Jürgen Walter: Wird die Lanxess Arena zum Fluch?

Die Stimmung zum Auftakt der Eishockey-WM vor gut einer Woche in der Kölner Lanxess Arena war gigantisch. 18.000 Fans trieben die deutsche Nationalmannschaft zu einem viel umjubelten 2:1-Sieg gegen Mitfavoriten USA. Nun, zum Ende der Vorrunde steht das Team von Bundestrainer Marco Sturm nach teils unglücklichen Niederlagen unter Druck: Am letzten Vorrundenspieltag am Dienstagabend muss gegen Lettland ein Sieg her, um das große sportliche Ziel, den Viertelfinaleinzug, zu schaffen. Welche Rolle spielt nun das Heimpublikum in Köln – werden die Erwartungen der Fans zur Last oder stärken die Zuschauer den Spielern den Rücken?  

Zum Thema: Zur Bedeutung des Heimvorteils aus sportpsychologischer Sicht

Die WM im eigenen Land: 2006 im Fußball, 2007 im Handball, 2010 im Eishockey. Zwei Niederlagen, ein Sieg. Eine Bilanz, die den derzeitigen Stand der Forschung zum Thema „Heimvorteil“ passend beschreibt. Seit Jahrzehnten versuchen Studien, das Konzept greifbarer zu machen. Dennoch bleibt der Heimvorteil eines der noch wenig verstandenen sportlichen Phänomene.

Kerry Courneya und Albert Carron waren 1992 die ersten Forscher, die einer Mannschaft mit einem ausgeglichen Terminplan an Heim- und Auswärtsspielen eine mehr als fünfzig prozentige Wahrscheinlichkeit eines Heimsieges prognostizierten. Einer der ausschlaggebenden Faktoren war dabei die Vertrautheit mit der Spielstätte. Laut Pollard (2002) lassen sich rund 25 Prozent des Heimvorteils durch den Faktor der Vertrautheit erklären. Diese kann sich in physischen, sensorischen oder psychologischen Faktoren äußern. Im heimischen Stadion kennt eine Mannschaft alle Ecken und Winkel, somit entstehen weniger Ablenkungsmöglichkeiten während des Spiels (physisch). Die Beleuchtung beispielsweise ändert sich in jedem Stadion, ebenso die Zahl der Zuschauer und die daraus resultierende Lautstärke (sensorisch). Die psychologischen Aspekte fokussieren sich vor allem auf die mentale Vorbereitung der Spieler. Im Heimstadion begegnen sie bekannten Gesichtern, sind mit den Gegebenheiten vertraut und werden in ihrer etablierten Vorbereitungsroutine nicht gestört. Beides wirkt sich positiv auf die Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit aus.

Dr. René Paasch: Selbstwirksamkeit im Fußball

Widersprüchliche Forschungsergebnisse zum Heimvorteil

Wissenschaftliche Resultate zum Konstrukt des Heimvorteils sind jedoch widersprüchlich. Laut Baumeister und Steinhilber (1984) können bestimmte Bedingungen dazu beitragen, dass aus einem Heimvorteil ein Heimnachteil wird. Eine Hypothese ist, dass die Chance, ein WM-Spiel vor heimischem Publikum zu gewinnen, paradoxerweise zu einem Leistungsabfall führen würde. Aufatmen nun für alle Eishockey-Fans: Die Ergebnisse der Studien konnten bislang nur im professionellen Basketball und Baseball repliziert werden – für Kufen-Cracks nicht. Ein Leistungsabfall im Eishockey sei seltener der Fall, da der stetige physische Kontakt mit Gegnern und Mitspielern als Angstblocker vor der Niederlage dient. Außerdem sei die Anzahl der eingesetzten Spieler im Vergleich zu Sportarten wie Baseball oder Basketball wesentlich höher. Dadurch komme es zu einer Verteilung der Verantwortlichkeit für die Teamleistung und zu weniger individuellen Leistungszweifeln (Wright, Voyer, Wright & Roney, 1995). Allerdings sinke der Heimvorteil im Eishockey auf 37%, wenn die Heimmannschaft leistungsschwächer als die Auswärtsmannschaft ist (Schwartz & Barsky, 1977).

Ein Aspekt trifft jedoch nahezu sportartenübergreifend zu: Teams, von denen ein Sieg erwartet worden ist, litten häufiger unter dem Heimnachteil und verloren die entscheidende Partie (Wright et al., 1995).

Führt Unterstützung zu Leistungsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit?

Das unausgesprochene Ziel der deutschen Mannschaft ist das Viertelfinale und um es in die Worte von Verteidiger Konrad Abeltshauser zu packen: „Manchmal braucht man so einen Schub. Da ist es super, wenn man den Rückhalt von den Fans bei der Heim-WM hat.“ Hoffen wir, dass die Unterstützung der deutschen Fans zu einer gestärkten Leistungsfähigkeit, zu Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit führt. Dann würde der Viertelfinalzug quasi zur self-fulfilling-prophecy werden.

In diesem Sinne wünsche ich unseren Jungs vollen Erfolg auf dem Eis! Auch wenn das abschließende Gruppenspiel gegen Lettland (Diesntag, 20.15 Uhr, bei Sport1), welches zu einem direkten Duell um das Viertelfinale geworden ist, alles andere als eine leichte Aufgabe darstellt. Es wird spannend, ob und wie sich der Heimvorteil auswirkt.

 

Quellen:

Baumeister, F. & Steinhilber, A. (1984). Paradoxical effects of supportive audiences on performance under pressure: the home field disadvantage in sports championships. Journal of Personality and Social Psychology, 47, 85-93.

Courneya, K.S. and Carron, A.V. (1992). The home advantage in sports competitions: a literature review. Journal of Sport and Exercise Psychology, 14, 13-27.

Pollard, R. (2002). Evidence of a reduced home advantage when a team moves to a new stadium. Journal of Sports Sciences, 20, 969 – 973.


Schwartz, B., & Barsky, S. F. (1977). The home advantage. Social Forces, 55, 641–661.

Wright, E., Voyer, D., Wright, R, & Roney, C. (1995). Supporting audiences and performance under pressure: the home-ice disadvantage in hockey championships. Journal of Sports Behavior, 18, 21-28.

 

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Jürgen Walter
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