Christian Reinhardt: Marco Reus „harte Zeit 2.0“

Eine Verletzung am Sprunggelenk, die er sich im letzten Testspiel vor dem Abflug nach Brasilien zuzog, kostete Marco Reus die WM-Teilnahme. Was folgte, war nach eigenen Angaben eine „harte Zeit“, in der er intensiv an seiner Genesung arbeitete – mit Erfolg. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland stand er bereits wieder von Beginn an auf dem Platz. Allerdings musste der Dortmunder Spieler nach einem rüden Foul in der Nachspielzeit erneut humpelnd das Spielfeld verlassen. Wieder hat es das betroffene Sprunggelenk erwischt.

Zum Thema: Wie Sportler eine Verletzung managen können

Verletzungen und Wieder-Verletzungen sind eine der häufigsten Krisen, mit denen Sportler zu kämpfen haben. Unabhängig vom sportlichen Niveau sind neben den physiologischen Beschwerden auch die psychologischen Konsequenzen entscheidend. In diesem Zusammenhang unterscheidet sich die Bundesliga nur geringfügig von der Kreisliga.

Die meisten gravierenderen Sportverletzungen gehen mit einem dreistufigen psychologischen Verarbeitungsprozess einher:

1. Die Akutphase

Die meisten Sportverletzungen sind mit einem großen Schmerz verbunden. Dieser Schmerz nimmt die Gedankenwelt meist voll in Anspruch. Man sucht eine Haltung, eine Position des betroffenen Körperteils, die den Schmerz zurückgehen lässt. Je nach Konstitution und Schweregrad der Verletzung kann hier sogar ein Schock auftreten. Es folgt (hoffentlich schnell) die medizinische Erstversorgung. Die Fragen der Ärzte/Physiotherapeuten ‚Wie ist das passiert?‘ ‚Wo sitzt der Schmerz?‘ ‚Tut das weh oder das…?‘ helfen hier, weil sie – auch wenn sie sich auf die Verletzung beziehen – ablenken.

2. Emotionale Reaktion

Zunächst erlebt der Sportler eine große Bestürzung. Auch wenn das Risiko, sich im Sport – insbesondere in einem zweikampfintensiven Sport – zu verletzen, relativ groß ist, rechnet man eigentlich nicht damit, selber betroffen zu sein. Der Betroffene kann sein Unglück gar nicht fassen. Es drängt sich der Gedanke auf, welche Konsequenzen die vermutete (meist gibt es so schnell noch keine finale Diagnose) Verletzung haben könnte. Diese möglichen Folgen will man nicht wahrhaben. Deshalb verdrängen viele Sportler anfänglich die Realität. ‚Nein, das kann nicht sein‘. Betroffene Sportler verbergen oft das Gesicht in ihren Händen., wie es beim EM-Qualifikationsspiel auch Reus tat. Häufig folgt auf diese Phase eine Stufe der Wut. Der Ärger kann dabei zielgerichtet gegen beteiligte Personen (Im Fall von Reus also auf Mulgrew), sich selbst (‚Warum habe ich mich nicht auswechseln lassen? Ich war zu erschöpft! ‘ ‚Ich habe zu früh angefangen!…‘), vermeintliche Schuldige (‚Der Bundestrainer hätte mich nicht zweimal aufstellen und so lange spielen lassen sollen.‘ ‚Der Arzt hätte mir noch keine Freigabe geben dürfen!…‘) oder ziellos auf alles und jeden abgewälzt werden. Es ist besonders für das medizinische Personal, Freunde und Familie wichtig zu wissen, dass Sie in einem solchen Fall eigentlich nicht das tatsächliche Ziel für den verletzten Sportler darstellen, sondern nur stellvertretend für die frustrierende Gesamtsituation fungieren.

Einige Sportler versuchen sogar, über ihr Schicksal (meist mit Ärzten oder Physiotherapeuten) zu verhandeln. ‚Wenn ich die Reha sehr intensiv mache, mich entsprechend ernähre, dann müsste ich doch schon wieder zum Zeitpunkt X auf dem Platz stehen können.‘ Diese Verhandlungen zeigen, dass die Realität der Verletzung noch nicht vollends akzeptiert wird. Das schließlich zunehmende Akzeptieren der Wahrheit führt oft zu einer depressiven Stimmungslage. Oft wollen weder der Sportler noch sein Umfeld das wahrhaben. Diese reaktive Depression stellt keine psychische Störung dar. Sie ist eine normale Reaktion auf ein belastendes Ereignis. Eine Verletzung ist traumatisierend und hat zur Folge, dass der Sportler seine Sportart für einen meist zunächst unbekannten Zeitraum nicht ausüben kann. Die fehlende körperliche Auslastung, führt zu einer erhöhten psychischen Anspannung. Diese Anspannung und der Wechsel vom Akteur zum Zuschauer, der eingeschränkte Kontakt zu Mitspielern, das abrupte Wegfallen von lang gesetzten Zielen und täglichen Routinen führt schließlich dazu, dass aus einer körperlichen auch eine psychische Krise wird. In dieser Phase ist das soziale Netzwerk des Sportlers sehr wichtig (Marco Reus hat z.B. erwähnt, wie wichtig die Unterstützung seiner Familie und Freunde für ihn war). Nach einiger Zeit hellt sich dann die Stimmung wieder auf und die Rehabilitation kann nun in Angriff genommen werden.

3. Akzeptanz und Bewältigung

Die Akzeptanz der Verletzung ist eine für den eigentlichen Reha-Prozess entscheidende Phase. Der Sportler überwindet seine intensive emotionale Reaktion und blickt positiver in die Zukunft. Hier ist es von entscheidender Bedeutung, die Rehabilitation systematisch zu planen. Eine realistische Zielsetzung mit vielen Teilzielen (wann werde ich was erreicht haben) hilft den Fortschritt sichtbar zu machen. Das motiviert. Der Blick darf nicht nur auf das obligatorische ‚Was kann ich noch nicht?‘ gerichtet sein und muss zum ‚Was kann ich schon wieder? Wie liege ich im Plan?‘ verschoben werden. Leistungssportler sind einen geregelten, auf ein Ziel hin ausgelegten Tagesablauf gewohnt. Es empfiehlt sich eine solche Ausrichtung auch im Rahmen der Reha zu etablieren. Eine Möglichkeit zu trainieren, auch wenn der Körper es noch nicht vollends zulässt, ist das Vorstellungstraining. Für das Gehirn macht es keinen großen Unterschied, ob man sich eine Bewegung nur exakt vorstellt oder sie tatsächlich durchführt. Es ist also möglich Bewegungen, Bewegungsabläufe sogar eine Taktik durch gezieltes Vorstellungstraining zu verbessern. Gleiches gilt auch für die Bewegung eines verletzten Gelenks. Videos, insbesondere vom eigenen Bewegungsablauf, sind hier hilfreich. Der Kontakt zur Mannschaft und zum Trainerstab sollte nicht abreißen. Es ist wichtig, sich weiterhin als Teil des Teams zu sehen. Sportler, die bereits eine ähnliche oder noch viel schlimmere Verletzung erfolgreich überwunden haben, können als Inspiration gesehen werden. Auch eine Beschäftigung mit der Verletzung kann helfen, ein exakteres Bild zu erlangen und die Erwartungen realistischer zu formulieren. Es klingt schwierig, aber letztlich ist eine Verletzung immer auch eine Chance. Es gibt viele Beispiele von Sportlern, die nach einer Verletzung stärker zurückkehren. Zum einen wächst man in der Krise und andererseits bietet eine Verletzung tatsächlich neue Möglichkeiten. Es bleibt mehr Zeit für Freunde und Familie. Gleichzeitig bietet sich auch die Chance an Aspekten der sportlichen Leistung zur arbeiten, die sonst wenig Beachtung finden. Ein solcher Aspekt ist beispielsweise die Entspannung. Sportliche Leistungsentwicklung beruht nicht nur auf Belastung, sondern auch der nötigen Erholung. Wer nicht ausreichend erholt ist, wird nicht mit der optimalen Anpassung auf Belastungsreize reagieren. Entspannungsverfahren können helfen, mit den Schmerzen und der Anspannung nach der Verletzung umzugehen und die nötige Erholung zu generieren. Viele Sportler, die während ihrer Reha mit diesen Verfahren in Kontakt kommen, nutzen diese auch im Trainingsalltag. Außerdem kann die spielfreie Zeit genutzt werden, um die eigenen taktischen Fähigkeiten zu verbessern. Nicht zu spielen heißt nicht, sich nicht weiterzuentwickeln.

Sportpsychologie bei Sportverletzungen

Im Spitzensport hat sich die Sportpsychologie zusammen mit den medizinischen Interventionen im Genesungsprozess sehr bewährt. Der Sportler wird dabei während und nach der Verletzung begleitet und ermutigt, die Pause sinnvoll zu nutzen und selbstsicher mit realistischen Zielsetzungen wieder in seinen Sport einzusteigen. Eine positive Einstellung und positive Selbstinstruktionen („Mir geht es schon deutlich besser, ich verbessere mich jeden Tag.“) wirken sich vorteilhaft auf den Heilungsprozess aus. Auch der Umgang mit Ängsten z.B. einer Wieder-Verletzung ist wichtig, wie es Marco Reus nun aktuell am eigenen Leib erfährt.

Umso besser ein Sportler mit seiner Verletzung und den psychischen Folgen umgeht, desto wahrscheinlicher ist der erfolgreiche Wiedereinstieg in den Sport! Es wäre daher äußerst sinnvoll dies zum Inhalt des Unterrichts an den Sportschulen zu machen.

 

Hinweis: Ich habe diesen Artikel mit einem relativ frischen Bänderriss geschrieben. Das Wissen um die psychologischen Folgen und Chancen einer Sportverletzung hat diese nicht angenehm gemacht, aber die Bewältigung deutlich vereinfacht.

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Dr. Christian Reinhardt
Dr. Christian Reinhardthttp://www.die-sportpsychologen.de/christian-reinhardt/

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