Nina Jokuschies: “Die Zusammenarbeit basiert auf Regelmässigkeit und Vertrauen”

Nina Jokuschies
Nina Jokuschies

Europameisterschaften sind bislang nicht die Bühne für Schweizer Fussball-Nationalmannschaften. Zwar schafften es die Kicker von Vladimir Petkovic erstmals in die KO-Runde, dort endete das Turnier leider schon im Achtelfinale. Bereits im nächsten Sommer feiert das Frauen-Nationalteam die Premiere beim kontinentalen Kräftemessen. Wir sprachen mit Nina Jokuschies, der Sportpsychologin der Schweizer Frauen-Nati. Ihr Team blickt nach beeindruckenden Qualifikationssiegen mit grossen Erwartungen auf die EURO 2017.

 

Nina Jokuschies, wie erlebt eigentlich eine Sportpsychologin ein Topevent wie die im Juni und Juli ausgetragene Fussball-Europameisterschaft – eher beobachtend und analysierend oder vielmehr aus Fanperspektive? Oder sogar hoch emotional, wenn Sie konkret an das EM-Achtelfinal, in welchem die Schweizer Nati mitreissend kämpfte und dann im Penaltyschiessen scheiterte, zurückdenken?

Wenn man seit mehreren Jahren in der Schweiz lebt und für den Schweizer Fussballverband arbeitet, was für mich inzwischen mit vielen guten Erfahrungen verbunden ist, dann kommt man gar nicht drum herum, dass bei so einem Spiel wie das EM-Achtelfinal das eigene Herz für die Schweiz schlägt. Als Sportpsychologin achte ich dabei sicher auch auf Details wie Köpersprache der Spieler, Laufbereitschaft oder Zusammenarbeit auf dem Platz. Bemerkenswert im letzten Spiel der Schweizer fand ich, mit welchem Einsatz sich die Spieler von Beginn der zweiten Halbzeit an in das Spiel hineingekämpft haben und mit welcher Leidenschaft sie alles dafür getan haben, den Ausgleich zu schiessen – und mit welch einem Tor Shaquiri dann sein Team für die gemeinsame Arbeit belohnt und die Fans erfreut hat.

Als deutsche Junioren-Nationalspielerin haben Sie die 2004 den U19 WM-Titel in Thailand gewonnen. Im Viertelfinale gegen Nigeria musste Ihr Team auch durch die “Hölle” Penaltyschiessen. Wie wirkt sich dieser Druck auf Aktive aus? Was verändert sich für das Individuum, in dieser besonderen Drucksituation und wie fühlt sich das an?

Das Elfmeterschiessen selbst bietet im Gegensatz zum laufenden Spiel natürlich viel Zeit für Gedanken im Sinne von „Was wäre, wenn ich den Ball nicht reinschiesse?“. Über Mats Hummels war beispielsweise nach dem Elfmeterschiessen gegen Italien zu lesen: „Es war nicht mentale Stärke, es war eher mentale Abwesenheit, was da in meinem Kopf los war“. Am Mittelkreis habe er gewusst, wohin er schiessen wird und dann habe sich das auf dem Weg zum Elfmeterpunkt noch ganz häufig geändert. So ein bedeutendes Elfmeterschiessen, das kann bei einigen Spielern/Spielerinnen auch von starken körperlichen Stressreaktionen begleitet sein. Die Auswirkungen von Druck sind allerdings individuell verschieden, die Wahrnehmung von Drucksituationen selbst sind ja auch unterschiedlich.

Allgemein gilt: Wer den Ball nimmt, übernimmt Verantwortung für das Team. Und dementsprechend ist es auch unangebracht, jemandem einen Vorwurf zu machen, wenn ein Ball einmal daneben geht oder gehalten wird. Auffällig war allerdings, wie viele als Elfmeter-sicher geltende Spieler verschossen haben.

Nach der EM ist vor der EM. Die Schweizer Frauen haben sich super souverän für die Endrunde im kommenden Jahr in den Niederlanden qualifiziert. Worin besteht in den kommenden Monaten Ihre Aufgabe und wie können sich Aussenstehende dann beim Turnier Ihre Arbeit vorstellen?

Im Vorfeld der WM im letzten Jahr in Kanada dachten einige Aussenstehenden, dass die Trainerin kurz vor der WM aufgrund des steigenden Drucks eine Sportpsychologin engagiert hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings bereits seit zwei Jahren mit dem Team gearbeitet. Eine erfolgreiche sportpsychologische Zusammenarbeit basiert auf Regelmässigkeit und Vertrauen, wobei diese Komponenten natürlich auch miteinander zusammenhängen. Mit Blick auf die EM im nächsten Jahr werde ich das tun, was ich auch in diesem Jahr getan habe: den Prozess im Team begleiten und die Spielerinnen individuell sportpsychologisch betreuen. Dabei stehe ich immer in engem Austausch mit dem Trainerteam und habe häufig eine Beobachterrolle. Ein Thema, das in einem Nationalteam beispielsweise immer präsent ist, ist die Rolle jeder einzelnen, die im Club häufig eine ganz andere ist als im Nationalteam. Wenn man bei einem Turnier vor Ort dabei ist, wie ich es bei der WM in Kanada letztes Jahr oder dieses Jahr beim Olympia-Quali Turnier in den Niederlanden war, ist die Zeit aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender Spiele sehr intensiv. Dann profitiert man in der sportpsychologischen Arbeit unglaublich von allem, was man mit dem Team oder einzelnen Spielerinnen in den Monaten davor erarbeitet hat und worauf man dann zurückgreifen kann, indem man zum Beispiel etwas wieder in Erinnerung ruft oder einen kleinen thematischen Input macht. Je nach Bedarf bereiten wir uns auch konkret mental auf einzelne Gegner vor.

Stellen wir uns vor, Ihr Team muss ein Penaltyschiessen bestreiten. Wie haben Sie die Spielerinnen darauf präpariert? 

Eine der schönen Seiten der Entwicklung des Frauenfussballs in den vergangenen Jahren ist, dass unsere Spielerinnen inzwischen Profis sind und eine Vielzahl regelmässig vor grossem Publikum und in bedeutenden Spielen wie z.B. der Champions-League zum Einsatz kommt. Unsere erfahrenen Spielerinnen wissen darum, sich auf solche Situationen einzustellen und damit umzugehen.

Umgang mit spezifischen Drucksituationen wie z.B. dem Penaltyschiessen ist daher etwas, das ich mit einzelnen Spielerinnen erarbeiten würde. Neben den allgemein bekannten Techniken (viele technische Wiederholungen kombiniert mit Prognosetrainings), finde ich das, was Heiner Langenkamp 2014 beim Tiroler Tag der Sportspsychologie vorgetragen hat, recht hilfreich. Und zwar, sich klar zu machen, dass Stresssituation und das Abrufen von Leistung nicht gezwungenermassen zusammenhängen. Das ist ja auch das Prinzip, dass in allen Achtsamkeitsbasierten Übungen die Botschaft ist: Meine Gedanken und Gefühle sind nicht die Realität. Heiner Langenkamp nannte dann das Beispiel eines Spielers, der sich vor dem bedeutenden Elfmeter übergeben hatte und danach trotzdem den Ball ins Tor schoss.

Wie wichtig ist für Ihre Arbeit mit dem Team, dass Sie selbst über die Erfahrung als Leistungssportlerin verfügen?

Eigene Erfahrungen im Leistungssport helfen dabei, sich in die Spielerinnen bzw. das Team hineinversetzen zu können. Das bezieht sich z.B. auf Drucksituationen auf dem Spielfeld oder auf unterschiedliche Rollen in einem Team, die ich z.T. im Laufe der Jahre selbst innehatte. Und darüber hinaus kenne ich sehr gut das Leben als Leistungssportlerin mit allem was dazu gehört, also beispielsweise die Tatsache, auf viele Dinge verzichten zu müssen. Oder die Schwierigkeiten bei dem Versuch, Leistungssport und Schule/Arbeit/Studium unter einen Hut zu bekommen. Dass ich als ehemalige Fussballerin nun auch im Fussball arbeite, erfahre ich ebenfalls durchweg als positiv. Auch wenn technisch-taktische Aspekte ausschliesslich Arbeit des Trainerteams ist, hilft es natürlich ungemein, diese Aspekte zu verstehen und relevante mentale Aspekte darauf zu beziehen.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de