Zur Historie der Angewandten Sportpsychologie in Deutschland – Teil 2

Wie im letzten Blog zum Thema im Sommer 2014 (Zur Historie der Angewandten Sportpsychologie in Deutschland – Teil 1) schon angedeutet, entwickelte sich die Sportpsychologie in Deutschland (damit meine ich zunächst die „alten Bundesländer“ – die Sportpsychologie in der ehemaligen DDR behandele ich mal in einem Extra-Blog) im sportwissenschaftlichen Kontext. Bis zum heutigen Tag existieren auch universitäre, sportpsychologische Master-Studiengänge nur in sportwissenschaftlichen Einrichtungen (wie z.B. auch unser Studiengang an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). An Psychologischen Institutionen im universitären Kontext sucht man solche Studiengänge vergebens. Diese Tatsache zeigt jedoch auch schon das Dilemma, in dem aktuell die bundesdeutsche Sportpsychologie steckt. Dies betrifft zum einen die Führung der Berufsbezeichnung „Sportpsychologe/Sportpsychologin“ von potenziellen Absolventen solcher Studiengänge. Zum anderen betrifft dies natürlich auch die weitere Entwicklung unseres Berufsfeldes.

Richtungsdiskussion: Wohlbefinden oder Leistungsoptimierung?

Das erste Problem – also die Frage nach der Berufsbezeichnung – ist aus meiner Sicht nicht wirklich ein Problem, denn ob sich jemand Sportpsychologe oder sportpsychologischer Berater oder als sportpsychologischer Experte bezeichnet, wird in der Öffentlichkeit wahrscheinlich gar nicht so sehr unterschiedlich bewertet. Hier entscheidet meines Erachtens die Qualität der universitären Ausbildung sowie der berufsständigen Fortbildung  bzw. der sportpsychologischen Arbeit, die diese Person dann tatsächlich durchführt. Alles andere sind berufspolitische Diskussionen. Die kann man beruhigt den im Feld agierenden Berufsverbänden (also dem Bund Deutscher Psychologen bzw. der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie) überlassen. Viel spannender ist dabei die Diskussion des zweiten hier thematisierten Problems. Für mich bleibt die Frage: „Wendet sich die angewandte Sportpsychologie in Zukunft – basierend auf ihrer Grundhaltung eher der Psychologie (also primär der Frage nach dem Wohlbefinden, bzw. dem Wohlbefinden des Athleten) oder eher der Sportwissenschaft (die primär eine Leistungsoptimierung  im Blick hat) zu? Oder gelingt es unserer Disziplin hier eine eigene, integrative Sicht bzw. Grundhaltung zu entwickeln?“

Hinzu kommt mittlerweile noch eine weitere Disziplin, die in das Feld der Sportpsychologie drängt, nämlich die Berufsgruppe der Sportpsychiater. Damit sind die eher medizinisch ausgebildeten Ärzte gemeint, die sich eigentlich – ähnlich wie die Psychologischen Psychotherapeuten – mit psychischen Erkrankungen beschäftigen. Der Suizid von Robert Enke hat dieser Berufsgruppe in der Öffentlichkeit eine besondere „Bühne“ beschert. Die wenigen guten, wissenschaftlichen Überblicksarbeiten, die zu dieser Thematik vorliegen, zeigen jedoch, dass es im Leistungssport nicht mehr psychopathologische Erkrankungen gibt, als in der Normalbevölkerung. Zugegeben, es ist plausibel, dass die Anforderungen bestimmter Sportarten, unter Umständen die Entwicklung ganz spezifischer, psychischer Erkrankungen Vorschub leisten könnte (z.B. Essstörungen bei Sportarten, in denen das Körpergewicht leistungslimitierend wirkt). Zusammenfassend spricht dies jedoch  nicht unbedingt dafür, dass es spezialisierte Psychiater für den Bereich des Spitzensports geben müsste. Eine psychische Erkrankung beträfe also nur wenige Athleten und diese würde unter Umständen auch von den im Feld tätigen Sportpsychologen in Zusammenarbeit mit den Sportärzten zumindest erkannt werden, um dann einen Spezialisten hinzu ziehen zu können. So verfahren zumindest die mir bekannten Kolleginnen und Kollegen in ihrer sportpsychologischen Praxis.

Konstruktive Lösung des Dilemmas 

Eine besondere Rolle nimmt also hier der Berufsverband der deutschen Sportpsychologen – die Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp) – ein, die sich natürlich auch all der hier dargestellten Probleme bewusst ist und aktuell versucht, dieses „Dilemma“ mit den anderen Partnern, die im Feld tätig sind, konstruktiv zu lösen. Traditionell hat sich die Sportpsychologie jedenfalls aus der Sportwissenschaft heraus entwickelt und diese Sportpsychologie ist sehr gut mit den Partnern im Leistungssport (wie z.B. dem DOSB) vernetzt. Dabei handeln die von der asp zertifizierten Sportpsychologinnen und Sportpsychologen, sowie auch die Absolventinnen und Absolventen der vorliegenden akademischen Master-Studiengängen auf der Basis einer qualitätsgesicherten Ausbildung, unter Nutzung von den auch in der Psychotherapieausbildung wichtigen Supervions- und Intervisionsangeboten, mit Fortbildungspflicht und auf der Basis von Ethischen Richtlinien.

Mit Spannung können wir also die nächsten Jahre der Entwicklung des Faches Sportpsychologie in Deutschland verfolgen, insbesondere die Antworten auf die oben gestellten Frage, die genuine, integrative Grundhaltung betreffend, aber auch bezogen auf die öffentliche Wahrnehmung sowie ihrer Bedeutung für die sportliche Leistungsentwicklung der Athletinnen und Athleten auf einem aus meiner Sicht wichtigen, humanistisch geprägten Hintergrund.

 

Fachredakteur:

Prof. Dr. Oliver Stoll (* 5. Februar 1963) studierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen Sportwissenschaft, Psychologie und Pädagogik sowie am College of Charlestin (S.C., USA). Er promovierte 1993 zum Dr. phil. im Fach Sportwissenschaft an der Universität Gießen und wechselte 1995 an die Universität Leipzig. Hier absolvierte er eine wissenschaftliche Assistentenzeit und habilitierte hier im Jahr 2000. Im Jahr 2002 folgte er einen Ruf auf eine Professur für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sportpsychologie und Sportpädagogik an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

 

Prof. Dr. Oliver Stoll

phone: +49 345 5524440
mail: oliver.stoll@sport.uni-halle.de

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de