Feature: Das deutsche Team in der Kritik

Das Scheitern der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM 2018 ist historisch. Sehr ausschweifend wird nun darüber diskutiert, was in Russland nicht nur den Fans auf den Feiermeilen gefehlt hat: Wille, Überzeugung, Kreativität, Zusammenhalt und Führungsstärke. Solche kritischen Ansätzen führen in den allermeisten zurück auf das Team und das Teamgefüge – und genau hier setzen wir an.

Zum Thema: Sportpsychologische Hintergründe zu kritischen Äußerungen gegenüber der deutschen Teamleistung bei der WM 2018

Es ist natürlich schwierig, die Lage eines Teams als Außenstehender zu betrachten. Aber es gibt Gesetzmäßigkeiten, die sich sehr neutral bewerten lassen. So fiel in allen Vorrundenspielen auf, dass das deutsche Team nicht auf einer Welle der Begeisterung unterwegs war. Jeder Schritt, selbst die kleinsten, muteten wie harte Arbeit an. Jede Torchance wurde mühsam aus meist zu ungenauen, wenig ideenreichen und entsprechend leicht ausrechenbaren Kombinationen zusammengesetzt. Besonders bitter: Gelangen unerwartete Dinge – nehmen wir die beiden Pfostenschüsse vom Leverkusener Julian Brandt (einzige Ausnahme Toni Kroos Freistoß) – fehlte das Spielglück.

Nun ist durch der arbeits- als auch in der sportpsychologischen Forschung mehrfach bestätigt, wie Johanna Constantini betont, dass es einen Zusammenhang zwischen der Atmosphäre und dem Ergebnis gibt. Korrekter formuliert: Je positiver die Stimmung eines Teams, desto stärker der Zusammenhalt, desto besser die Leistung (Carron et al.,2002). In diesem Zusammenhang fragen wir uns, welche Faktoren überhaupt relevant sind, wenn es um den Teamzusammenhalt geht?

Johanna Constantini, die-sportpsychologen.at

Johanna Constantini (zum Profil) – Team- und Teamleistung

„Teamwork“ ist, „was Teams machen“ und versteht sich als multikausales Modell. Während also nicht an einem einzelnen Punkt gearbeitet werden kann, gibt es vielmehr zahlreiche Ansätze, um die Stimmung in Teams und damit deren Zusammenhalt zu verbessern (Rousseau, V., Aubé, C. & Savoie, A. 2006). Wichtig dabei ist, dass sich jeder Einzelsportler in seiner Haut und wieder das Team in Zusammenarbeit mit jedem Einzelnen wohl fühlt.

Nach Kurt Lewins (1935) Theorie der Gruppendynamik und auf Basis einer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit von McEwan und Beauchamp (2014) kann man zwischen dem generellen Team-Management und der Regulation der Teamleistung unterscheiden. Diese Punkte erscheinen mir wichtig:

Team-Management

Psychologische Unterstützung: Es handelt sich immer um persönliche Probleme, womit wiederum die zuvor angesprochene unabhängige Eigenschaft ins Spiel kommt: Auch bei Mannschaften handelt es sich um einen Zusammenschluss vieler Individuen, die im besten Fall ein gemeinsames Ziel verfolgen. Umso entscheidender für die Stimmung in der Gruppe ist die psychologische Arbeit zugunsten individueller Belastungen.

Wer machts? Während die Unterstützung zwischen einzelnen Teammitgliedern wichtig ist (Rosseau et. al, 2006), sollte gerade für psychische Probleme, die nicht immer den Sport per se betreffen ein ausgebildeter Sportpsychologe zur Stelle sein. Dies ist mit Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann seit Jahren beim DFB gegeben – allerdings ist es den Spielern freigestellt, mit ihm zu arbeiten. Und leider hat die Sportpsychologie selbst bei Nationalspielern noch nicht das Standing, dass es zur Selbstverständlichkeit gehören würde, regelmäßig mit dem Teampsychologen oder auch einem persönlichen Experten zu arbeiten.

Konfliktmanagement: Erfolg ist am Ende nicht davon abhängig , ob Konflikte entstehen, sondern viel mehr davon, wie mit ihnen umgegangen wird (Sullivan & Feltz, 2001).

Wer machts? In der Beseitigung von Konflikten, sowie in der Aufarbeitung von Missverständnissen können Teammitglieder einander unterstützen. Zugunsten der Objektivität empfiehlt es sich jedoch, einen Sportpsychologen in einer Mediatoren-Funktion hinzuzuziehen. Und Konflikte, denken wir nur an die Özil/Gündogan-Debatte gab es einige…

Regulation der Teamleistung

Zieldefinition: Während die Teammitglieder sich in der Phase der Vorbereitung auf die Definition gemeinsamer Ziele konzentrieren und dabei ihre einzelnen Ziele mit den Mannschaftszielen in Einklang bringen sollten, wird in der Theorie im nächsten Schritt die Ausführung in eine gemeinsame Praxis umgesetzt. Verfolgen alle das gleiche Ziele? Blieb ein Einzelner mit seinen Vorstellungen auf der Strecke? Wie steht es um die Motivation?

Wer machts? Während die Regulation von Teamleistungen durch einen Sportpsychologen begleitet werden kann, ist hier natürlich ein Trainer bestens positioniert. Denn zu wissen, welche Ziele von jedem Einzelnen erreicht werden wollen, trägt wesentlich zur Gestaltung des Saisonplans bei. Kommunikation spielt hier übrigens – wie so oft – eine Schlüsselrolle und trägt laut aktuellen Studien aus dem arbeitspsychologischen Kontext am meisten zur Optimierung von Leistungen in Teams bei (Pentland, 2013). Diese sollte wiederum in Begleitung eines Sportpsychologen optimiert werden.

Die Evaluation und das Monitoring der Leistungen von Teams ist wiederum wichtig, um neue Ziele zu setzen, Strategien zu überdenken, Trainings zu optimieren und die positive Stimmung im Team zu erhalten.

Wer machts? In der abschließenden Selbstkorrektur können einzelne Teammitglieder einander durch sogenannte Backing-up-Verhaltensweisen helfen (Porter et al, 2003), gut unterstützt sind sie dabei stets von Trainer und Sportpsychologe.

Theorie trifft Praxis

So weit die Theorie. Mit dieser habe ich meinen Vater Didi Constantini, selbst einmal österreichischer Fußball-Nationaltrainer, konfrontiert und er betonte, dass es alles andere als einfach sei, die optimale Stimmung in einem Team herzustellen:  

Didi und Johanna Constantini

„Wenn´s läuft, ist´s immer einfach. Wenn der Erfolg  jedoch auf sich warten lässt, ist es umso wichtiger, auch unter den Spielern Persönlichkeiten zu haben, die die gesamte Gruppe stärken können. Einen Sportpsychologe zur Hilfe zu ziehen, ist dann sinnvoll, wenn er sich in das Team eingliedern und auch mit den Trainern zusammenarbeiten kann.“

Dr. René Paasch (zum Profil) – Die Wertediskussion und die deutsche Nationalmannschaft

Werte sind all das, was uns Menschen im Leben zutiefst wichtig ist. Es sind die Qualitäten, nach denen wir streben. Nicht umsonst wurden auch in der Bewertung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Begriffe wie Werte und Tugenden immer wieder mit in den Topf geworfen. Aber wir übersehen bei solchen Diskussionen viel zu leicht, in welchem einem hoch komplexen System Profi-Fußballer einer Topnation wie Deutschland stecken, wie viele Beziehungen und Verknüpfungen bestehen.  

Graves (1974) hat über zwei Jahrzehnte Forschungsarbeit in eine hoch interessante Theorie investiert, auf die ich hinweisen will. Aus meiner Sicht macht es dieser Ansatz möglich, dass Thema Werte zu greifen. Sportler, Trainer, Funktionäre und Journalisten können dies nutzen, um sich und Dritte kritisch zu hinterfragen.

Einige Baustellen zu viel?

Münzen wir mit unserer Außensicht diese Fragestellungen auf die Nationalmannschaft um, wird deutlich, dass es in manchen Bereichen zumindest bei einigen Akteuren Baustellen gab:

  1. Körperliche Befriedigung – Gefühle und Emotionen?
  2. Sichere Art zu leben – Umgang mit Medien, Rückzugsmöglichkeit und feste soziale Strukturen?
  3. Heldentum, Macht und Ruhm – Menschlichkeit oder ICH-Bezug?
  4. Frieden – Akzeptanz sich selbst und der Welt gegenüber?
  5. Materielle Zufriedenheit – Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft?
  6. Liebevolle Beziehungen – Glück und Wertschätzung?
  7. Selbstachtung – ICH-Stärke und Fremdachtung?
  8. Frieden in einer unverständlichen Welt – Geben und Veränderungen?

Fazit

Auch bei einer Weltmeisterschaft, selbst wenn auf diese über Monate oder sogar Jahre hingearbeitet wird, geht es um den schnellen Erfolg. Schade dabei ist, dass auf diesem Weg allzu oft vergessen wird, wie komplex die Entstehung von sportlicher Leistung ist. Wir Sportpsychologen sind in diesem Zusammenhang ein kleines Teil im Getriebe – und genau dies hat die WM in Russland aus deutscher Sicht gezeigt. Denn zum einen kann kein seriöser Sportpsychologe zaubern, zum anderen gibt es sehr viele Bereiche, wo wir unser Wissen einbringen können. Im Fokus steht dabei der Erfolg aber auch die handelnden Akteure als Menschen und deren Gesundheit. Es gibt viel zu tun.   

 

Literatur

Graves, C. W., (1966), “The Deterioration of Work Standards”, in: Harvard Business Review, Vol.44, No.5, S.117-126

Graves, C. W., (1974), “Human Nature Prepares for a Momentous Leap”, in: The Futurist Magazine, April, S. 72-87.

Graves, Clare W. (2002), Levels of Human Existence, ECLET Publishing, Santa Barbara.

Graves, Clare W. (2005), The Never Ending Quest, ECLET Publishing, Santa Barbara.

Weitere Artikel: http://www.clarewgraves.com/

Carron, A.V., Bray S.R. and  Eys.M.A. (2002). Team cohesion and team success in sport, Journal of Sports Sciences, 20 (2) , 119-126.

Lewin, K. 1935. A dynamic theory of personality.New York, NY: McGraw-Hill.

McEwan, D. & Beauchamp, M.R. (2014) Teamwork in sport: a theoretical and integrative review, International Review of Sport and Exercise Psychology, 7:1, 229-250,

Rousseau, V.,Aubé, C. & Savoie, A. (2006). teamwork behaviors: A Review and integration of frameworks. Small Group research, 37, 540-570.

Pentland, A. (2013). The new science of building great teams. The chemistry of high-performing groups is no longer a mystery. In J.R. Katzenbach & D.K. Smith (Eds.), Harvard business review´s 10 must reafs on teams (pp.1-20).Boston, MA: Harvard Business School Publishing Cooperation.

Porter, C.O.L.H., Hollenbeck, J.R., Ilgen, D.R., Ellis, A.P.J., West, B.J., & Moon, H. (2003).Backing up behaviors in teams: The role of personality and legitimacy of need. Journal of Applied Psychology, 88, 391-403.

Sulliva, PJ. & Feltz, D. (2001). The relationship between intrateam conflict and cohesion within hockey teams. Small Group Research, 32, 342-355.

 

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de