Renate Wigger: Besondere mentale Herausforderungen im Biathlon

Bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea werden die Biathlon-Wettkämpfe garantiert zu den Highlights zählen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Sport zwei sehr unterschiedliche Facetten des sportlichen Wettkampfs miteinander verbindet. Wie aber kommen die Sportler mit diesen grundlegend unterschiedlichen Anforderungen an sich zurecht? Was müssen sie können, was sollten sie aus sportpsychologischer Sicht beherrschen? Und was können andere Sportler davon lernen?

Zum Thema: Die unterschiedlichen mentalen Herausforderungen des Biathlons

Aus psychologischer Sicht braucht es für die beiden Disziplinen eine unterschiedliche mentale Haltung. Das Langlaufen zeichnet sich dadurch aus, dass der Athlet viel Zeit hat, nachzudenken, die Abläufe sind nur mässig automatisiert, es bleibt also auch Zeit Anpassungen, etwa von der Lauftechnik und Intensität vorzunehmen und der Fokus ist eher im mittleren Bereich. Folglich können auch Eindrücke über Gegner oder Informationen vom Trainer wahrgenommen und verarbeitet werden.

Es ist also möglich eine aktive Selbstreflexion durchzuführen, um situationsgerechte Lösungen zu finden. Hier rückt dann oft schon die zweite Disziplin in den Fokus: Etwa nach einem fehlerhaften Anschlag, der zu Fehlschüssen geführt hat, bleibt Zeit negative Emotionen zu akzeptieren, den Fokus auf das nächste Schiessen zu richten und sich die entsprechenden Korrekturen vorzunehmen.

Ein extrem enger Fokus

Hingegen sind die Abläufe beim Schiessen hoch automatisiert, idealerweise werden nur ganz wenige Infos registriert, zum Beispiel Veränderungen der Windbedingungen, und der Fokus ist extrem eng.

Die mentalen Herausforderungen sind hierbei sehr gross. Mit folgenden Themen sollte sich der Athlet schon mal auseinandergesetzt haben:

  • Bei grosser Aufregung und Nervosität: Anwendung von erlernten Techniken um sich zu beruhigen.
  • Umschalten der Gedanken beim Übergang Laufen-Schiessen und umgekehrt.
  • Unmittelbare Auseinandersetzung mit der Anwesenheit sportlicher Gegner.
  • Rechtzeitiges Reagieren bei Wind.
  • Korrigieren des Anschlags nach Fehler.
  • Umgang mit Emotionen nach Fehlern.

Der Zusammenhang von Leistung und Spannung

Für das bessere Verständnis kann der Zusammenhang von Leistung und Spannung nach Yerkes/Dodson hilfreich sein. Sie erklären in ihrem Modell, dass mit zunehmender Steigerung der Spannung auch die Leistung bis zu einem bestimmten Punkt zunimmt. Wenn dieser Peak aber überschritten wird, sinkt auch die Leistung allmählich wieder. Das bedeutet, dass es für eine bestimmte Herausforderung einen optimalen Bereich der Spannung gibt.

Weiter erklären sie, dass die optimale Spannung für leichte Aufgaben höher ist, als wenn es sich um schwierigere Aufgaben handelt. Da es sich beim Schiessen offensichtlich um die schwierigere, komplexere Aufgabe handelt, ist die optimale Spannung folglich eine tiefere als es für das Laufen möglich ist. Dies ist eine umso grössere Herausforderung, weil Fehler beim Schiessen “bestraft“ werden, der Druck also per se schon deutlich grösser ist.

Athleten müssen sich kennen

Es ist entscheidend, dass der Athlet weiss, wie sich diese optimale Spannung für das Schiessen bzw. das Laufen anfühlt und falls notwendig, welche mentalen Techniken er anwenden kann, um in diesen Bereich zu gelangen.

Hilfreiche Skills dazu, finden sich in Form von Spannungsregulation, Visualisierungsübungen oder unterstützenden Selbstgesprächen, die im Training oder auch ausserhalb von Trainingseinheiten eingeübt werden können.

Zwei grundverschiedene Disziplinen

Grundsätzlich spielt es beim Schiessen eine entscheidende Rolle, möglichst viel Ruhe und Automation mit Hilfe von Ritualen einzuüben. Hingegen liegt die Herausforderung beim Langlauf eher darin, die Gedanken zu kontrollieren, um eine gute Laufleistung zu erzielen und nicht zu viel Druck und Nervosität in den Schiessstand mitzunehmen.

Also nicht nur, dass der Biathlonsport für die Zuschauer ausserordentlich attraktiv ist und die Athleten zwei sehr unterschiedliche Disziplinen physisch trainieren müssen, auch in mentaler Hinsicht ist diese Sportart eine besondere Herausforderung!

 

Mehr zum Thema:

Christian Hoverath: Der Wettkampf im Training

Literatur:

Yerkes, Robert M. & Dodson, John D. (1908), The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurological of Psychology, 18, 459-482;

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Renate Wigger
Renate Wiggerhttp://www.die-sportpsychologen.de/renate-wigger/

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