Sophie Giger und Sascia Kraus: Der Weg nach Rio

Für die-sportpsychologen.ch berichtet:

Cristina Baldasarre

In meiner sportpsychologischen Arbeit gehe ich auf die individuellen Bedürfnisse der AthletInnen ein und biete ihnen massgeschneiderte Interventionen. Doch was gibt den Ausschlag, sportpsychologische Dienstleistungen überhaupt in Anspruch zu nehmen? Und welche mentalen Aspekte werden in der Beratung thematisiert? Das Beispiel des Synchronschwimm-Duetts Sophie Giger und Sascia Kraus gehe ich dieser Frage auf den Grund. Sie setzten sich vor drei Jahren das Ziel der Teilnahme an den Olympischen Spielen, beschritten unermüdlich und zielstrebig ihren Weg, der die beiden nach Rio führen wird.

SWITZERLAND, KRAUS Sascia, GIGER Sophie London, Queen Elizabeth II Olympic Park Pool LEN 2016 European Aquatics Elite Championships Synchronised swimming synchro Duet Free Day 02 10-05-2016 Photo Giorgio Scala/Deepbluemedia/Insidefoto
EM in London (Photo Giorgio Scala/Deepbluemedia/Insidefoto)

Warum entschieden sich die beiden Spitzensportlerinnen aber für eine sportpsychologische Beratung bei mir? Beide arbeiteten über die letzten Jahre hinweg hart und konnten ihre Leistungen stetig verbessern. Sie professionalisierten ihr Training und liebäugelten mit der Qualifikation für Rio 2016. Vor über einem Jahr wurde die Olympiateilnahme greifbarer und im Zuge einer weiteren Professionalisierung war die Zusammenarbeit im mentalen Bereich die logische Konsequenz, welche vor gut zehn Monaten mit mir startete. Diese Zusammenarbeit versuche ich hier zu rekapitulieren:

Die Rollen im Team

Ein zentraler Aspekt der Beratungsinhalte war die Teamarbeit. Die Förderung einer gelingenden Teamarbeit scheint ein einfacher Prozess zu sein. Doch Sascia und Sophie unterscheiden sich in ihren jeweiligen Charakteren deutlich: eine emotionale, direkte, kreative und impulsive Verhaltensweise der einen stösst auf ein auf ruhiges, überlegtes strukturiertes und sachliches Verhalten der anderen. Eine zentrales Thema war die Rollenklärung im und neben dem Wasser. Die beiden Synchronschwimmerinnen lernten so, sich während den endlosen Trainingsstunden im Wasser auf die eigenen Teilaufgaben zu fokussieren und das Vertrauen zu entwickeln, dass die Teamkollegin auch ihren Teil der Aufgaben gewissenhaft erledigt. Weiter wurden die Zeiten neben dem Wasser detailliert durchgearbeitet, wer wann wieviel Zeit für sich und welche Art von Abstand benötigt. Solche Absprachen werden einmal getroffen und danach immer wieder thematisiert in Teamsitzungen, um Justierungen vorzunehmen. So wirkt das Gesamte konfliktvorbeugend und legt Energie für das Training frei.

Schlüsselrolle der Kommunikation

Im Gegensatz zum Einzelsport ist bei Teams die Kommunikation ein zentrales Element.

Der Alltagstrott während des Trainings – oft dauern die Tage der Synchronschwimmerinnen bis zu zwölf Stunden – verbunden mit einer langjährigen Zusammenarbeit, bringt viele eingeschliffene Gewohnheiten mit sich. Diese aufzubrechen, Unstimmigkeiten offen zu diskutieren und neue Lösungen zu finden, ist für das Duett ein sehr wichtiger Prozess. Dabei werden auf beiden Seiten Wünsche und Gedanken formuliert, offen ausgesprochen und daraus in einem weiteren Schritt konkrete, verbindliche Massnahmen abgeleitet. Diese direkte Kommunikation mit teils tiefgründigen und persönlichen Inhalten bedingt ein offenes und vertrauensvolles Klima.

Individuell angepasste Erholung

Gerade weil die beiden Synchronschwimmerinnen eng zusammenarbeiten, ist es wichtig, die Erholung den individuellen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Denn die beiden haben bezüglich ihrer Freizeitgestaltung auch unterschiedliche Bedürfnisse. Sophie braucht mehr Ruhe: sie gönnt sich einen Nachmittag auf dem Sofa mit einem Buch oder einen Mittagsschlaf.  Sascia auf der anderen Seite sucht die Abwechslung und unternimmt auch mal gerne etwas, um auf andere Gedanken zu kommen. Beide wenden zur aktiven Erholung auch Entspannungsübungen an, jedoch unterschiedlich oft.

Darüber hinaus hilft es, dass sie nach jedem Wettkampftag ein Debriefing machen, um das Erlebte zu verarbeiten und um mit allfälligen lessons learned in den nächsten Tag zu starten.

Den „mentalen Koffer“ für Olympia packen

Olympia-Qualifikation in Rio (Photo G.Scala/Insidefoto/Deepbluemedia)
Olympia-Qualifikation in Rio
(Photo G.Scala/Insidefoto/Deepbluemedia)

Welche mentalen Techniken haben die Sportlerinnen in ihren Trainingsalltag integriert? Für die Synchronschwimmerinnen ist das Visualisieren in allen Varianten äusserst zentral und ihr wichtigstes mentales Werkzeug. Ihre Sportart verlangt absolute Synchronität, sprich ein Verschmelzen der beiden Personen zu einem harmonischen, einheitlichen und graziösen Bewegungsablauf. Grundlage dafür sind technisch bis ins letzte Detail perfekte, automatisierte Bewegungen.

Das Visualisieren von Bewegungsabläufen oder selbstsicherem Auftreten findet im Wasser und im Trockentraining statt, oft aber auch zu Hause oder auf dem Weg ins Training; wie es das Zeitmanagement eben zulässt. Zudem bieten Videoanalysen von sich selber aber auch von anderen Weltklasse-Teams eine wichtige zusätzliche Unterstützung.

zur Homepage von Sophie Giger und Sascia Kraus

Teambuilding

Viel Zeit haben wir auch damit verbracht, über teambildende Massnahmen sowie gemeinsame Gespräche mehr Achtsamkeit hinsichtlich der Teamprozesse und Kommunikation zu erlangen. Mit dem Ziel, einander besser zu kennen und zu verstehen. Dabei lernten sie immer besser, in Feedbackschlaufen zu denken und zu kommunizieren und einander vermehrt so anzunehmen wie die andere eben ist.

Olympiaspezifische Themen wurden natürlich auch aufgearbeitet. Hierbei ging es um die speziellen Umstände von Olympischen Spielen und eben all das, was sie dort erwarten wird. Einen kleinen Vorgeschmack bekamen die beiden schon im Frühling an einem Wettkampf vor Ort. Diese Eindrücke wurden als Grundlage genutzt, um in der körperzentrierten Arbeit die entsprechenden Gefühle und körperlichen Repräsentationen zu verstärken und zu verankern. Durch diese Art des Einbezugs des Körpers in mentale Aspekte legte ich auch einen Schwerpunkt im Aufbau und der Stärkung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit, um auch unter erschwerten Bedingungen wie Olympia die Topleistung abrufen zu können.

Der Wettkampf

Mein Auftrag als Sportpsychologin war es, die beiden Athletinnen bestmöglich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten. Und ich bin überzeugt, dass wir in gemeinsamer Arbeit alles dafür getan haben, dass das Synchronschwimm-Duett Sophie Giger und Sascia Kraus in Brasilien eine Erfolgsgeschichte schreiben wird. Mit voller Spannung werde ich mir die Wettkämpfe im TV anschauen und mit ganzem Herzen mitfiebern.

Hören will ich von beiden eigentlich nichts – schliesslich haben wir vereinbart, dass sich Sophie und Sascia nur in echten Problemlagen melden. Aber ich gehe davon aus, dass beide auf alles, was in Rio auf sie zukommen mag, präpariert sind. Wenn ich wider Erwarten doch helfen muss, dann tue ich das zu jeder Tages- und Nachtzeit.

@Sophie und Sacia: Rise and Shine!

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Disclaimer

Die-Sportpsychologen nutzt Begrifflichkeiten in Bezug auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro ausschließlich im Sinne der Kommunikation, also im Rahmen von Stellungnahmen, Kritiken oder beschreibenden Verweisen zu Geschehnissen.

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Cristina Baldasarre
Cristina Baldasarrehttp://www.die-sportpsychologen.de/cristina-baldasarre/

Sportarten: Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen, Tanz, Unihockey, Fussball, Eishockey, Judo, Tennis, Bogenschiessen, Springreiten, Schiedsrichter und Trainer, Sporteltern

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