Ruud Vreuls: Die unsichtbare Mauer

Während dieser Fußball-Weltmeisterschaft gab es neben einigen sportlichen Überraschungen auch auf technischer Ebene dein paar Neuheiten zu bestaunen. Das Freistoß-Spray ist, genauso wie die lang diskutierte Torlinientechnik, zu dieser WM eingeführt worden. Manche Fußballverbände, wie der DFB und der KNVB aus den Niederlanden, untersuchen nun, ob dieses Spray auch in ihren Ligen einsetzbar ist. Denn technisch hat sich das „Vanishing Spray“ bewährt, allerdings meutern nun einzelne Fußballer gegen den „Rasierschaum“.

Zum Thema: Blockade durch das Freistoß-Spray

In einem Interview mit einer niederländischen Zeitung beschwerte sich Wesley Sneijder unlängst über das Freistoß-Spray. Zusammen mit Arjen Robben ist der Mittelfeldspieler in seinem Team für die Freistöße zuständig, konnte inklusive des Halbfinales aber kein Tor durch einen Freistoß erzielen. Als Begründung hierfür führte Sneijder an, dass er das Spray auf dem Boden als Behinderung empfinde. Weiterhin störe ihn das Spray und er nehme dieses als eine Mauer wahr, über welche er drüber schießen müsse. Obwohl er sich gut zuspreche, seine Gedanken ordne und sich sage, dass es sich nur um ein Spray handelt, habe er große Schwierigkeiten mit dieser neuen Art der Freistoßpunktmarkierung.

An den spielfreien Tagen haben die Teams, abgesehen von ihrem Pflichttrainingsprogramm, genügend Zeit übrig. Manche Spieler bleiben darum noch länger auf dem Trainingsplatz, um untereinander kleine Wettkämpfe zu machen. So gab es schon mehrere Videos im Internet zu sehen, in denen sich zeigte, dass verschiedene niederländische Spieler einen Freistoß Wettkampf ausgefochten haben. Einer nach dem anderen schoss einen erfolgreichen Freistoß. Dieses Video zeigt uns, dass genau wie beim Elfmeterschießenjeder Profifußballer technisch in der Lage ist, einen Freistoß erfolgreich ins Tor zu schießen.

Die Standardsituation verändert sich

Durch die Einführung des Freistoß-Sprays gibt es jetzt allerdings eine veränderte Standardsituation. Da Spieler Freistöße, egal ob während des Trainings oder des Spiels, bisher immer ohne Spray geschossen haben, haben sie sich auch einen bestimmten Ablauf angewöhnt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Anlauf von Cristiano Ronaldo. Das genaue Zählen der Schritte und seine weit auseinander stehenden Beine sind sein typischer Ablauf. Diesen bestimmten Ablauf muss der Spieler jetzt, also mit dem Freistoß-Spray, für sich neu formulieren und einüben. Der typische Ablauf wird in der Sportpsychologie als ein mentales Drehbuch beschrieben. Unter anderem das Zählen der Schritte, aber auch mit sich selber zu reden, sind spezifische Merkmale der Art und Weise, wie man sich ein mentales Drehbuch aneignen kann. Dieses Drehbuch muss jetzt erweitert werden, da das neue Spray das bisherige Drehbuch bzw. den bisherigen Ablauf beeinflusst. Der wichtigste Anhaltspunkt ist noch immer, dass der Spieler sich auf den Ball fokussieren muss.

Ein Spieler, der große Schwierigkeiten mit dem Spray hat, sollte probieren, dem Spray so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zukommen zu lassen. Denn sobald der Spieler seine Konzentration auf das Spray lenkt, dass in diesem Fall für ihn neu und ungewohnt ist, besteht die Gefahr, dass in dem Spiel negative Gedanken entstehen. Das Spray als eine Mauer oder es als eine Behinderung zu sehen, sind mögliche negative und störende Gedanken, wie bereits von Sneijder beschrieben. Um diese zu vermeiden, ist es wichtig, dass der Spieler in seinem mentalen Drehbuch einen extra Knotenpunkt aufnimmt. So kann der Spieler für sich visualisieren, wo genau er den Ball treffen möchte, um sich dann, bevor er schießt, nur auf diese Stelle zu konzentrieren. Es empfiehlt sich aus sportpsychologischer Perspektive, dies während des Trainings, zu einer bestimmten Zeit und in Ruhe, immer wieder zu üben. Somit würde der Spieler bereits im Training mit dem Spray konfrontiert und er könnte sein Drehbuch üben. Nach erfolgreichem Training ist der Spieler in der Lage, diese visualisierte Mauer zu durchbrechen und trotz Freistoß-Sprays bei Freistößen erfolgreich zu sein.

 

Literaturverzeichnis:

Alfermann, D., & Stoll, O. (2010). Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Meyer & Meyer Verlag.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de