Zum Thema Geisterspiele: Wie Spieler, Trainer und Manager darauf reagieren können

In vielen Sportarten greifen aufgrund des Coronavirus Krisenpläne. Auch Im Fußball führt das zu sogenannten Geisterspielen. Also Partien, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Gerade für Profi-Fußballer ist dies eine ungewohnte Situation – eigentlich kennen sie es nicht anders, ihre Leistung unter den Augen von vielen Zuschauern abzuliefern. Wie können Spieler, Trainer und Manager nun also auf diese Herausforderung reagieren?

Zum Thema: Umgang mit Geisterspielen 

Ex-Fußballprofi und DAZN-Experte Ralph Gunesch hat die Atmosphäre von einem Geisterspiel mit einem Vorbereitungsspiel im Wintertrainingslager verglichen. Er befürchtet, dass die Spieler nicht in den Pflichtspiel-Modus kommen. Ist diese Befürchtung begründet oder sollten Profis nicht alles um sich herum ausblenden können?

Dr. Fabio Richlan: Die Befürchtung ist meiner Meinung nach überzogen. Die (Nicht-)Anwesenheit von Zuschauern im Stadion ist weder der einzige noch der bedeutendste Unterschied zwischen einem Pflichtspiel und einem Vorbereitungsspiel. Das hat aber wenig mit der interessanteren zweiten Frage zu tun, ob Profis nicht alles um sich herum ausblenden können sollten?

Prof. Dr. Oliver Stoll: Prinzipiell sollten Profi-Sportler in der Lage sein, äußere Einflüsse auszublenden. Wem das individuell nicht gelingt, der kann das üben. Leider ist der Fußball, insbesondere der Profi-Fußball, ein sehr geschlossenes System. In dem System ist, wie zuletzt ja auch die Spielergewerkschaft VdV festgestellt hat, kaum Platz für Sportpsychologen, die sich im Alltag, also vor, während und nach Trainingseinheiten, gezielt mit Spielern beschäftigen könnten. Ratsam wäre auch, wenn Fußballer sich mit Sportlern austauschen würden, für die die Leistungserbringung vor wenigen oder gar keinen Zuschauern zum Alltag gehört. Denken wir nun an manche Ausdauerdisziplinen, bei denen Fans im Regelfall eine sehr untergeordnete Rolle spielen.    

Zuschauer sorgen bei Sportlern nicht zuletzt für Emotionen. Wie geht nun ein Profi-Kicker damit um, wenn er in einem menschenleeren Stadion aufläuft?  

Andreas Meyer: Das wird sehr unterschiedlich sein. Ist ein Sportler beispielsweise sehr misserfolgsängstlich, so kann es für ihn sogar ein Vorteil sein, nicht vor Publikum zu spielen und dem Druck der Zuschauer ausgeliefert zu sein. Sehr viele Sportler werden allerdings von dem ‘Feuer’ der Fans angesteckt und zehren davon.

Rational betrachtet haben die Fans keinen direkten Einfluss auf die Leistungserbringung der Sportler. Ich sehe die größte Herausforderung im Bereich der Aktivierung. Wir sprechen da auch von Spannung oder Erregung. Es gibt für Sportarten optimale Erregungszustände, die natürlich individuell auch nochmal deutlich voneinander abweichen könnten. 

Um es deutlich zu machen: Ein Dartspieler benötigt grundlegend ein sehr niedriges Erregungsniveau, ein Karatekämpfer hingegen ein deutliches höheres. Im Fußball wird ein mittelmäßig bis hohes Erregungsniveau leistungsfördernd sein.

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Wie sollten Trainer die Spieler vorbereiten? Was müssen sie anders machen?

Dr. René Paasch: Die Trainer sollten die Kommunikation innerhalb des Teams anregen, um damit mögliche Befürchtungen offenkundig zu machen und anschließend gedankliche Lösungen mit der Mannschaft zu erarbeiten. Im Bedarfsfall sollten auch Einzelgespräche geführt werden.

Prof. Dr. Oliver Stoll: Das ist ein sehr guter Punkt, aber da kommen wir wieder zu der Lage zurück, den ich schon kritisiert habe: Kaum ein Profi-Verein hat einen Sportpsychologen im Umfeld der Mannschaft installiert, der sich somit Akzeptanz erarbeitet hat und auch greifbar ist. So nehmen sich die Vereine die Chance, auf diese neue Situation optimal zu reagieren. Denn die Verantwortung liegt nun bei den Trainern, die ja vor allem das Spiel vorbereiten sollen und kaum Zeit haben, auf die individuellen Bedenken zu reagieren.     

Birgit Reichardt: Ja, das Erleben der Situation ist sicher interindividuell unterschiedlich. Grundsätzlich bleibt die grösste Herausforderung, die Spannung und Aufmerksamkeit hochzuhalten, wenn es so still ist. Was wichtig ist vor einem Geisterspiel: Die Mannschaft sollte im Stadion trainiert haben. Die Situation sollte zuvor simuliert werden. Außerdem fürs Spiel: Die Spieler sollten konkrete Aufgaben bekommen – um äußeres auszublenden und sich auf Dinge zu fokussieren, die nichts mit den fehlenden Zuschauern zu tun haben. Dann kommt es auf die Trainer an: Wie stimmen sie ihre Spieler kurz vor dem Anpfiff ein? Diese Stimmung (und die Aufgaben) nehmen sie mit in die Partie.

Bieten sich den Coaches nicht viel mehr Möglichkeiten, schließlich dürften ihre Rufe über den ganzen Platz gut zu hören sein – ganz im Gegenteil zu einem normalen Pflichtspiel? Können Sie also anders Coachen?

Dr. René Paasch: Betrachten wir es von der “schönen” Seite, stimmt das natürlich. Das positive Coaching des Trainers von der Seitenlinie kann besser verstanden werden und als Verstärker wirken. Umgekehrt gilt dies natürlich auch! Zielgerichtetes Führen ist somit möglich.

Ilias Moschos: Auf der anderen Seite müssen Trainer bei Geisterspielen intensiver auf das achten, was sie äußern. Zum Teil kommen aus der Coaching Zone störende Anweisungen, die den Fluss und die Konzentration stören. Meist mitten in einer Aktion. Und die werden in einem leeren Stadion viel mehr wahrgenommen als unter den für die Profis gewohnten Bedingungen. 

Was kann ein Spieler tun, um sich optimal für diese Situation zu präparieren? Gibt es besondere Methoden und Kniffe?

Dr. René Paasch: Vor­be­reitet werden müssen Spieler oder eine Mannschaft erst, wenn man im Vor­feld fest­stellt, dass ein Geis­ter­spiel ein Pro­blem dar­stellt. Ansonsten sind Spieler in Punktspielen ohnehin moti­viert. Die Auf­gabe für den Spieler bei einem Geis­ter­spiel ist es, bewusst mit der Situation umzugehen. Es gibt ver­schie­dene Mög­lich­keiten dies zu trainieren: Im Trai­ning kann etwa durch den Aus­schluss der Öffent­lich­keit oder gar mit Ohrstöpsel eine zusätz­liche Ruhe simu­liert werden. Man ver­sucht, die anstehende Situa­tion bereits im Vor­feld geistig zu durch­leben. So lernt der Profi das klang­lose Stadion bereits kennen. Das Training im leeren Stadion hatten wir schon angesprochen.

Inwiefern gehen unterschiedliche Persönlichkeiten mit der Herausforderung anders um? Oder noch weiter gefasst: Ist es für Teams, die gerade unter Ergebnisdruck stehen, vielleicht sogar einfacher, in einem leeren Stadion zu spielen, wie es die Kicker ja aus dem Training und zumindest bei Testspielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit kennen?

Dr. René Paasch: Grund­sätz­lich wünscht sich kein Akteur und kein Team ein leeres Sta­dion. Es gibt aber eine Situa­tion, in dem ein Geis­ter­spiel posi­tive Effekte haben kann. Näm­lich dann, wenn eine Mann­schaft im Laufe einer Saison mit einer Heim­- oder Auswärtsschwäche zu kämpfen hat. In dieser Situa­tion kann sich ein leeres Sta­dion mit einem posi­tiven Ergebnis und die damit verbundenen Erlebnisse als ein Träger für innere Überzeugung, Stichwort: “Selbstwirksamkeit”, her­aus­stellen. Das wiederum erhöht die Erfolgsquote, die mögliche Schwäche zu verringern.

Gut möglich, dass ein Spieler vor leeren Rängen plötzlich frei aufspielt. Meinetwegen beim Elfmeter: Im Training trifft der Spieler problemlos – in der realen Situation, in der 89. Minute, wenn es um alles geht, sagt der Spieler plötzlich, dass es eine andere Situation ist. Vieles findet auf der Kopfebene statt. 

Hinweis: Die Antworten stammen von Experten aus dem Netzwerk Die Sportpsychologen (zur Übersicht). Zum Teil wurden Aussagen in einem Beitrag des Mediums watson (Link) veröffentlicht.  

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de