Dr. René Paasch: Wenn Nachwuchsfußballer den Traum der Eltern leben

Fußballprofi – der Traum vieler Nachwuchskicker. Manche Eltern projizieren ihre Träume auf ihre Söhne und Töchter. „Mein Kind soll schaffen, was ich nicht geschafft habe“, wünschen sich “gescheiterte” Eltern, die ihr Kind sehr stark als Teil ihrer selbst betrachten.

Zum Thema: Psychologische Projektion im Nachwuchsfußball

Unter Projektion versteht man einen Abwehrmechanismus, bei dem eigene, unerwünschte Impulse z.B. im Sinne von Gefühlen und Wünschen einem anderen Menschen zugeschrieben werden. Projektion ist somit das Verfolgen eigener Wünsche in anderen. Eddie Brummelman und Team (2013) von der Universität Utrecht ermittelten in diesem Zusammenhang mit Hilfe eines bereits etablierten Fragebogens, ob die Eltern ihre Kinder sehr stark als Teil ihrer selbst betrachten oder eher als eigenständige Persönlichkeiten. Vor allem Eltern, die Kinder stark als Teil ihrer selbst sahen, wünschten, dass ihre Kinder die eigenen Träume wahr machen. Dieser Zusammenhang ergab sich allerdings nur dann, wenn die Eltern zuvor mit ihren eigenen unerfüllten Wünschen konfrontiert worden waren.

Die Forscher schränken ein, dass die Zahl ihrer Studienteilnehmer noch nicht sehr hoch sei und dass ein Großteil der Befragten (89 Prozent) Mütter waren. Weitere Untersuchungen müssten die Zusammenhänge bestätigen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung könnten möglicherweise das Verhalten von Müttern oder Vätern erklären, die ihre Kinder auf den Sportplatz treiben (Brad Bushman, 2013).

Bedenkliche Entwicklung im Nachwuchsfußball

Aus meiner eigenen Erfahrung als Trainer und Sportpsychologe kann ich die Grundaussage aber bestätigen: Man stößt immer wieder auf die Geschichten, in denen Eltern die Karriere viel mehr wollen als die Kinder. Sie machen eine erfolgreiche Laufbahn dadurch schon kaputt, bevor sie überhaupt begonnen hat. Kinder von Eltern, die gelassen mit der möglichen Sportler-Karriere umgingen, kämen in der Regel am weitesten. Fußball-Nationalspieler Thomas Müller ist dafür ein gutes Beispiel. Seine Eltern hätten ihn nie unter Druck gesetzt. “Das war völlig wurscht, ob der jetzt kickt oder nicht, man sieht ja, was aus ihm geworden ist.”

Mein regelmäßiger Austausch mit Jugendtrainern deutet derweil eine bedenkliche Entwicklung an. Eltern greifen immer mehr direkt ins Spiel ein, geben dem eigenen Kind Anweisungen und beschimpfen Gegner oder Schiedsrichter. Sie projizieren ihre Erwartungen und ihren eigenen Ehrgeiz auf ihre Kinder. Die Aufgabe bei allen Formen der Projektion lautet, die projizierten Anteile als solche zu erkennen und wieder ins eigene Ich zu integrieren. Wie das geht, möchte ich Ihnen in den nun folgenden Abschnitt erläutern.

Rücknahme Projektion

Wenn wir im Außen nach Schuldigen suchen oder im speziellen fall unsere Träume auf unsere Kinder übertragen, machen wir uns zu Opfern und belasten unnötig unsere Kinder. Als Opfer oder Elternteil ist man im Re-aktions-Modus und damit abhängig. Wenn ich diese Projektion zurücknehme und meine eigene Verantwortung für mich übernehme, komme ich in ein aktives Gestalten meiner Wirklichkeit. Die Aufgabe bei allen Formen der Projektion lautet, die projizierten Anteile als solche zu erkennen und wieder ins eigene Ich zu integrieren. Theoretisch leicht zu verstehen, in der Praxis oft ein langer Weg. Hinter dem Mechanismus Projektion steckt immer Schatten. Es gilt also aufmerksam zu sein, genau zu beobachten und auch die Schattenseite zu beleuchten. In dem Augenblick, in dem man die eigenen Projektionen aufdeckt, wächst man als Mensch und man wird stärker und flexibler. Deswegen möchte ich Sie heute dazu einladen, sich auf die Suche nach Ihren Projektionen zu machen. Stellen Sie sich doch öfter mal die Fragen:

  • „Was hat das eigentlich mit mir zu tun?“
  • „Werfe ich meinem Jungen/Mädchen gerade vor, was ich selbst in mir trage oder sogar lebe?“
  • „Werfe ich meinem Jungen/Mädchen etwas vor, was ich mir selbst nie erlaubt habe?“
  • „Werfe ich meinem Jungen/Mädchen etwas vor, dass er/sie etwas hat oder kann, was ich nicht habe oder kann?“

Die Persönlichkeitsentwicklung und eine Portion Mut 

Solche Fragen zu stellen, erfordert Mut. Aber das ist es ja, was Persönlichkeitsentwicklung ausmacht. Den Mut zu haben, sich selbst besser kennenzulernen, auch wenn es manchmal weh tut. Denn das ist ein Schritt in Richtung emotionaler Freiheit für Sie und Ihren Jungen bzw. ihr Mädchen. Nach erfolgreicher Projektion, machen Sie doch als Eltern versuchsweise auch mal einen langen Hals, wie die Giraffe. Giraffe? Ja, Giraffe!

Die Giraffe hat einen langen Hals und kann von der Höhe aus gut beobachten und andere Tiere warnen. Sie hat das größte Herz aller Landtiere, welches für Mitgefühl und Liebe steht. Sie lebt friedvoll und hat kaum Feinde. Sie schafft Verbindung zu uns selbst, zu unseren Gefühlen und Bedürfnissen, sowie zu den Gefühlen und Bedürfnissen unserer Kinder. Empathie ist die Grundvoraussetzung für einen konstruktiven Umgang. Wir sagen unseren Kindern was uns stört, ohne ihnen weh zu tun. Wir versuchen, unsere Kinder zu verstehen und hören mit unserem ganzen Herzen zu, ohne Manipulation, Bestärkungen,  Vergleiche oder Bewertungen einfließen zu lassen. Wir sind im Hier und Jetzt! Es gibt keine Schuld! Wir übernehmen die Verantwortung für unser Denken, Fühlen und Handeln! Ich sage, was ich fühle. Ich sage deutlich, was ich mir wünsche.

In drei Schritten zu einer empathischen Haltung!

Im Zuge der Rücknahme von Projektionen zur besseren elterlichen Beziehung, biete ich Ihnen nun drei Schritte an, um von einer moralisch-wertenden zu einer empathischen Haltung zu gelangen:

  • Beobachten Sie, ohne zu bewerten. Vermitteln Sie Ihrem Jungen/Mädchen einen Umgang mit Schwierigkeiten, der allein auf wahrnehmbaren Tatsachen beruht. (Was habe ich wahrgenommen? Was hat mein Junge wahrgenommen?)
  • Eigene und fremde Gefühle erkennen. (Wie fühle ich mich oder mein Junge?)
  • Bedürfnisse. (Was ist mir wichtig? Welche Bedürfnisse sind erfüllt oder unerfüllt? Gilt Gleiches für meinen Jungen/mein Mädchen?)

Mit den oben genannten Fragen, bekommen Sie einen schnellen Zugang zur Entstehung von Gefühlen und der Bedeutung von Bedürfnissen, die Ihnen als Elternteil im Gesamtkonzept der elterlichen Erziehung behilflich sein können.

Fazit

Gehen wir zurück in die Vergangenheit, zu dem Punkt, an dem das Kind mit Fußball beginnt. Lassen wir nicht die Kleinen unsere eigenen Träume verwirklichen, sondern lernen wir, mit den Grenzen zu leben, die uns unsere Lebenszeit aufzeigt. Die Kinder machen uns das vor. Wenn wir sie lassen. Wertschätzende und zielgerichtete Kommunikation kann uns in vielen Situationen als Eltern helfen, unsere Anliegen so zu formulieren, dass sich niemand verletzt, manipuliert oder angegriffen fühlt und auf sachlicher Ebene eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann.

 

Mehr zum Thema:

Cristina Baldasarre: Frühförderung im Kinderleistungssport – Wieviel ist genug?

Thorsten Loch: Wie Trainer die Konzentrationsleistung fördern können

 

Literatur

Brummelman, E., Thomaes, S., Slagt, M., Overbeek, G., Orobio de Castro, B., & Bushman, B. J. (2013). My child redeems my broken dreams: On parents transferring their unfulfilled ambitions onto their child. PLOS ONE, 8, e65360. Online: http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0065360

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Prof. Dr. René Paasch
Prof. Dr. René Paaschhttp://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

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1 Kommentar

  1. […] habe ich einen sehr spannenden Artikel des Sportpsychologen Dr. René Paasch entdeckt. In „Wenn Nachwuchsfußballer den Traum der Eltern leben“ schreibt er, dass sich im Jugendbereich immer mehr Eltern wünschen, dass ihr Kind Profifußballer […]

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