur
Fessler, N. & Schorer, J. (2001): Der jugendliche Leistungssportler – Aufwendungen und Anforderungen. In A. Woll (Hrsg.), Miteinander lernen, forschen, Spielen. Zukunftsperspektiven für Tennis (S.84-96), Band 131. Hamburg: Czwalina.
Neubauer, A, Gawrilow, C. & Hasselhorn, M. (2014): Selbstkontrolle bei Vorschulkindern unterschiedlicher kultureller Herkunft. Frühe Bildung, 3 (3). doi: 10.1026/2191-9186/a000145
Mischel, W., Shoda, Y. & Peake, P. (1988): The Nature of Adolescent Competencies Predicted by Preschool Delay of Gratification. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 687-696.
Metcalfe, J. & Mischel, W. (1999): A hot/cool system analysis of delay of gratification: Dynamics of willpower. Psychological Review, 106, 3-19.
Würth, S. (2001): Die Rolle der Eltern im sportlichen Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen. Lengerich: Pabst Science Publishers.
Weber, U. (2003). Familie und Leistungssport. Schorndorf: Hofmann Verlag.
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