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Dr. René Paasch: Die Gesetze des DFB-Pokals

Hamburger SV, Hertha BSC Berlin oder VfB Stuttgart? Welchen Erstligisten es in der diesjährigen ersten Pokalrunde treffen wird, ist unsicher. Mit relativer Sicherheit und auf Grundlage der Erfahrungen der vergangenen Jahre lässt sich sagen: Ganz bestimmt wird der ein oder andere haushohe Favorit seine Probleme bekommen. Dr. René Paasch hat sich diesem Phänomen genähert.

Zum Thema: Was steckt sportpsychologisch hinter den Gesetzen des DFB-Pokals?

„Soziale Faulheit“ lautet ein Phänomen, welches herangezogen werden kann, um Niederlagen höherklassiger Teams in einem Wettbewerb wie dem DFB-Pokal oder aber auch bei Freundschaftsspielen zu erklären. Denn das „soziale Faulenzen“ gehört zum sportlichen Alltag einer Sportmannschaft, definiert als Gruppe, dazu. Fußballer haben in Spielen immer wieder die Chance, sich hängen zu lassen oder hinter der Leistung der Mitspieler zu verstecken. Dieses Verhalten ist menschlich und demnach erwartbar, kann aber in der Wettbewerbssituation zu einem Problem für den Teamerfolg werden. Die Aufgabe von Seiten des Trainers ist es also, vorab dagegen anzuwirken. Dies lässt sich beispielsweise mit individuellen Zielen realisieren: Den einzelnen Spielern könnten etwa konkrete Erwartungen an ihre Zweikampfwerte, Torabschlüsse oder Passquote mit auf den Weg gegeben werden. Im Ergebnis dieser Sonderaufgaben hat jeder einzelne also bestimmte Aufträge, die sich bei Erfüllung positiv auf die Mannschaftsleistung auswirken und natürlich das „soziale Faulenzen“ eindämmen.

Die Chance der Kleinen

Drehen wir das Thema auf die andere Seite: Was können die unterklassigen Teams richtig machen? Erst einmal empfehle ich allen Amateuren eine möglichst langfristige Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen, um auch diese Ressourcen zu nutzen. In der gemeinsamen Arbeit kann die Mannschaft systematisch auf die besondere Aufgabe vorbereitet werden. Hierbei geht es vor allem um gruppendynamische Prozesse, also die Herausarbeitung des Teamgeists (http://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/19/dr-rene-paasch-fuehrung-und-teamentwicklung-im-fussball/) und das Bewusstsein, sich auf die eigenen Stärken verlassen zu können. Denn neben technischen Fähigkeiten zeigt sich der Klassenunterschied oft im absoluten „Ich will und ich kann“! Schließlich können technische Mängel durch hundertprozentige Laufbereitschaft, stetiges Reden und Motivieren auf dem Platz in diesen besonderen Spielen ausgeglichen werden. Wenn die Spieler dies verinnerlichen, ist die Mannschaft schon sehr weit und wird zu einem ernstzunehmenden Gegner.

Fit vom Punkt

Die absolute Krönung der Pokaldramaturgie ist bekanntlich das Elfmeterschießen: Während ein Profi auch vor 60.000 unzufriedenen Zuschauern noch den Elfmeter verwandeln können sollte, neigen Amateure häufiger dazu, dass ihnen in dieser unbekannten Situation die Nerven versagen. Ein Beispiel ist etwa die Zweitrunden-Pokalpartie aus dem Vorjahr zwischen dem 1.FC Magdeburg und Bayer Leverkusen. Der damalige Viertligist machte in der Partie fast alles richtig, scheiterte dann aber kläglich im Elfmeterschießen. Für die Vorbereitung einer solchen Drucksituation empfehle ich das bekannte Prognosetraining nach Eberspächer (2012) und parallel dazu das Üben von handlungsleitenden Selbstgesprächen (http://www.die-sportpsychologen.de/2015/05/22/prof-dr-oliver-stoll-macht-der-selbstgespraeche/). Wer sich an den Film „Sommermärchen“ über die WM 2006 erinnert, weiß, wie die Nationalspieler die Elfmetersituation simuliert haben. Ein Sportpsychologe kann mit den Spielern erarbeiten, wie man damit umgeht, wenn die Herzfrequenz nach oben schnellt und die Knie anfangen zu zittern.

In diesem Sinne: Ich wünsche uns einen spannenden Pokalspieltag. Mal sehen, welche Favoriten an diesem Wochenende auf der Strecke bleiben.

 

Literatur:

 

Eberspächer, H. (2012):  Das Handbuch für Trainer und Sportler. Stiebner Verlag GmbH. ISBN 3936376034

Karau, S. J. & Williams, K. D. (1993). Social loafing: A meta-analytic review and theoretical integration. In: Journal of Personality and Social Psychology. 65(4), 681–706.

Jeannine Ohlert: Teamleistung. Social Loafing in der Vorbereitung auf eine Gruppenaufgabe. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2009, ISBN 978-3-8300-4001-9.

Internet:

http://www.die-sportpsychologen.de/2015/05/22/prof-dr-oliver-stoll-macht-der-selbstgespraeche/ (Zugriff am 07.08.2015)

http://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/19/dr-rene-paasch-fuehrung-und-teamentwicklung-im-fussball/) (Zugriff am 07.08.2015)

 

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Thorsten Loch: Der Neue im Team

Bald startet die neue Bundesligasaison. In der letzten Phase der Vorbereitung arbeiten Trainer und Mannschaften am Feinschliff für die anstehende Runde. Taktische Formationen und Systeme werden im Training einstudiert und in Testspielen auf ihre Tauglichkeit hin überprüft. Quasi nebenbei gilt es, die in der Sommerpause verpflichteten Spieler ins Team zu integrieren. Weil Sportmannschaften ein spezielles Konstrukt sind, muss dies nicht ohne weiteres gelingen. Nicht selten stoßen die Neuen auf Widerstand, wenn etwa die Etablierten um ihren Platz fürchten, zu viele Spieler neu sind oder die Mannschaft eine echt eingeschworene Truppe darstellt.

Zum Thema: Wie das Patensystem die Integration von Neuverpflichtungen erleichtern kann

Definitionsmerkmale von Gruppen und Mannschaften

Gruppen spielen in zweierlei Hinsicht, quantitativ wie qualitativ, eine bedeutende Rolle im sozialen Zusammenleben: Quantitativ in der Weise, dass es eine Vielzahl von Gruppen gibt, denen ein Mensch im Laufe seines Lebens angehört, und qualitativ in der Form, dass Gruppen und die Zugehörigkeit zu Gruppen einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung von Menschen haben. Nach Carron/Hausenblas (1998) sind Gruppen somit mehr als die Summe ihrer Einzelteile, also mehr als die Addition der Eigenschaften ihrer Mitglieder. Sie haben vielmehr eine eigene Qualität und können eine eigene Dynamik entwickeln.

Was sind die wesentlichen Merkmale, die eine Gruppe ausmacht? Man kann von einer Gruppe sprechen, wenn sie aus mindestens zwei Personen besteht, jedes Mitglied sich der anderen Mitglieder bewusst ist und eine wechselseitige Kommunikation und Einflussnahme aller Gruppenmitglieder untereinander möglich ist. Darüber hinaus werden gemeinsame Ziele und Aufgaben, die Entwicklung eines Wir-Gefühls bzw. Zusammenhalts und eine gewisse zeitliche Kontinuität der Gruppe als Merkmal genannt (Alfermann/Strauß, 2001). Sicherlich lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen, ob die Definitionsmerkmale erfüllt sind, um von einer Gruppe sprechen zu können. Carron/Hausenblas (1998) sehen darüber hinaus in Mannschaften eine spezielle Art von Gruppe, weil Sportmannschaften eine gemeinsame Identität entwickeln, ein gemeinsames Schicksal teilen, ein gemeinsames Ziel verfolgen, die Teammitglieder gegenseitig voneinander abhängig sind und interpersonelle Attraktion der Gruppenmitglieder vorliegt, da die Interaktions- und Kommunikationsmuster durch die jeweiligen Regeln der Sportart strukturiert und determiniert sind.

Integration in eine bestehende Mannschaft

Die Vergangenheit zeigt, dass es nicht immer gelingt, Neuverpflichtung ins Team einzubauen. Nach Linz (2014) ist die Integration neuer Spieler besonders erschwert, wenn

  • die Mannschaft sehr verschworen ist.
  • die vorhandenen Spieler um ihre Einsatzzeit fürchten.
  • der neue Spieler sich nicht an die gegebenen Strukturen anpassen will.
  • der Neue von der Persönlichkeit bzw. vom Charakter her nicht zur Mannschaft passt.
  • die Neuverpflichtung gegen den Willen des Trainer getätigt wurde.
  • mehrere Spieler gleichzeitig verpflichtet werden.

Was können Trainer unternehmen, dass keine Unstimmigkeiten innerhalb der Mannschaft aufkommen und ein erfolgreicher Start in die Saison gelingt?

Fremdheit führt zu Distanz, Vertrautheit zu Nähe

Ziel ist es, „Grüppchenbildungen“ zu vermeiden und Distanz zwischen „Alten“ und „Neuen“ zu verringern. Insbesondere im leistungsorientierten Sport entscheiden gerade Kleinigkeiten über Sieg und Niederlage. Wie Zusammenhalt eine Mannschaft zu Höchstleistungen beflügeln kann, konnte schon mehrfach in der Sportwelt beobachtet werden. Damit sich u.a. ein solches Wir-Gefühl entwickelt, können kleinere Übungen helfen, sich besser kennenzulernen und Vertrautheit aufzubauen. So könnte beispielsweise ein Patensystem (vgl. Linz, 2014) installiert werden. Dabei übernimmt ein etablierter Spieler die Verantwortung für den Neuen. Dies beinhaltet unter anderem, als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen und in die Regeln und Gebräuche der Mannschaft einzuführen. Diese oder andere Maßnahmen bezwecken, den neuen Spielern das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, die Integration in das bestehende Gefüge/System zu erleichtern und einzelne, tiefere Verbindungen zwischen den beiden Gruppen zu schaffen. Dies ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Spielern den Einstieg in ein neues Team zu erleichtern. Hier sind der Kreativität des Trainers keine Grenzen gesetzt. Sollte der Coach jedoch Schwierigkeiten haben, kann ein Sportpsychologe mit ins Boot genommen werden, der diesen Prozess begleitet.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass Trainer und Mannschaft gerade in der Transferperiode immer wieder mit der Situation konfrontiert werden, neue Spieler in das bestehende System integrieren zu müssen. Hieraus können Probleme innerhalb des Teams entstehen, die sich mittel- bis kurzfristig auf die Leistung der gesamten Mannschaft auswirken. Den Verantwortlichen stehen diesem „Problem“ jedoch nicht hilflos gegenüber, sondern können gezielt Einfluss darauf nehmen, neue Mitspieler aufzunehmen und den Gruppenzusammenhalt zu stärken.

Literatur:

Alfermann, D./Strauß, B. (2001). Soziale Prozesse im Sport. In: Gabler, H., Nitsch, J. R., Singer, R. (Hrsg.). Einführung in die Sportpsychologie Band 2: Anwendungsfelder. Karl Hofmann Verlag: Schorndorf.

Carron, A. V., Hausenblas, H., Eys, M. A. (1998). Group dynamics in sport Fitness Information Technology. Morgantown, WV.

Linz, L. (2014). Erfolgreiches Teamcoaching: Ein Team bilden, Ziele definieren, Konflikte lösen. Meyer&Meyer Verlag: Aachen.

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Elvina Abdullaeva: Ohne Angst zum Kopfball

Kürzlich kam ein Fußballer mit dem Problem zu mir, dass er schon seit langem den Kopfball nicht richtig spielen könne. Wir fingen an zu analysieren und es stellte sich schnell heraus, dass er eine Verletzung nicht überwunden hatte. Seit einem Zusammenprall beim Kopfball mit zwei weiteren Spielern, bei dem er eine Gehirnerschütterung davontrug und bis heute auf keinerlei Erinnerung mehr an das Spiel zurückgreifen kann, hat er Angst beim Kopfball.

Zum Thema: Wie es gelingt, die Angst vor einer erneuten Verletzung zu überwinden?

Es kommt oft vor, dass ein Sportler nach einer Verletzung nicht wieder auf sein Leistungsniveau kommt. Mannschaftsärzte, Physiotherapeuten und Konditionstrainer stellen zwar fest, dass der Athlet wieder absolut gesund ist, allerdings liefert dieser nicht die gewünschte Leistung. Trotz eines effektiven Heilungsverlaufes wird der Wiedereinstieg also verzögert. Oft kann die Sportpsychologie in solchen Fällen helfen. Denn oftmals ist die Angst, sich erneut zu verletzen einer der wichtigsten Gründe, weswegen Sportler ihre Leistung nach einer körperlichen Verletzung nicht schnell und ganz entfalten können. Sie spielen sehr vorsichtig und trauen sich weniger zu. Oft kann sich diese Sache lange hinziehen und einen dauerhaften negativen Einfluss auf die Gesamtleistung haben. Auch in unserem Fall hat der junge Spieler erst nach langer Zeit ein Gespräch gesucht, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Gegen Angst hilft ein gutes Wort

Der Fußballer hatte also Angst, mit dem Kopf in den Zweikampf zu gehen. Wenn eine Flanke kam, drehte er sich immer weg. Die Aufgabe war klar: Der Spieler sollte sich von der Angst befreien und statt solche Situationen zu meiden, bis zum Ende bei der Sache bleiben und den Kopfball spielen. Wie kann man seine Angst überwinden, wenn sich bereits ein „sicheres“ Verhaltensmuster festgesetzt hat? In der Psychologie gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie und mit welcher Intensität man mit der Angst arbeitet. Es hängt natürlich vom Schweregrad dieser Ängste ab. Was auch immer diese Ängste sind, die Hauptidee bei der Angstbewältigung besteht darin, dass der Mensch sich der angstauslösenden Situation stellt (Morschitzky, 2009). Auch unser Spieler hat nun nach einer entsprechenden Sitzung entschieden, sich bewusst der Angst zu stellen. Dafür erarbeitete er für sich einige Trainingsmethoden, wo er das Besprochene unmittelbar üben konnte. Obwohl eine künstliche Nachstellung von Aktionen im Training nicht immer getreu einer Aktion im Spiel ist, ist es schon ein guter Anfang, sich in einer unbequemen Situation auszuprobieren und ein neues Verhaltensmuster auszuüben.

Der Fußballer sollte einen Kampf mit anderen Spielern inszenieren. Er hat versucht sein „Problem“ mit Spielfiguren darzustellen und übte gezielt, gegen die Plastikgegner zu spielen. Es ging darum, ein Schlüsselmittel zu finden, dass ihm helfen konnte, auf die mittlerweile gewohnten Reaktion zu verzichten und trotz aller Angst in den Zweikampf zu gehen. Für unseren Spieler fanden wir diesen Schlüssel in der „Methode der Selbstbekräftigung“ (Stoll et al., 2010). Diese Methode hat das Ziel, das Selbstvertrauen und die Motivation zur Problemüberwindung zu steigern. Durch gezielte Konzentration auf die wesentlichen Aspekte und bestimmte Selbstgespräche lenkt der Mensch seine Aufmerksamkeit auf positive und helfende Aspekte. Nun hat der Spieler konkrete Schlüsselwörter für sich ausgesucht: „selbstbewusst“„keine Angst“„gerade hoch“. Durch solche Kommandos hat er sein Problem kurz vor einem Kopfball ins Gedächtnis gerufen und somit konzentriert gegen die Angst angekämpft. Diese Worte erinnerten ihn daran, wie er sich verhalten soll. Und zur größten Verwunderung des Spielers hat diese Technik in Verbindung mit einigen Trainings auf dem Platz ihm geholfen, seine Angst zu überwinden. Schon kurz danach konnte er sicher mit dem Kopf spielen und Tore schießen.

Sportpsychologie kann die Rehabilitation beschleunigen

Das ist ein sehr gutes Beispiel, welches die Rolle der Psychologie in dem Rehabilitationsprozess nach einer Verletzung spielen kann. In dem Fall reichte nur eine Sitzung aus. Natürlich heißt das nicht, dass es immer so schnell gelingt, Ängste in den Griff zu bekommen. Es verdeutlicht aber, dass das mentale Begleiten die Rehabilitation beschleunigen kann. Auch der Held dieser Geschichte betont, dass genau die mentalen Aspekte ihm den fehlenden Impuls gegeben haben, um das Problem zu lösen: „Am meisten hat es mir geholfen, sich in jeder Situation durch meine unterstützenden Worte ins Gedächtnis zu rufen, wie man den Kopfball macht.“ Solche gezielten psychologischen Techniken entfernen die Blockade und lassen die Person das machen, was sie im Prinzip machen kann.

Weiterhin muntert der Spieler alle anderen Sportler und Trainer auf, sich auch eine sportpsychologische Hilfe nach einer Verletzung zu holen: „Ich empfehle einfach andere Sachen auszuprobieren. Ganz ehrlich, ich habe nicht damit gerechnet, dass ich das Problem so schnell in den Griff bekomme. Ich konnte den anderen sagen, dass wenn sie auch so was Ähnliches nach der Verletzung durchleben und selbst mit der Situation nicht klar kommen, dann sollen sie sich andere Meinungen von Spezialisten einholen. Offen gegenüber neuen Methoden zu sein, lohnt sich. Bei mir hat es funktioniert“.

Quellen:

Morschitzky, H. (2009). Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. 4. Aufl.Wien: Springer.

Stoll, O., Achter, M. & Jerichow, M. (2010). Vom Anforderungsprofil zur Intervention. Eine Expertise zu einem langfristigen sportpsychologischen Beratungs- und Betreuungskonzept für den Deutschen Schwimm-Verband e.V. Köln: Sportverlag Strauß.

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Dr. René Paasch: Mentales Training im Jugendfußball

Erfolg beginnt im Kopf. Misserfolg leider auch! Ist sicherlich kein neues Thema, dennoch ist die Verbreitung in der Praxis, insbesondere im Nachwuchstraining, noch nicht ausreichend genug vorhanden.

Zum Thema: Welche Möglichkeiten des mentalen Trainings mit Kindern und Jugendlichen ergeben sich im (leistungsorientierten) Fußball?

In der angewandten Sportpsychologie kann bereits ab circa zwölf Jahren mit einer altersgerechten Verbesserung mentaler Fertigkeiten begonnen werden. Diese Arbeit findet in der Regel auf dem Sportplatz oder in Kleingruppen statt. Vor allem die Stärkung mentaler Fertigkeiten, wie z.B. im Umgang mit Nervosität, bieten sich an. Darüber hinaus kann an der Verbesserung von technischen Fertigkeiten sowie an der Stärkung der eigenen Kompetenzerwartung und Konsequenzerwartung, gearbeitet werden, womit sich wiederum eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit erzielen lässt.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass mentales Training als Angebot bei Kindern und Jugendlichen zum Teil nicht ankommt, da die Verantwortlichen sich dieser Möglichkeit versperren. Nicht selten spielt dabei die Angst der Trainer oder der sportlich Verantwortlichen eine Rolle, dass das Hinzuziehen eines Sportpsychologen als Eingeständnis der fehlenden Kompetenz in diesem Bereich gewertet wird. Dies ist nur bedingt verständlich, zumal andere Nationen verschiedener Sportarten mit Sportpsychologen im Kinder und Jugendbereich seit Jahren auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten. Die derzeitige Situation ist aus der Sicht der meisten angewandten Sportpsychologen ziemlich bedenklich: Im Regelfall wird die Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen – aus Angst vor der roten Couch – gemieden oder es wird erst dann ein Experte zu Rate gezogen, wenn schwerwiegende Probleme gelöst werden sollen (z.B. Abstiegskampf, Konflikte zwischen Trainer und Spieler, Schulprobleme, schlechte Leistung auf dem Platz oder auch der Umgang mit Stress u.v.m.).

Was macht aber junge talentierte Sportler aus? Gemeinhin gilt, dass sie motorisch ziemlich auf der Höhe sind, neue Bewegungen mühelos lernen und es verinnerlicht haben, komplexe Dinge schnell aufzunehmen und diese dann leistungsrelevant abzurufen. Weniger geläufig ist die Bezeichnung mentaler Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Aber aufgepasst: Diese sehen die Leistungssituationen eher nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung. Die Stressforschung brachte Ergebnisse hervor, nach denen mental gefestigte Kicker in Belastungssituationen mit positiven Emotionen, situationsangepasster Erregung und ausgesprochener Fokussierung auf die eigentliche sportliche Tätigkeit reagieren. Der junge Kicker glaubt an sich selbst, bleibt in schwierigen Situationen gelassen und souverän, kann Niederlagen emotional gut verarbeiten, handelt selbstbewusst und verfolgt konsequent seine Ziele.

Ist davon auszugehen, dass zur Erreichung einer erfolgsversprechenden Leistung, ein über viele Jahre kontinuierliches angeleitetes Fußball-Training absolviert werden muss (Bloom, 1985), dann bleibt kaum nachzuvollziehen, dass sportpsychologisches Training in der Nachwuchsförderung in den ersten vier Ligen im Fußball nicht selten stiefmütterlich behandelt wird. Die Tendenzen zur Besserung sind jedoch erkennbar.

Das mentale Training

Aus den oben genannten Inhalten, stelle ich Ihnen nun ein praktisches Beispiel vor: Das mentale Training wird als planmäßig wiederholte, bewusste Sich-Vorstellen einer Handlung ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung erklärt (modifiziert nach Eberspächer 1995). Beim mentalen Training laufen somit äquivalente Prozesse wie bei der tatsächlichen Durchführung ab (funktionale Äquivalenz). Zunächst entwickelt ein junger Sportler ein umfangreiches Drehbuch beispielsweise zum Thema: Verbesserung seiner Treffsicherheit beim Freistoß. Anschließend schreibt er diese Bewegung im Detail auf und hebt dabei die Knotenpunkte hervor (Worte einkreisen). Dies könnte wie folgt aussehen:

– Anlauf; 2. Anlauf; Keine Systemveränderung; Linker Fuß startet, rechter Fuß zieht durch; Linker Fuß startet, rechter Fuß zieht durch; Linker Fuß startet, rechter Fuß zieht durch, Explosiver Schuss

– Anschließend trainiert der Fußballer die symbolisch markierten Knotenpunkte mental: Laaang; Laaang; Und; Links, Rechts; Links, Rechts; Zack; Schuss!

Die damit verbundenen mentalen Trainingsformen sind dann unter anderem das subvokale Training, das internal observative Training und das ideomotorische Training. Beim subvokalen Training ruft der junge Athlet die Handlungsausführung per innerem Gespräch ab. Beim internal observativen Training stellt er sich selbst aus der Außenansicht bei der Handlungsausführung vor (Kopfkino). Das ideomotorische Training hingegen ermöglicht eine Innenansicht beim Ausführen der Handlung. Diese Trainingsform aktiviert äquivalente neuronale Strukturen, wie praktisch ausgeführte Bewegungen (prämotorischer Kortex) und primär motorischer Kortex (Roth et. al. 1996). Beachten Sie dabei, dass das mentale Training in Verbindung mit der Praxis zu sehen ist und sensibel eingeübt werden sollte.

Zusammengefasst lässt sich unterstreichen, dass ein langfristiger Aufbau mentaler Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen in den Jugendleistungszentren mit Weitblick auf die psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit als eine von vielen zentralen Größen gesehen werden sollte. Ausgangspunkt sollte aus meiner Sicht ein feststehendes Konzept „Kinder und Jugendliche mental stark machen“ sein, dessen Ziel es ist, durch kontinuierliches Mentaltraining die Persönlichkeit so zu entwickeln, dass Kinder und Jugendliche ihre Leistungsmöglichkeiten umfassend ausschöpfen dürfen, parallel jedoch ihre schulische und berufliche Entwicklung nicht aus den Augen verlieren (vgl. Knörzer u.a. 2006). Weitere Tätigkeitsfelder sind z.B. das Training der positiven Selbsteinschätzung (Kompetenzerwartung), situationsgerechte Aktivierungsregulierung und die Förderung der Teamfähigkeit. Hierbei können Sportpsychologen in Verbindung mit den Trainern und Eltern nachhaltig unterstützen.

Literatur:

Bloom, B.S. (1985): Developing Talent in Young People. New York. Ballantine.

Engbert, K. (2011) Mentales Training im Leistungssport – Ein Übungsbuch für den Schüler- und

Eberspächer, H. (1995) Mentales Training. Sportinform Verlag.

Eberspächer, H. & Immenroth, M. (1999). Mentales Training – hilft es auch dem

modernen Chirurgen? Zentralblatt für Chirurgie, 124, 895-901

Jugendbereich. ISBN 978-3-938023-63-1. Neuer Kunstverlag/Neuer Sportverlag

Knörzer, W. (2006): Kompetenzorientierte Prävention und Gesundheitsförderung. In: Knörzer/

Knörzer, W. (2008): Kompetenzorientierte Prävention. „Life Skills Education“ mit dem Heidelberger

Kompetenztraining (HKT) zur Entwicklung mentaler Stärke. In: Becker/Carlsburg/Wehr (Hrsg.): Seelische Gesundheit und gelungenes Leben, Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 107-114

Mayer, J. & Hermann, H. D. (2014): Sportpsychologie im Nachwuchsfußball: Mentale Fertigkeiten entwickeln und trainieren. ISBN-10: 3894172339. Philippka-Sportverlag

Petrig, G.A. Mentaltraining für Jugendliche: Übungen zur Stärkung der Persönlichkeit zum Einsatz in Schule und Jugendarbeit Taschenbuch. ISBN-10: 3407628269, Beltz Verlag.

Roth, M., Decety, J., Raybaudi, M., Massarelli, R., Delon-Martin, C., Segebarth, C.M.,Morand, S., Gemignani, A., Decorps, M., & Jeannerod, M. (1996). Possible involvement of primary motor cortex in mentally simulated movement: A functional magnetic resonance imagery study.

Neuroreport, 7, 1280-1284

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Dr. René Paasch: Führung und Teamentwicklung im Fußball

Bei den meisten Fußball-Bundesligisten dreht sich im Sommer das Transferkarrussel in beeindruckender Geschwindigkeit. Aber auch bei vielen unterklassigen Teams wird der Kader für die bevorstehende Saison neu zusammengestellt. Beginnend mit dieser Phase entwickelt sich im Mannschaftssport das Team. Dieser Prozess ist langanhaltend und sollte von Beginn an vom Trainer beobachtet und gesteuert werden. Der vorliegende Leitartikel “Zur Führung und Teamentwicklung im Fußball” liefert wichtige sportpsychologische Standards und bietet hilfreiche Tipps für den Trainingsalltag.   

Für die-sportpsychologen.de berichtet Dr. René Paasch:

Fußball ist ein Mannschaftssport – trotz aller Individualisten. Deshalb ist das Thema Teamentwicklung für jeden Trainer aller Spielklassen ein zentrales Mittel, um leistungsfördernde Maßnahmen zu entwickeln. Diesbezüglich sprach sich Joachim Löw, Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft in einem Interview wie folgt aus: “Ein respektvolles, vertrauensvolles Miteinander in unserem Team ist mir sehr wichtig, Verlässlichkeit und Vertrauen sind in diesem Zusammenhang wesentliche Faktoren. Offene Kommunikation auf Augenhöhe, Kritikfähigkeit, Transparenz und Toleranz, das haben wir vorgelebt, aber es dauert eine Weile, bis so etwas von allen, den Spielern und auch den Betreuern, verinnerlicht wird. Bis alle einander vertrauen“ (vgl. Zeit vom 31.05.2012). Genau in dieser Kernaussage von Joachim Löw, liegen die umfangreichen Prozesse der kontinuierlichen und zeitlichen Teamentwicklung und Führung.

Gruppenkohäsion/Teamkohäsion

Bevor ich nun auf die Phasen der Teamentwicklung nach Tuckmann und Lau eingehen werde, möchte ich Ihnen den Begriff der Gruppenkohäsion oder auch Teamkohäsion anbieten, da dieser im sportlichen Kontext sehr wichtig ist. Kohäsion wird aus dem lateinischen Verb „cohaerere“ abgeleitet, was so viel wie miteinander verbunden sein bedeutet. Begriffe wie Zusammenhalt, Teamgeist oder Gruppenmoral werden oft synonym verwendet. In der Sportpsychologie wird in der Regel das theoretische Modell der Gruppenkohäsion von Albert Carron und Kollegen (Brawley und Widmeyer, 1998) verwendet. Laut Modell lässt sich Gruppenkohäsion in vier verschiedene Faktoren aufteilen. Zum einen kann man zwischen aufgabenbezogener und sozialer Kohäsion unterscheiden. Zum anderen wird die Gruppe als Ganzes betrachtet sowie der Einzelne im Kontext der Gruppe. Der Unterschied zwischen den letzten beiden Aspekten lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: So könnte es sein, dass man eine Mannschaft hat, bei der 15 von 16 Teammitgliedern viel zusammen unternehmen. Ein Sportler hingegen bleibt außen vor. Fragt man nun diesen Sportler nach der Einheit der Gruppe, so müsste er sagen, dass sie hoch sei, denn für die Gesamtgruppe stimmt dies ja auch. Jedoch der Sportler selbst ist dort nicht integriert und daher ist seine Verbindung zur Gruppe niedrig. Aus den bisherigen Erkenntnissen lässt sich hypothetisch folgendes schlussfolgern: Teams, die ihre Aufgabenkohäsion höher einschätzen als andere Teams, sind tendenziell auch erfolgreicher. Erfolge und Misserfolge im Saisonverlauf führen nicht zwangsläufig zu veränderten Kohäsionswahrnehmungen im Team. Es gelingt eher, einen höheren, positiven Einfluss vom vorherigen sportlichen Erfolg auf die Kohäsion nachzuweisen als umgekehrt (Lau, Stoll, 2002, 2003, 2004, 2007).

In dem nun folgenden Text, werde ich Ihnen die wichtigen Ansatzpunkte zur Entwicklung und einer kontinuierlichen Leistung im Team aufzeigen. Der Begriff „Team“ ist heutzutage überall im Gespräch. Doch was genau verbirgt sich eigentlich dahinter? Die sprachliche Wurzel des Begriffs „Team“ stammt aus dem Altenglischen und kommt von den Bedeutungen „Familie“ und „Gespann“. Was macht aber eine Familie aus? Wir sind miteinander verbunden, wir teilen einen gemeinsamen Namen, wir teilen gemeinsame Überzeugungen und Werte, wir halten zusammen. Und auch der Begriff des Gespanns erzeugt eine klare Vorstellung: Wir ziehen gemeinsam an einem Strang und wir setzen unsere Kräfte an der gleichen Stelle und für das gleiche Ziel ein. In diesem Zusammenhang und als Einstieg gilt das Phasenmodell von Tuckmann (1965, 1977).

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In der ersten Phase „Stadium: Kennenlernen“ machen sich die Mannschaftsmitglieder miteinander vertraut. Sie erkunden, ob sie sich dieser Gruppe zugehörig fühlen, und wenn ja, welche Rolle sie darin spielen. Insbesondere in dieser Phase entstehen Gefühle der Unsicherheit, der bedachten Zurückhaltung, die eine sensible Führung des Trainers voraussetzt. Daher ist eine Orientierung an Zielen und klaren Vorgaben zu empfehlen. Der Trainer sollte sich bemühen, die Motive und Erwartungen der Sportler in Erfahrung zu bringen und versuchen, diese mit seinen Vorstellungen abzustimmen. In dieser Phase sollte auf gute Stimmung geachtet werden, um die positive Anfangsmotivation zu stärken. In der zweiten Phase „Stadium: Konfrontation- Konfliktphase“ ist es unumgänglich, wenn man auf Dauer effektiv und erfolgreich sein will, dass der Trainer die Bildung von Untergruppen beobachtet und gegebenenfalls einschreitet, insbesondere bei zu starken und dominanten Gruppen. Zwischenmenschliche Konflikte, Rebellion gegen den Trainer, Widerstände gegen die Kontrolle durch die Gruppe oder gegen die Gruppennorm sind normale Verhaltensweisen und bedürfen einer bedachten Führung von außen. Der Trainer kommt in dieser Phase die Aufgabe zu, Stärken und Schwächen zu erkennen, diese transparent zu machen und einschätzen zu können. Anschließend sollte der Sportler seine Aufgabe und Rolle innerhalb der Mannschaft kennen. Im Übergang von der Konfliktphase ins „Stadium: Festigung“ sollte man als Trainer sensibel abwägen, wo man aktiv eingreift und wo man den Prozess der Gruppe überlässt. Die Festigung sollte dann durch solidarische und kooperative Einkünfte ergänzt werden. In der dann darauffolgende Phase „Stadium: Leistung“ steht dann der Erfolg. Teammitglieder sammeln ihre Kräfte, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Es gibt im Ablauf immer wieder neue Wege, die auf eine frühere Phase zurückführen, etwa bei Neuverpflichtungen oder neuen Konflikten. Insgesamt sollte der Prozess nicht einseitig gesehen werden, sondern aus einer ganzheitlichen Sichtweise. Aus dieser Sicht heraus wird deutlich, dass es grundsätzliche Regeln gibt, die für alle Gruppen gelten. Egal, ob es sich um Familien, Interessensgemeinschaften, Vereine oder eben auch Mannschaften handelt. Diese Regeln „gelten stillschweigend“, ohne dass diese vereinbart wurden. Beobachten Sie vertraute und erfolgreiche Teams. Sie werden vermutlich einiges von dem, was ich im Folgenden darstelle, im sportlichen Alltag wiederfinden.

Teamentwicklungstraining

Ein weiteres interessantes Konzept der Teamentwicklung für den Sport, ist das Teamentwicklungstraining (TET) von Lau (2005b). Dieses integrative Training vereint die praktische Wechselwirkung zwischen sportlichem Training, Wettspiel und sozialer Entwicklung der Mannschaft. Des Weiteren nutzt das TET personen- und gruppenzentrierte Maßnahmen, die auch Veränderungen organisatorischer Strukturen einschließen. Das TET basiert auf folgenden vier Grundannahmen:

1) Das Team ist entwicklungs- und lernfähig;

2) Das Team kommuniziert mit seiner Umwelt;

3) Die Leistungsoptimierung der Mannschaft besitzt eine zentrale Funktion und

4) Veränderungen innerhalb der Mannschaft haben höhere Akzeptanz unter den Spielern, wenn ihre Bedürfnisse und Wünsche einbezogen werden.

Als Zielsetzungen für das TET gelten daher:

  • Aufstellen von Teamzielen
  • Entwickeln eines Rollenverständnisses eines jeden Teammitgliedes
  • Förderung der Kommunikation
  • Initiierung eines Konfliktmanagements für Sach- und Beziehungsproblemen
  • Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz innerhalb der Gruppe
  • Förderung des Bewusstseins des Aufeinander-Angewiesen-Seins innerhalb des Teams.

Im Sinne der interdisziplinären und systemtheoretischen Orientierung bei der Erklärung kollektiver Leistungen im Sport baut das Teamentwicklungstraining (TET) von Lau auf folgenden Prinzipien auf:

  • Orientiert sich an einer Trainingsplanung, die dem Prinzip der Zyklisierung und Periodisierung folgt.
  • Orientiert sich an der Optimierung kollektiver Leistungsvoraussetzungen.
  • Die Mannschaft ist ein soziales System, das sich von seiner Umwelt abgrenzt, aber mit ihr kommuniziert und interagiert.
  • Korrespondiert mit Maßnahmen der Trainings- und Wettspielsteuerung.
  • Primär für das gesamte Team konzipiert, gruppen- und personenbezogene ergänzen das verfügbare Methodeninventar.
  • Vereint geplante und situationsabhängige Interventionsmaßnahmen.
  • Unterstützt positive Teamentwicklungstrends und (zer-)stört gezielt Fehlentwicklungen.
  • Basiert auf einer systematischen Teamdiagnose und bedarf einer kompetenten Interventionsleitung.

Es wird deutlich, dass sich das TET nicht an einer festen Phasenabfolge der Teamentwicklung orientiert, wie bei Tuckmann, sondern sich mit begleitenden Maßnahmen in die Struktur und Funktionen des sportlichen Trainings- und Wettkampfgeschehens einbindet. Neben wiederkehrenden und standardisierten Phasen im Saisonverlauf einer Fußballmannschaft sind es vor allem gruppenspezifische, nicht vorhersehbare Situationen, die zum Anlass für gezielte Interventionsmaßnahmen genommen werden. Der Erfolg des TET hängt somit stark vom Führungsverhalten des Trainers ab. Also konkret der Frage, ob es gelingt, über individuelle und kollektive Maßnahmen diesen Prozess zu fördern?

Die oben genannten Phasen der Teamentwicklung von Tuckmann und Lau werden begleitet von fünf zentralen Bestandteilen für ein echtes Team (s. Abb. 2)

Ziele

„Die gemeinsamen Ziele“ von heute sind die Gegenwart von morgen. Ziele reichen somit aus der Gegenwart in die Zukunft. Deswegen gehört die Zielsetzung zu den wichtigsten Motivationsmaßnahmen in einer Mannschaft. Daraus ergeben sich Hinweise, wie sich eine Mannschaft zusammenbringen lässt, wenn es erforderlich ist. Das gemeinsame Ziel ist dabei immer der Ausgangspunkt. Darauf sollten Trainer ihre Spieler jeweils zu Beginn einschwören. Und auf dieses Ziel kann immer wieder zurückgriffen werden. Und es ist etwas wesentliches, dass man nicht nur ein gemeinsames Ziel hat, sondern in der Erreichung des Ziels auch voneinander abhängig ist. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Athleten oft vergessen, wie sehr sie von ihrem Mannschaftskollegen abhängig sind. Deshalb betone ich diesen Aspekt immer wieder. Aus meiner Sicht gibt es verschiedene Typen der Zielsetzung, die sich in ihrer zeitlichen Vorausnahme und zum anderen durch ihre Inhalte unterscheiden. Deshalb ist es von Bedeutung, dass die persönlichen Ziele der Einzelmitglieder im Interesse des Mannschaftsziels greifen. Die „zeitlichen Ziele“, die in die Zukunft reichen, ändern somit die konkreten Erreichbarkeiten und führen zu gezielten Veränderungen. „Nahziele“ sind hingegen für die langfristigen Ziele richtungsweisend, da sie diese in eine überschaubare Frist einbinden. „Mittelfristige Ziele” motivieren über einen überschaubaren Zeitraum, z.B. über eine Spanne von vier Wochen bis zu sechs Monaten. Die “Langfristigen Ziele” als Leitidee steuern das Fernziel, “Nahziele” und “mittelfristige Ziele” führen zu vorausschauenden Tätigkeiten. Aus der sehr allgemeinen Darstellung der verschiedenen Typen ergibt sich die Wahl der Zielstellung und die verschiedenen Zielarten wie beispielsweise “die guten Vorsätze”, “die Ergebnisziele” und “die Fähigkeitsziele” (körperlich-konditionelle, koordinativ-technische, kognitiv-taktische und mentale Ziele). Bedenken sollten Trainer trotz aller guten Planung: Nur wenn Sportler ihre Ziele selbst definieren oder zumindest akzeptieren, übernehmen sie dafür auch die Verantwortung.

Regeln

„Die gemeinsamen Regeln“ sind der Grundpfeiler einer Mannschaft. Damit bestimmt das Team, was ihm wichtig ist und wo es seine Grenzen sieht. Mit festen Regeln sind z.B. konkrete Dinge wie ein Strafenkatalog für das das Benutzen von Telefonen während der Teamsitzungen gemeint. Solche Regeln sind wichtig, da sie für das Funktionieren der Abläufe in der Mannschaft sorgen und dem einzelnen Sportler Orientierung bieten. Genauso gelten Regeln, die nicht immer offen ausgesprochen werden, aber dennoch wirksam sind. Trainer könnten beispielsweise Fragen, welches Verhalten auf dem Platz erwünscht oder unerwünscht ist? Muss der Jüngste jeweils die Leibchen einsammeln? Alle solche Dinge sagen etwas über das Selbstverständnis der Mannschaft aus, darüber, was ihr wichtig ist. Trainer sollten mit ihrem Team über dieses Thema vor der Saison sprechen und sich überraschen lassen, was dabei heraus kommt.

Identität

„Die gemeinsame Identität“: In der Wirtschaft ist es schon lange Standard, dass man ein firmeninternes Leitbild entwickelt. Dieses beschreibt, wer man ist und/oder sein möchte, welche Werte man vertritt und wo man die eigenen Aufgaben und die eigenen Stärken sieht. Ein solches Leitbild ist auch im Sport hilfreich, denn es erleichtert die Identifizierung des Einzelnen mit dem Gesamten. Anhaltspunkte dazu:

  • Ich bin stolz und glücklich, in dieser Mannschaft zu spielen.
  • Wir werden in unserem Spiel sicher Auftreten und füreinander einstehen.
  • Für unser Team spielen wir mit Kraft und mit immer wiederkehrendem Engagement, komme, was wolle!
  • Und damit werden wir eine Mannschaft sein und erfolgreich spielen!!!

Leider werden solche Visionen und Bilder viel zu selten genutzt. Dabei drängen sie sich auf. Befindet sich zum Beispiel ein Tier im Vereinswappen? Denken wir doch einmal an das Eishockey. Die Berliner Eisbären. Das sind ganz klare Symbole. Aber auch ohne Tiersymbol gibt es viele Möglichkeiten, Leitbilder zu erschaffen. Beginnen wir das zum Beispiel so, indem Sie als Trainer sich vor Saisonbeginn mit Ihrem Team im lockeren Rahmen zusammensetzen und von ihren Träumen, ihren sportbezogenen Idealen erzählen. Und dann tragen Sie zusammen, wie sich die Einzelspieler schon sehen:

  • Was sind die Stärken und wie arbeiten wir gemeinsam an unseren Schwächen?
  • Was ist charakteristisch für ihr Team?
  • Für welche Werte stehen sie?

Anschließend führt der Trainer das Idealbild und die Realität zusammen. Das Leitbild sollte schon in die Zukunft weisen. Formulieren Sie die Essenz dieses Leitbildes in einem prägnanten Symbol (S04 im Fußball: Die blau-weiße Liebe) oder Satz (z.B. „Wir sind erfolgreiche Fußballer mit Herz und Hand.“). Dieses Symbol, dieser Slogan kann sie in den kommenden Monaten begleiten. Er kann sogar bis in die Jugendmannschaften weitergegeben werden, so dass sich ein Synergie-Effekt ergibt. Mit dem gemeinsamen Ziel, den gemeinsamen Regeln und der gemeinsamen Vision haben Sie eine gute Grundlage, die Ihre Mannschaft, der Verein und möglicherweise die Fans zusammenbringt und die Sie in hilfreicher Weise über die gesamte Saison begleiten kann. Dazu möchte ich Ihnen ein aktuelles Beispiel aus dem Film „Die Mannschaft“ nennen. Es ist ein Film, der die Handschrift von Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff trägt. Sicherlich aber auch ein Beitrag vom Teampsychologen Hans-Dieter Hermann. Es ist kein Zufall, dass Bierhoff immer wieder in Interviewpassagen auftaucht und eingreift und dass die Öffentlichkeit immer mehr über die angewandte Sportpsychologie im Fußball berichtet, insbesondere über Hermann. Somit sind das Campo Bahia und der Teamgeist der Schlüssel zum WM-Sieg. Die beiden Punkte variieren in den 90 Minuten immer wieder und zeigen das beeindruckende Gesicht einer wirklichen Mannschaft auf. Die Kernaussagen sind aus meiner Sicht folgende:

BRASILIEN HAT NEYMAR
ARGENTINIEN HAT MESSI
PORTUGAL HAT RONALDO
DEUTSCHLAND HAT EINE MANNSCHAFT
(zitiert nach Steven Gerrard)

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Kommunikation und Führung

„Kommunikation“ ist neben Führung aus meiner Erfahrung heraus das Schlagwort, dass am häufigsten benutzt wird. Wo Sportler und Trainer miteinander zu tun haben, spielen Interaktion und Austausch eine zentrale Rolle. In der Kommunikation gilt daher, dass Äußerungen stets einen Sachaspekt und einen Beziehungsaspekt besitzen. Jedes Teammitglied gibt neben der reinen Information immer etwas „von sich“ mit, mit dem er oder sie in Beziehung steht. So wie das Team miteinander kommuniziert, zeigt sich einem Sportpsychologen, wie es um die Beziehungen der Sportler und Trainer steht. Typischerweise verläuft die Kommunikation im Team wie eine unruhige Stimmungskurve. Zuerst ist die Stimmung gut und optimistisch, bis erste Streitereien entstehen. Erst wenn diese gelöst sind, kann es mit einem guten Gefühl produktiv weiter gehen. Ich zeige nun den – aus meiner Sicht – idealen Kommunikationsumgang, der ein Team erfolgreicher macht:

  • Respektvolle und wertschätzende Haltung gegenüber den Mannschaftskollegen
  • Aktives Zuhören und Nachfassen
  • Fehler offen ansprechen und lösungsorientiert darauf eingehen
  • ICH-Botschaften senden
  • Über die fünf Sinne kommunizieren
  • Inhalte auf das Wesentliche beschränken
  • Im Wettkampf einfache Inhalte wählen und diese zielführend senden

Für eine erfolgreiche Kommunikation gibt es keinen Knopf. Es genügt nicht, den Sportlern klar zu machen, dass man von Ihnen förderliche Kommunikation erwartet, ohne diese selber zu leben. Keiner der oben genannten Punkte funktioniert einfach so. Zielführende Kommunikation ist das Ergebnis stetiger Arbeit am Team und die Rückmeldung seines eigenen Kommunikationsstiles.

Aufgaben- und Rollerverteilung

Das Kennenlernen der individuellen und kollektiven Aufgaben- und Rollenverteilung und das Wissen um ihre Stärken und Besonderheiten erhöht die innere Sicherheit eines wachsenden Teams. Die Spielposition und die damit verbundenen Rollen sind dabei besonders zu erwähnen. Die Spielposition gibt den Platz an, den der Einzelne in der Mannschaft besetzt. Wichtig ist dabei, dass diese Position austauschbar bleibt, gleichermaßen aber nicht jedes Teammitglied in der Lage ist, die mit dieser Position verbundenen Aufgaben zu erfüllen. Die damit verbundene Funktion wird dann als Rolle bezeichnet. Die Rolle ist wiederum die Erwartung, die ein Spieler auf einer Position erfüllen soll. Geknüpft daran sind zwei Aspekte: Die Forderungen und Pflichten, die an die Rolle gebunden sind und der persönliche Beitrag zur Mannschaftsleistung. Das Rollenverständnis beinhaltet also für den Sportler die Fragen:

  • Was muss ich tun? (Pflicht)
  • Was darf ich tun? (Individualitätsgrad)
  • Was soll ich tun? (persönliche Erwartung)
  • Was kann ich tun? (Selbsteinschätzung) (Baumann, 2002)

Jeder Spieler hat dadurch zunächst die Forderungen und Pflichten zu erfüllen. Durch diese Kenntnisnahme kann der Sportler sein persönliches Können zielgerichtet einsetzen. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass es komplexe Rollen gibt, die ein variables Verhalten voraussetzen wie beispielsweise die zentrale Mittelfeldposition. Daher sind eine frühzeitige Kenntnisnahme der Position und Rolle im Team, weitere Bestandteile eines echten Teams.

Wenn wir die Liste der oben genannten Bestandteile eines echten Teams jetzt noch einmal betrachten und uns zurück in unsere Beispielsituation mit ihnen als Trainer stürzen: Wo sind bei Ihrer derzeitigen Mannschaft oder der geplanten saisonalen Vorbereitung Prozesse zu erarbeiten? Und mit welchen Punkten haben Sie selber als Trainer am meisten Erfahrungen? Sind Sie z.B. in der Lage, diese Komplexität eines Teams zu entwickeln? Nur, wenn es ihnen selbst gelingt, die genannten Bestandteile ausreichend in den Griff zu kriegen und von außen sensibel zu führen, werden Sie auch in der Lage sein, bei ihrer Mannschaft einen entsprechenden Teamspirit und das dazu passende Ergebnis zu erschaffen.

Zusammenfassung

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Phasen der Teamentwicklung fortlaufend stattfinden und einer sensiblen Führung bedürfen. Das gemeinsame Ziel, die gemeinsamen Regeln und die gemeinsame Vision sind eine sehr gute Grundlage, um die Mannschaft zusammenzuführen und in hilfreicher Funktion, saisonal zu begleiten. Genauso wie die alltägliche Kommunikation und der Umgang mit der Aufgaben- und Rollenverteilung beeinflussen diese Punkte den Entwicklungsprozess eines Teams. Zu guter Letzt möchte ich den Dokumentar-Film „Trainer” wärmstens empfehlen! Aljoscha Pause ermöglicht hier reale Einblicke in den Arbeitsalltag eines Fußballtrainers. Teamsitzungen und lebensnahe Bilder sowie viele persönliche Einschätzungen zeichnen ein interessantes Bild des Trainers, die permanent unter höchsten psychischen Druck der Öffentlichkeit stehen.

Einen kleinen Ausschnitt dazu, finden Sie in dem nun folgenden Trailer:

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Fazit: In der Entwicklung und Festigung eines echten Teams und in vertrauensvoller Unterstützung können Sportpsychologen in Verbindung mit dem Trainer, dem Funktionsteam und den Verantwortlichen effektiv unterstützen. Die Komplexität dieser Prozesse macht es aus meiner Sicht unerlässlich, dass Sportpsychologen fester Bestandteil in den Trainerstäben der Fußball-Bundesligisten werden.

 

Literatur

Carron, A. V., Hausenblas, H. A. & Eys, M. A. (2005). Group dynamics in sport. Morgantown: Fitness Information Technology.

Carron, A. V., Colman, M. M., Wheeler, J. & Stevens, D. (2002). Cohesion and performance in sports: A meta-analysis. Journal of Sport and Exercise Psychology, 24, 168-188.

Carron, A.V., Brawley, L.R., & Widmeyer, W.N. (1998). The measurement of cohesiveness

in sport groups. In J.L. Duda (Ed.), Advances in sport and exercise psychology measurement

(pp. 213–226). Morgantown, WV: Fitness Information Technology.

Carron, A. V., Widmeyer, W. N. & Brawley, L. R. (1985). The development of an instrument to assess cohesion in sport teams: the Group Environment Questionnaire. Journal of Sport Psychology, 7, 244-266.

Argyle, M. (2005). Körpersprache und Kommunikation. Das Handbuch zur nonverbalen

Kommunikation. 9. Aufl. Paderborn: Junfermann.

Baumann, S. (2002): Mannschaftspsychologie: Methoden und Techniken. Aachen: Meyer & Meyer.

Ulrich Voigt, Martin Christ und Jens Gronheid: Der Film „Die Mannschaft“

Eberspächer, H. (1982): Interaktionsprozesse und Gruppen im Sport. In Eberspächer, H.: Sportpsychologie. Reinbek: Rowohlt. S.197-242.

Esser, A. (2005). Zur sportpsychologischen Arbeit mit der Damen Nationalmannschaft

Hockey. In G. Neumann (Hrsg.), Sportpsychologische Betreuung des deutschen Olympiateams 2004. Erfahrungsberichte – Erfolgsbilanz – Perspektiven.

Hübler, A. (2001). Das Konzept ‚Körper‘ in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften. Stuttgart: UTB.

Jackson, P. (1995): Sacred hoops. New York: Hyperion.

Kauffeld, S. (2001): Teamdiagnose. Göttingen: Hogrefe.

Krueger, R. (2001): Teamlife: Über Niederlagen zum Erfolg. Wirtschaftsverlag Carl Ueberreuter.

Lau, A. & Stoll, O. (2002). Validität und Reliabilität des Fragebogens zur Mannschaftskohäsion von Sportspielmannschaften (MAKO-02). In S. Schulz (Hrsg.), Bericht über den 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Berlin (S. 374). Lengerich: Papst Science Publishers.

Lau, A., Stoll, O. & Hoffmann, A. (2003). Diagnostik und Stabilität der Mannschaftskohäsion in den Sportspielen. Leipziger sportwissenschaftliche Beiträge, 44 (2), 1-24.

Lau, A., Stoll, O. & Schneider, L. (2004). Development of a Questionnaire to Measure Cohesion in Team Sports. Conference Proceedings – Association for the Advancement of Applied Sport Psychology in Minneapolis/Minnesota (p. 66).

Lau, A. (2005a): Die kollektive Leistung in den Sportspielen – eine interdisziplinäre Analyse. Habilitationsschrift. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Lau, A. (2005b): Das Teamentwicklungstraining – ein systemisches Konzept für die Mannschaftssportspiele. Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge, 46(1), 64-82

Lau, A. & Stoll, O. (2007). Gruppenkohäsion im Sport. Psychologie in Österreich, 27 (2), 155-163.

Ligget, D.R. (2004) Sporthypnose. Heidelberg. Auer

Linz, L. (2003): Erfolgreiches Teamcoaching. Aachen: Meyer & Meyer.

Poggendorf, Armin / Spieler, Hubert (2003): Teamdynamik – Ein Team trainieren, moderieren und systemisch aufstellen, Paderborn: Junfermann Verlag. (ISBN 3-87387-531-4)

Tuckman, Bruce W. / Jensen, Mary Ann (1977): Stages of small-group development revisited, Group Org. Studies 2.

Tuckman, Bruce W. (1965): Developmental sequence in small groups, Psychological Bulletin, 63, S. 384-399.

Vgl. Zeit vom 31.05.2012: Interview mit Joachim Löw, Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Vgl. Zeit vom 26.08.2013: Interview mit Markus Wiese, Trainer Hockeynationalmannschaft.

 

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Thorsten Loch: Wenn die „Uhr“ Druck macht

Nach aktuellen Berichten will der HSV seine Erstligazugehörigkeitsuhr abbauen und ins Vereinsheim verbannen. Die Uhr der Bundesligadino`s läuft bereits seit über 50 Jahren ununterbrochen. Die sportliche Glanzzeit mit den Erfolgen auf nationaler und internationaler Vereinsebene lag in den 1970er und 1980er-Jahren mit ihren Starspielern Manfred Kaltz oder Kevin Keegan. Von dieser Zeit ist der heutige Hamburger SV seit langem weit entfernt. Anstelle von Endspielen um Titel standen in den letzten drei Jahren zwei Endspiele um den Klassenerhalt und der Existenz an der Tagesordnung. Sinnbildlich wurde die Uhr immer wieder von den Medien und Fans genutzt, um die sportliche Talfahrt zu beschreiben.

Zum Thema: Selbst- und Fremdbild

Die Problematik mit der Uhr ist nicht die Zeit an sich, die sie anzeigt beziehungsweise die Zugehörigkeit in der Bundesliga, die sie wiedergibt, sondern vielmehr was sich dahinter verbirgt. Die Uhr ist ein Symbol für Tradition und Stolz und wird somit zwangsläufig mit den Erfolgen aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht. An sich kann jeder Einzelne stolz sein, für einen Verein zu spielen und zu arbeiten, welcher bisher etwas geschafft hat, was niemand mehr schaffen wird und man der letzte Verbleibende ist. Andererseits kann dies auch gegenteilige Wirkung haben und in Erfolgsdruck münden. Dies ist immer dann der Fall, wenn Selbst- und Fremdbild auseinander gehen.

Selbst- und Fremdbild

Ausschlaggebend für die Entwicklung von Erfolgsdruck ist das Bild, welches die Sportler von sich selbst haben (Selbstbild), und das Bild, welches die Außenwelt von dem Athleten hat (Fremdbild). Beide Bilder hängen stark voneinander ab. Ein Sportler, der sich nach außen hin außerordentlich selbstsicher und siegesgewiss gibt, wird von seiner sozialen Umwelt oft auch mit ähnlichen Attributen versehen. Umgekehrt kommt es im Sport häufig auch vor, dass Athleten das Bild, welches das Umfeld (z.B. Medien) von ihnen hat, mit der Zeit übernehmen (Kleinert/Mickler, 2003).

Wie hängen nun das Selbst- und Fremdbild mit Erfolgsdruck zusammen? Die Verantwortlichen und Mannschaft des HSV haben ein positives Selbstbild von sich und ihren Fähigkeiten. Dies hatten die Hamburger innerhalb und nach Außen offen kommuniziert. Diesem Anspruch wurden die „Rotenhosen“ nicht mit entsprechenden Leistungen an den Wochenenden gerecht und bestätigten somit viele Experten, welche im Vorfeld schon angedeutet haben, dass es der HSV schwer haben würde. Die Mannschaft setzte sich somit selbst unter einen gewissen Erfolgsdruck und dieser wurde mit der Zeit durch das Fremdbild noch verstärkt. Es bleibt festzuhalten, dass Erfolgsdruck durch ein hohes Selbstbild oder ein hohes Fremdbild oder durch eine spezifische Konstellation von beiden verstärkt werden kann.

Maßnahmen bei Erfolgsdruck

Welche Möglichkeiten bestehen nun, um mit Erfolgsdruck und den damit verbunden Konsequenzen besser umzugehen? Zunächst ist im Sinne einer Ist-Analyse genau festzustellen, wie der Erfolgsdruck zustande gekommen ist. Kleinert (2003) unterscheidet grundsätzlich zwischen selbst- und fremdinitiierten Erfolgsdruck. Der selbstinitiierte Erfolgsdruck ist primär hausgemacht, sprich: Die Ursachen liegen bei dem Sportler selbst. Hier ist der Erfolgsdruck vorrangig das Ergebnis eines unrealistischen Bildes, das man von sich hat, der eigenen zu hohen Erwartungen oder der Aufregung. Im Gegensatz dazu liegen die Ursachen des fremdinitiierten Erfolgsdrucks vor allem im Umfeld, also den Personen um einen herum und in der Öffentlichkeit. Fremdinitiierter Erfolgsdruck steht häufig in Verbindung mit falschen Fremdbildern, zu hohen äußeren Erwartungen oder hoher sozialer äußerer Spannung. Abbildung 1. (in Anlehnung an Kleinert, 2003) fasst den Erfolgsdruck als Prozess äußerer und innerer Abläufe zusammen.

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Hieraus wird deutlich, dass beide Bedingungen eng miteinander verknüpft und nur sehr schwer zu trennen sind. Dennoch kann in diesem Wechselspiel zwischen selbstinitiierten und selbst auferlegten Erfolgsdruck häufig auf einer der Seiten ein Schwerpunkt ausgemacht werden.

Falsches Selbstbild? – Sich selbst kennen lernen

Hier entsteht ein Konflikt, denn eine Seite muss unrecht haben. Bin ich es, der sich falsch einschätzt oder sind es die anderen? Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn das Selbstbild einer kritischen Prüfung unterzogen wird. Wo sind meine Stärken, wo meine Schwächen? Von welchen situativen Faktoren ist mein Verhalten besonders abhängig? Die Antwort auf diese kritische Analyse lässt ausschließlich zwei Ergebnisse zu. Entweder ich habe mich richtig eingeschätzt und die anderen liegen falsch oder andersherum. Im zweiten Fall heißt es dann, Mut zu beweisen. Erst nach reiflicher Überlegung und Gesprächen mit vertrauten Menschen sollte das eigene Selbstbild angezweifelt werden. Dann jedoch kann aus einer Veränderung des Selbstbildes eine große Macht erwachsen.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass Erfolgsdruck sich aus vielen Komponenten zusammensetzt und sich wechselseitig beeinflusst. Sein eigenes Selbstbild zu hinterfragen erfordert Mut, jedoch birgt es auch unheimliches Potential, wenn man es erkennt. Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen des HSV diese Analyse realistisch durchlaufen, damit die Uhr noch lange tickt, ob im Stadion oder im Vereinsmuseum.

 

Literatur:

Kleinert, J./Mickler, W. (2003). Erfolgsdruck. Wenn Ansprüche über den Kopf wachsen. In: Jens Kleinert (Hrsg.): Erfolgreich aus der sportlichen Krise. Mentales Bewältigen von Formtiefs, Erfolgsdruck, Teamkonflikten und Verletzungen. BLV Sportwissen: München.

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Dr. René Paasch: Der Umgang mit Medien

Unter Journalisten hat Huub Stevens einen über Vereinsgrenzen hinweg etablierten Namen: der “Knurrer von Kerkrade”. Entsprechend verhalten war die Freude unter den schwäbischen Journalisten als der Niederlander den VfB Stuttgart im Abstiegskampf der vergangenen Saison übernahm. Gilt doch der Niederländer als äußerst verschlossen, wortkarg und Journalisten gegenüber gerade aggressiv patzig. Keine Frage, damit zählt Stevens zu einer aussterbenden Art in der Trainergilde. Jungen Trainern würde es deutlich schwerer fallen, mit einem solchen Verhalten auf Akzeptanz zu stoßen.

Zum Thema: Welche Fehler sollten Trainer in der Medienarbeit vermeiden?

Medienvertreter wollen Trainer nicht als Feind, sondern als Partner betrachten. In diesem Zusammenhang erwarten sie einen gelassenen Umgang mit der Privatsphäre und ertüchtigen sich gleichzeitig über aggressives Nachfragen und wünschen dazu jedoch Informationen mit entsprechendem Nachrichtengehalt. Kein einfaches Unterfangen, doch nach genauem Hinsehen ist eine langfristige und wertschätzende Zusammenarbeit möglich.

Demgegenüber ist die Verbreitung von Lügen ebenso wie jegliche Ausübung von Druck (Future Journalism in Europe, 1995) ein “No-Go”. Es geht nicht darum, auf die kleinen Gelegenheitslügen zu verzichten, wie „ich kann Ihnen dazu leider nichts sagen“ oder „mir sind diese Dinge nur aus der Presse bekannt“. Darüber hinaus sollten aber gepflegte Halbwahrheiten nicht zum Handwerkszeug gehören, denn bereits eine einzige aufgedeckte Lüge kann der öffentlichen Glaubwürdigkeit eines Sportlers und Trainers erheblichen Schaden zufügen.

Die gravierendsten Fehler werden in der guten Absicht gemacht, einen vergangenen Fehler wieder gerade zu biegen. Die beste Möglichkeit, einen Skandal zu vermeiden, ist, Fehler einzugestehen und situationsgerecht damit umzugehen. Beispiel gefällig? Ein nicht geahndetes Foul im rheinischen Derby zwischen den Kölner Haien und der Düsseldorfer EG sorgte für großen Ärger gegenüber dem Schiedsrichter-Duo Bastian Haupt und Gordon Schukies. Der mehrfache Deutsche Meister DEG fühlte sich zu ungerecht behandelt. Die DEG stellte daraufhin einen Antrag auf ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Kölner Spieler. Sie bekamen daraufhin vom Disziplinarausschuss Recht. John Tripp wurde für dieses Foul für zwei Spiele gesperrt. Selbst der Schiedsrichterbeauftragte Holger Gerstberger äußerte sich mit folgenden Worten dazu „Natürlich müssen wir eingestehen, dass die Schiedsrichter dort einen Fehler begangen haben. Daraus müssen wir lernen, gerade auch die Schiedsrichter.“ Sicherlich ist das Ergebnis und die Entscheidung nicht rückgängig zu machen, doch ein offener Umgang seitens der Verantwortlichen Schiedsrichter wäre in diesem Fall angebracht gewesen.

Ein weiterer Fehler im Umgang mit Journalisten ist der Versuch, ihnen vorzuschreiben, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Trainer verletzen damit die journalistische Berufsethik und bezweifeln offenkundig die fachliche Kompetenz des Journalisten. Sie sollten also Formulierungen vermeiden wie: „Sie sollten sich besser informieren oder ihren Job wechseln“. Solche oder ähnliche Aussagen führen nur zu unnötigen Problemen. Wer in diesem Zusammenhang das Recht des Stärkeren beansprucht, muss sich nicht wundern, wenn er öffentlich angegriffen wird, sobald der Journalist eine Gelegenheit dazu bekommt. Journalisten freuen sich zwar, wenn ihnen die Arbeit durch die Informationsweitergabe erleichtert wird. Aber sie können Sportler und Trainer nicht ausstehen, die sie mit uninteressanten Infos oder Eitelkeiten füttern. Pflegen sie daher den Kontakt zum Journalisten bedacht und sorgen sie für eine natürliches profitables miteinander. Egal welche Erfahrungen sie bisher mit den Medienvertretern gemacht, lassen sie sich nicht verleiten, pauschal alle über einen Kamm zu scheren. Schwarze Scharfe sind in jedem Beruf vorhanden. Und zu guter Letzt sollten sie die Informationsfreiheit der Journalisten nicht willkürlich einschränken, indem Sie unliebsame Redaktionen und Journalisten bei Interviewwünschen übergehen. Denn spätestens durch die Berichtserstattung der übrigen Medien erfahren die Journalisten ohnehin, was sie mitgeteilt haben. Sie könnten also einen bisher guten Kontakt zu den Medien gefährden, wenn sie einzelne Medienvertreter ausschließen oder schlechter behandeln.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Lügen, die Verheimlichung von Informationen, Einflussnahmeversuche in Bezug auf Texte oder gar pauschale Beleidigungen des Berufsstandes, nicht Karriere fördernd sind und eine zusätzliche Last für den Sportler und Trainer darstellen können. Desweiteren lassen sich aus den oben genannten Punkten weitere Inhalte für eine sportpsychologische Zusammenarbeit mit Sportler und Trainer aufzeigen. Wie das Training der äußeren Erscheinung (Haltung, Gestik, Mimik, Zuwendung/Blickkontakt). Oder die intensive Schulung der argumentativen Antwort im Interview nach der 3-B, 5-B-Formel (Basis, Behauptung/Kernaussage, Begründung/Beispiel, Bekräftigung) (Hermann, Schmid, 2002). Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch ganz grundsätzlich die gezielte Vorbereitung von Interviews und das Training der allgemeinen kommunikativen Kompetenzen. Denn ein individueller Fußabdruck in der Medienlandschaft ist kein Hexenwerk, nur eine Frage des gezielten Trainings. Hierbei können Sportpsychologen in Verbindung mit den Medienverantwortlichen des Vereins effektiv helfen.

Literatur

Branahl (2009): Medienrecht: Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften; Auflage: 6., überarb. u. akt. Aufl. 2009 (25. März 2009)
Hermann, Schmid (2002): Reden wie die Profis: Die perfekte Rede im Beruf. Haufe Verlag.
Kohtes & Klewes (1999) Wie stellen sich Journalisten die ideale Zusammenarbeit mit PR-Agenturen vor? www.agenturcafe/de/back/studiehtm vom 20.05.1997, S. 7
Pflaum, Pieper (1990) Lexion der Public Relation, Berlin
Schulze-Fürstenow (1994) Konzeptions-Modell für gesellschaftsorientierte Public Relation, in: Handbuch PR, 2. Auflage, Neuwied & Kriftel.

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Prof. Dr. Oliver Stoll veröffentlicht E-Book „Einmal war ich in Biel“

100 Kilometer und ein Jahr nach dem längsten Lauf seines Lebens legt der Leipziger Sportpsychologe Prof. Dr. Oliver Stoll ein bislang unvergleichliches E-Book vor. In “Einmal war ich in Biel – Eine Liebeserklärung an das Laufen, die Liebe und das Leben” (zum E-Book) erzählt nicht nur ein ambitionierter 52-jähriger Freizeitsportler seine Geschichte der “100 Kilometer von Biel”, dem wohl europaweit bekanntesten Ultramarathon. Nein, hier taucht auch ein international anerkannter Sportpsychologe in die Tiefe einer Grenzerfahrung ab, in die sich jährlich abertausende Ausdauersportler mehr oder weniger vorbereitet stürzen.

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Ausflug in ein neues Genre

Nach unzähligen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist „Einmal war ich in Biel“ nun ein Ausflug in ein ganz neues Genre. Der 52-Jährige versucht dabei ganz bewusst den Brückenschlag zwischen seiner Fachdisziplin Sportpsychologie und der Erlebniswelt von ambitionierten Freizeitsportlern. In Letztere ist Stoll erst in jüngerer Vergangenheit zurückgekehrt: Nach seinem sehr ambitionierten und leidenschaftlichen Drang nach Bestleistungen in seinen 20ern, reduzierte sich die Anzahl seiner Laufteilnahmen nach seinem 30. Geburtstag deutlich. Im Zuge seiner beruflichen Karriere als Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sportpsychologie und Sportpädagogik an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geriet seine Leidenschaft für das Laufen sukzessive in den Hintergrund. Stattdessen engagierte er sich im Aufbau seines in Deutschland immer noch neuem sportpsychologischen Berufsfeldes, der Politik und der aufkommenden Sportart Floorball. Als Sportpsychologe der Wasserspringer des Deutschen Schwimmverbandes erlebte er die Olympischen Spiele 2008 in Peking mit. 2014 startete er zudem die Plattform www.die-sportpsychologen.de. Nach fast zehnjähriger Marathonpause absolvierte Stoll im Herbst 2012 wieder ein Rennen über die klassische Ausdauerdistanz. Mittlerweile ist er zurück im Läuferzirkus und dies mehr denn je – allerdings unter stark veränderten Vorzeichen, wie er in seinem Buch eindrucksvoll erklärt.

Zum E-Book: Einmal war ich in Biel

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Prof. Dr. Oliver Stoll: Sportpsychologentransfers

Philipp Laux, der (ehemalige) Sportpsychologe von RB Leipzig wechselt zusammen mit Alexander Zorniger, dem (ehemaligen) Trainer von RB Leipzig nach Stuttgart. So berichtete kürzlich die Leipziger Volkszeitung. Ich konnte mir dabei ein Lächeln nicht verkneifen. Nicht wegen dieser Tatsache im Allgemeinen, sondern mehr man wieder einmal deutlich sehen kann, wie sehr sich das Berufsfeld des Sportpsychologen vom Berufsfeld des Psychologischen Psychotherapeuten unterscheidet. Diesen Unterschieden habe ich mich schon einmal in einem anderen Blog gewidmet (Prof. Dr. Oliver Stoll: Fernab der Roten Couch).

Zum Thema: Die Sportpsychologie zwischen zwei Welten

Für Psychologen, die sich im Feld des Leistungssports bewegen, gelten wohl auch die Rahmenbedingungen sowie das Normen- und Wertesystem dieses Settings. Ich könnte mir nur schwer vorstellen, dass ein Kollege mit einer psychotherapeutischen Praxis seinen Wirkungsort wechselt, weil es die neuen Patienten/Klienten so fordern. Die hier angeschnittene Problematik zeigt ein Dilemma auf, in dem sich die Sportpsychologie meines Erachtens immer noch befindet. Historisch betrachtet hat sich die Sportpsychologie zwar aus der Sportwissenschaft entwickelt. Die relevanten Impulse für ihre Entwicklung bekam sie jedoch aus der Mutterwissenschaft – der Psychologie. Dies hing natürlich mit den handelnden Personen zusammen, also eben Professorinnen und Professoren, die im Wesentlichen aus der Psychologie kamen, um dann in der Sportpsychologie zu wirken. Dies hatte nachvollziehbar zur Folge das häufig psychologische Theorien und Ansätze in den Sport übertragen wurden, obwohl das Setting „Leistungssport“ eben völlig anders aufgestellt ist, als das eher therapeutisch geprägte Feld der Psychologie bzw. Psychiatrie (siehe hierzu auch Stoll & Gissel, 1996).

Für den in der Praxis des Leistungssports arbeitenden Sportpsychologen bedeutet dies aber, dass er sich im Wesentlichen dem Leitungssportsystem unterordnen muss, wenn er hier erfolgreich arbeiten möchte. Das bedeutet auch, dass die Arbeit eher selten in einer „Praxis“ arbeitet, wie dies eher die therapeutischen Kollegen tun. Das heißt ebenfalls, dass die Sprache der jeweilgen Sportart beherrschen sollte und es bedeutet, insbesondere im Training, sich auf dem Sportfeld, der Sporthalle, am Beckenrand, aufzuhalten. Darüber hinaus bedeutet es eben auch, dass man die Wirkungsstätte wechseln muss, wenn die sportliche Leitung dies für sich entscheidet. Ich bin weiterhin sehr gespannt, wie sich unser Berufsfeld weiter entwickeln wird und inwieweit sich, insbesondere unsere Disziplin in der Sportpraxis weiter „emanzipieren“ wird.

 

Stoll, O. & Gissel, N. (1996). Zur Übertragbarkeit allgemeinpsychologischer Modelle auf sportpsychologische Fragestellungen. In A. Conzelmann; H. Gabler und W. Schlicht (Hrsg.), Soziale Interaktionen und Gruppen im Sport (S. 146-154). Köln: bps.

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Katharina Petereit: Zum Tod von Andreas Biermann

Der ehemalige Profifußballer Andreas Biermann hat am 18. Juli 2014 den Kampf gegen seine Depressionen verloren. Er wurde in seiner Berliner Wohnung tot aufgefunden. Seine Erkrankung brachte er bereits nach dem Suizid von Fußball-Nationaltorwart Robert Enke im Jahr 2009 selbst ans Tageslicht. Helfen konnten dem früheren Zweitliga-Spieler vom FC St. Pauli am Ende weder Fachleute noch sein sportliches Umfeld.

Zum Thema: Was kann die Sportpsychologie bei depressiven Sportlern leisten?

Depressionen beschreiben eine psychische Erkrankung, die von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Sinnleere, Kraft- und Energielosigkeit gekennzeichnet ist (Köllner & Broda, 2005). Andreas Biermann befand sich in einem Tunnel, an dessen Ende er kein Licht mehr sah. In das Innere eines Erkrankten kann auch der beste Psychotherapeut nicht schauen, jedoch ist er – im Gegensatz zu einem Sportpsychologen – in der Lage, in adäquaten Therapien zu helfen. Dem Sportpsychologen kommt vielmehr die Rolle zu, als Vertrauensperson den betroffenen Sportler an einen Experten zu vermitteln und zusätzlich für die sportlichen und mentalen Aspekte im Zuge der Behandlung zur Verfügung zu stehen. Die Bewältigung einer Depressionen darf ein Sportpsychologe sowohl aus ethischer als auch fachlicher Sicht nicht leisten. Dies gilt auch für andere psychische Krankheiten.

Sportpsychologische Vor- und Nachsorge

Nach dem Freitod von Robert Enke im Jahr 2009 waren sich alle einig – es müssen Präventionsangebote und Anlaufstellen für betroffene Sportler geschaffen werden. Ob die entstandenen Strukturen für die Betroffenen ausreichen, beleuchtet Prof. Dr. Oliver Stoll auf die-sportpsychologen.de Ende Juli in einem Leitartikel zum Thema. Ich persönlich würde mir wünschen, dass Sportpsychologen noch stärker schon im Nachwuchsbereich über das Thema Depressionen informieren dürften. Wiederum nicht im Sinne therapeutischer Maßnahmen, sondern ausschließlich um die Aufklärung und Sensibilisierung gegenüber dieser Krankheit voranzubringen und Empathie und Verständnis zu vermitteln – denn Depression ist keine Schwäche, sondern eine Krankheit. Dies wäre ein wesentlicher Schritt für mehr Offenheit und Akzeptanz gegenüber psychischen Erkrankungen in der Sportwelt. Präventionsangebote sollten dazu dienen, dass ein Sportler sich, seine Gedanken und Gefühle regelmäßig reflektieren und einordnen kann und sich, wenn nötig, schnellstmöglich Hilfe sucht. Und dabei keine Angst vor einem Rauswurf, vor Ausgrenzung oder negativen Reaktionen seiner Umwelt haben muss.

Sportpsychologen als Vertrauenspersonen haben in ihrer täglichen Arbeit nicht zuletzt die Möglichkeit, effektive Laufbahnberatung zu leisten und beim Karriereübergang zu unterstützen. Beim Karriereende ist es enorm wichtig, die Stärken des Sportlers herauszustellen, vor allem, wenn sich dieser bisher ausschließlich über seinen Sport definierte. Es geht darum, den Einzelnen bei seiner Sinnfindung nach der Karriere zu unterstützen, mit ihm alternative Wege zu erarbeiten und ihn – im Falle von psychischen Erkrankungen – bei seinen Schritten in der Psychotherapie zu begleiten.

Für Andreas Biermann kommen aktuell im Aufbau befindliche Betreuungsstrukturen im Nachwuchs- und Profi-Fußball leider zu spät, auch wenn seine Erkrankung ohnehin das Feld der Sportpsychologie verlassen hätte.

(Erstveröffentlichung: 21.07.2014)

Weiterführende Literatur:

Biermann, A. & Schäfer, R. (2011). Rote Karte Depression: Das Ende einer Karriere im Profifußball. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Köllner, V. & Broda, M. (2005). Praktische Verhaltensmedizin. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG.

 

 

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